Porno als Hobby?

Ausbeutung im Amateur-Pornobusiness

Amateurpornos boomen. Wenig Aufwand, hohe Gewinne, keine Risiken für Darstellerinnen und Darsteller – so die Versprechen bekannter Amateur-Sex-Plattformen. Pornos einfach zu Hause drehen – eine Alternative zur professionellen Pornoindustrie? VOLLBILD blickt hinter die Kulissen der Amateur-Pornos und zeigt ihre dunkle Seite.

Eine junge Frau im pinkfarbenen Bikini sonnt sich, an einem idyllischen See in der Eifel. „Entschuldigung, was machen Sie denn hier?“, spricht sie plötzlich ein bärtiger Mann an. „Das ist ein Betriebsgelände. Da müssen wir leider die Security rufen, das geht so nicht.“ Doch schnell wird klar: Für Sex will der Mann mal ein Auge zudrücken. Die improvisierte Szene reicht auch schon als Rahmenhandlung für den Amateur-Porno, der heute hier gedreht wird. Nur wenige Sekunden später sind die junge Frau und der Mann nackt. Mit kleinen Kameras filmen sie sich beim Sex im Freien. 

Amateurpornos als Fulltime-Job 

Die Amateurdarstellerin nennt sich „Emma Secret“. Sie zählt zu den bekannteren Darstellerinnen auf deutschen Amateurporno-Plattformen wie „MyDirtyHobby“. Zusammen mit ihrem Mann Daniel, der sich „Der Pornobeamte“ nennt, dreht sie drei bis vier solcher Clips an einem Drehtag, oft auch zusammen mit anderen Darstellern aus der Amateurszene. Die beiden haben ihre Berufe als Rezeptionistin und Finanzbuchhalter aufgegeben und produzieren seit mehr als fünf Jahren Amateurpornos. Sexvideos und Webcam-Sessions sind inzwischen der Fulltime-Job des Paares. „Es ist ein Job, der abwechslungsreich ist, der interessant ist, wo man sehr interessante Leute kennenlernt“, sagt Daniel.  

Der Suchbegriff „Amateur“ ist einer der beliebtesten auf Pornoplattformen in Deutschland. Der vermeintlich authentische Einblick in fremde Schlafzimmer, um anderen Paaren beim Sex zuzuschauen, ist gefragt. Doch was den Anschein von Echtheit vermitteln soll und als „erotisches Hobby“ verkauft wird, ist längst zu einem professionellen Business geworden. Die Amateurbranche generiert Millionenumsätze. Amateurplattformen, auf denen sich jeder anmelden und eigene Sexvideos hochladen oder Webcam-Sessions streamen kann, versprechen Darstellerinnen und Darstellern leicht verdientes Geld - angeblich ganz selbstbestimmt: „Werde dein eigener Boss! Bestimme deine Preise“, werben Amateurporno-Plattformen: „Tu das, was du willst. Sei wer du willst!“  

Finanzielle und sexuelle Ausbeutung  

Doch Recherchen des SWR-Investigativformats VOLLBILD beleuchten jetzt erstmals die Abgründe der deutschen Amateurporno-Branche: Darstellerinnen und -Darsteller berichten von finanzieller und sexueller Ausbeutung durch Agenturen, Manager und „Loverboys“. Sie schildern die Abhängigkeit von großen Amateurporno-Plattformen: Amateurporno-Darstellerinnen und -Darsteller sind auf sie angewiesen, um bekannt zu werden und ihre Videos zu monetarisieren. Und sie sprechen über den Druck, immer mehr „Content“ abzuliefern, immer härtere Sexvideos mit immer mehr Männern zu produzieren. Viele Frauen berichten von Übergriffen, psychischen und körperlichen Schäden - und dass sie ihre Grenzen immer weiter verschieben müssen, was Sexpartner und Praktiken angeht.  

