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Verfolgt und bedroht – Die LGBTQ-Szene in Russland

PlayEine Frau mit bunten Ballons in der Hand wird von einem Polizisten abgeführt
Verfolgt und bedroht – Queer in Russland | Video verfügbar bis 14.04.2025 | Bild: ARD
Eine Frau mit bunten Ballons in der Hand wird von einem Polizisten abgeführt
Queere Menschen haben es schwer in Russland, nach und nach wurde die Gesetzgebung unter Putin verschärft. | Bild: ARD

Vor kurzem im russischen Orenburg: Razzia in einem schwulen Club. Drei Party-Veranstaltern drohen bis zu zehn Jahre Haft. Das erste Mal, dass ein neues Gesetz angewendet wird. Ende letzten Jahres erklärte der Oberste Gerichtshof: 
"Die internationale LGBT- Bewegung wird als extremistisch eingestuft. Ihre Aktionen in Russland werden verboten."
Seit mehr als 10 Jahren gibt es in Putins Russland Gesetze gegen Schwule, Lesben und Trans*Menschen. Das Perfide am aktuellen: die internationale queere Bewegung gibt es nicht. Die Schwammigkeit ist Absicht: Jetzt kann die kleinste Regung eine Straftat sein. Viele haben das Land verlassen.

Das russisch-queere Filmfestival "Side by side" startete 2008 in St. Petersburg

In Tallinn, der Hauptstadt Estlands, treffen wir Gulya aus St. Petersburg. Sie erinnert sich an Zeiten, in denen es wenigstens ein kleines Bisschen Freiheit gab. Wie ist das für sie, wenn sie heute Bilder von damals sieht? "Freude, dass es sowas gab. Aber natürlich auch viel Hass gegenüber dem Regime. Dass es eine ganz andere Richtung eingenommen hat die letzten Jahre, und dass wir queeren Menschen eigentlich jetzt entwurzelt sind. Ich musste emigrieren", erzählt Gulya. "Ich bin in einem anderen Land. Und alles, was ich gemacht habe, ist durchgestrichen."
Durchgestrichen. Ausradiert: "Side by side" ist das einzige Filmfestival für Schwule, Lesben, Bisexuelle und Trans-Menschen in Russland. 2008 ging es in St. Petersburg los. Eine Insel der Freiheit. Gulyas Freundin Manny, eine Britin, ist Gründerin des Festivals. Ihr Dackel - Vorbild für die Trophäe. Die haben sie mitgenommen nach Tallinn. Und all ihre Erinnerungen. "Die Idee war, ein offenes Festival für alle zu schaffen", sagt Manny. "Wir sprachen die LGBT-Community an, aber auch Heterosexuelle, die gute Filme sehen wollten. Es kamen Eltern, deren Kind gerade sein coming out gehabt hatte; die nicht wussten, wie sie damit umgehen sollen. Das Festival half ihnen, ihr Kind zu akzeptieren."  Gleichzeitig: Hass. "Schande!", "Sodomiten!" steht auf dem Plakat. Kreml-Treue, als Ärzte verkleidet, wollen die "Kranken" heilen. Bombendrohungen. Die Behörden lassen sich stundenlang Zeit - das Publikum soll den Mut verlieren. Doch die meisten bleiben. Manny und Gulya würden bis zu 10 Jahre Haft riskieren, wenn sie ihr Festival heute veranstalten würden. Sie wären eine extremistische Vereinigung.

 Die Angst vor Bestrafung führt zum Rückzug

Eine rothaarige Frau trägt über dem Mund zwei gelbe Klebestreifen.
Der Staat verordnet queeren Menschen zu schweigen. | Bild: ARD

 Lange haben wir Menschen in Russland gesucht, die etwas über die aktuelle Lage sagen. Ein Mann wagte es,  wenn wir ihn komplett unkenntlich machen: "Queere Menschen sind jetzt komplett unsichtbar in Russland. Wenn es darum geht, etwas über LGBT-Themen zu sagen, würden sich fast alle Menschen distanzieren oder abfällig über sie reden. Sie wissen: Das erwartet der Staat", erzählt er uns.  
Warum dieser Aufwand, eine Minderheit zu verfolgen? Letztlich geht es um das russische Selbstbild, sagt unser Interviewpartner: "Das eigentliche Ziel des Staates ist zu demonstrieren, dass Russland seinen eigenen Weg geht. Dass es nichts mit den west-europäischen Werten zu tun haben will."  

Die Gewalt gegen queere Menschen hat zugenommen

In Tallinn, das mal zum Sowjet-Imperium gehörte, ist Russland sehr nah. Mit Beginn des Krieges gegen die Ukraine hat auch die Gewalt gegen queere Menschen in Russland zugenommen, sagen Manny und Gulya. "Und meine Welt sozusagen. Die in Russland war, die ist jetzt nicht in Russland, die ist woanders. Das sage ich mir oft. Und so lange es so geht, ist es nicht mehr mein Land", berichtet Gulya. Sie machen ihr Festival jetzt in Estland – und anderswo, wo Schwule, Lesben und Trans-Menschen aus Russland Zuflucht gefunden haben. Mit den queeren Menschen in der Heimat bleiben sie in Kontakt, sammeln Spenden. Damit es irgendwie weiter geht.   

(Beitrag: Lennart Herberhold)

Stand: 14.04.2024 18:38 Uhr

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Norddeutscher Rundfunk
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