Ein Star der Amateurporno-Branche ist „Texas Patti“. Sie dreht seit mehr als zehn Jahren Pornos und lebt seit 2017 in Los Angeles. Fast 2 Millionen Abonnenten verfolgen auf Instagram ihr Leben als Erotikstar. Im Interview spricht sie offen über den Druck: „Da machen Mädels Analszenen, obwohl sie privat noch niemals Analsex hatten. Das kann ja nicht sein.“ Viele Darstellerinnen fühlten sich nach Pornodrehs wie vergewaltigt, weil sie unter Druck immer wieder Grenzen überschritten. „Ob das healthy ist? Nein, also ich sage: total unhealthy. Ob diese Menschen Spätfolgen davon erleiden? Ja, auf jeden Fall.“ 

„Der Markt präferiert Neuheiten“, beobachtet Soziologe Sven Lewandowski, der an der Universität Bielefeld ein Forschungsprojekt zu Amateurpornografie leitet. „Neue Körper, neue Gesichter, was auch immer. Es kann härterer Sex sein, das kann aber auch das Bedienen von Nischen sein. Das kann auch das Herstellen eines pseudo-persönlichen Kontaktes zur Kundschaft sein. Sie müssen irgendwas mehr bieten, was andere nicht haben. Und sie haben die Schwierigkeit, dass sie natürlich dann auch vor allen Dingen, um am Markt zu bleiben, permanent Content produzieren müssen“.

„Wie eine Maschine, ohne Emotion“ 

Eine Amateurdarstellerin, die anonym bleiben möchte, beschreibt den VOLLBILD-Reporterinnen, dass sie aus der Branche aussteigen möchte: „Man ist gezwungen, jede Woche abzuliefern, immer mehr zu machen. Einmal bin ich zu einem Dreh gekommen und da waren auf einmal 15 Männer, und es hieß: Mit denen wird jetzt Gangbang gedreht“, berichtet sie von ihren Erfahrungen. Emotional sei sie während der Drehs zunehmend abgestumpft, habe vieles einfach über sich ergehen lassen. „Ich habe gearbeitet wie eine Maschine, da war keine Emotion mehr.“ Sie könne so nicht mehr weitermachen, sagt sie. Doch noch sei sie durch Verträge gebunden.  

„Was für die Pornobranche auffällig ist: dass das ein schlecht strukturiertes Feld ist, also wenig klar definierte Arbeitsverhältnisse. Keine gewerkschaftlichen Vertretungen“, erklärt Soziologe Sven Lewandowski. Arbeitsrechtlich liege die Branche im Graubereich. „Die Pornobranche profitiert einfach davon, dass die Menschen isoliert und unsichtbar arbeiten“, sagt Sozialarbeiterin Linda Apsel. „Und dass es natürlich auch für die Menschen selber eine große Überwindung ist, nach außen zu treten und zu sagen: Ich arbeite in dem Bereich, das sind die Missstände.“ 

Darstellerinnen erhalten nur Bruchteil des Geldes 

Permanent Content produziert auch die Amateurdarstellerin „Emma Secret“, etwa mit live gestreamten Webcam-Sessions oder mit immer neuen Amateursex-Videos. Um Reichweite zu bekommen, führe für Darstellerinnen und Darsteller kaum ein Weg an den marktführenden Plattformen vorbei, erzählen „Emma Secret“ und ihr Mann Daniel. Viele ihrer Pornovideos laden sie auf der Plattform „MyDirtyHobby“ hoch.  

Diese laut eigenen Angaben „weltweit größte Amateur-Community“ verspricht den registrierten Darstellerinnen und Darstellern: Bei den Verdienstmöglichkeiten gebe es „keine Grenze nach oben“. Doch VOLLBILD-Recherchen zeigen: Bis zu 75 Prozent der durch die Pornovideos eingespielten Einnahmen behält die Plattform, sogar vom Trinkgeld erhalten die Performer nur knapp die Hälfte. Konfrontiert mit Kritik an der hohen Umsatzbeteiligung, erklärt ein Sprecher der Plattform: „MyDirtyHobby bietet eine Plattform mit Millionen von Zuschauern, daher ist eine Umsatzbeteiligung durchaus angemessen.“ Außerdem setze die Plattform die Darsteller nicht unter Druck. 

„Wenn Menschen in der Beratung zu mir kommen und mir erzählen würden, dass der Betreiber eines Bordells von ihrem Lohn 60 Prozent einbehält als Abgabe, ist das Zuhälterei. Wenn das jemand aus der Pornoindustrie erzählt und sagt, die Plattform streicht vielleicht 75 Prozent oder noch mehr ein, dann sagt niemand: Das klingt nach Zuhälterei“, kritisiert Linda Apsel, Sozialarbeiterin der Beratungsstelle für Sexarbeitende „Leila“.  

Ausstieg aus der Branche ist schwierig 

Ihren jahrelangen Leidensweg, der von Amateurpornos in die Zwangsprostitution führte, schildert eine ehemalige Porno-Darstellerin unter dem Pseudonym „Jara“. In die Branche geholt habe sie ihr damaliger Partner. Dieser habe ihr vorgetäuscht, hohe Schulden zu haben und sie überredet, auf Cam-Portalen zu streamen. Es folgten Pornodrehs auf Amateurplattformen, erzählt sie; zuerst gemeinsam, später mit vielen fremden Usern. Schließlich habe der Ex-Partner Jara zur Prostitution gezwungen, als das Geld aus den Amateurproduktionen nicht mehr reichte.  

„Mir ging es zum Schluss wirklich sehr, sehr schlecht“, sagt Jara. Sie habe eine „heftige Essstörung“ gehabt und sich mit Drogen betäubt. „So schlimm, dass ich eigentlich schon überlegt habe: Wie schaffe ich es, mich umzubringen?“ Jara konnte dank der Unterstützung ihrer Familie vor mehr als fünf Jahren aussteigen, trotzdem holt die Zeit in der Branche sie immer wieder ein. Die damals hochgeladenen Bilder und Videos sind weiter im Netz zu finden. Heute arbeitet sie in einem Bürojob. Den habe sie einer Bekannten zu verdanken.  

Der Weg zurück in einen anderen Beruf sei schwierig, sagt Linda Apsel. „Dieses Thema oder dieser Beruf kann jederzeit wieder auftauchen“, sagt die Sozialarbeiterin. Aufgrund des Stigmas und der gesellschaftlichen Abwertung drohe ständige Konfrontation – bis hin zum Verlust des Jobs.  

BKA: Menschenhandel und Zwangsprostitution 

VOLLBILD hat beim Bundeskriminalamt und allen 16 Landeskriminalämtern nachgefragt, ob den Strafverfolgungsbehörden Fälle von Ausbeutung und Missbrauch in der Amateurporno-Industrie bekannt sind und wie sie dagegen vorgehen. Das BKA antwortet, es erfasse solche Fälle nicht gesondert. Zu Amateurplattformen wie „MyDirtyHobby“ teilt es mit: „Die genannten Plattformen und andere werden durch die Bundesländer und das Bundeskriminalamt im Hinblick auf Verdachtsmomente zu Menschenhandel und Zwangsprostitution ausgewertet.“ Auch die meisten LKAs erfassen keine eigenen Zahlen zu Ausbeutung und Missbrauch in der Porno-Industrie.  

Konfrontiert mit den Recherchen verweisen das Bundesfamilienministerium und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf Anfrage auf geltendes Straf- und Arbeitsrecht sowie auf Regeln zum Arbeitsschutz. Handlungsbedarf mit Blick auf Ausbeutung und Übergriffe in der Amateurporno-Branche sehen sie offenbar nicht. Das Bundesarbeitsministerium teilt mit, es setze sich „für gute Arbeitsbedingungen in allen Branchen in Deutschland ein“.