Sondertarif Ersatzversorgung: Energieversorger nutzen Gesetzesänderung aus, Verbraucherschützer warnen

Recherchen des ARD-Politikmagazins REPORT MAINZ zeigen, dass Energieversorger eine Änderung im Energiewirtschaftsgesetz nutzen, um höhere Preis zu verlangen. Konkret geht es um den Sondertarif Ersatzversorgung, der laut Verbraucherzentralen „in zahlreichen Fällen zu Unrecht angewendet“ werde, so Julia Schröder Energierechtsexpertin der Verbraucherzentrale Niedersachsen. 

Gas- und Stromanbieter dürfen für den seit einer Gesetzesänderung höhere Preise verlangen. Davon machen ein Drittel aller Unternehmen Gebrauch. Das zeigt eine bundesweite Auswertung der Strom- und Gastarife, die die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz exklusiv für das ARD-Politikmagazin REPORT MAINZ erstellt hat. Von den mehr als 700 Grundversorgern in Deutschland verlangen aktuell 32 Prozent höhere Preise in der Ersatz- als in der Grundversorgung. Und das, obwohl die Preise an den Energiebörsen seit dem Rekordhoch 2022 deutlich gesunken sind.

Der Gesetzgeber hatte im Sommer 2022 das Energiewirtschaftsgesetz geändert. Seitdem dürfen die Preise für die Ersatz- und die Grundversorgung voneinander abweichen. So sollten kurzfristige Liefer- und Finanzprobleme von Versorgern verhindert werden. Der Gesetzesnovelle vorausgegangen waren mehrere Insolvenzen von Gas- und Stromanbietern 2021/22 sowie die Energiepreiskrise 2022 infolge des Ukraine-Kriegs.

Ersatzversorgung kann für Verbraucher teuer werden

Laut Auswertung der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz können aktuell bei einem klassischen 3-bis 4-Personen-Haushalt wegen der teuren Ersatzversorgung zusätzliche Kosten von mehreren tausend Euro pro Jahr entstehen. Beim Erdgas ergab sich in der Spitze eine Preisdifferenz zwischen Grund- und Ersatzversorgung von 8.410 Euro. Basis der Berechnung war ein jährlicher Gasverbrauch von 20.000 Kilowattstunden (kWh). Laut Daten der Verbraucherschützer war bei 32 Prozent der Gasanbieter die Ersatzversorgung teurer als die Grundversorgung, bei 61 Prozent waren die Preise identisch, bei knapp 7 Prozent war die Ersatzversorgung günstiger.

Ein ähnliches Bild zeigte sich bei den 790 untersuchten Stromversorgern, Basis war hier ein jährlicher Stromverbrauch von 3.600 kWh. In der Spitze betrug der Unterschied zwischen Ersatz- und Grundversorgung bei einem Anbieter 2.566 Euro. Bei 32 Prozent aller Strom-Anbieter bundesweit war der Ersatzversorgungstarif höher als der Tarif für die Grundversorgung. Bei 63 Prozent waren die Preise identisch, bei 5 Prozent war die Ersatzversorgung günstiger. Stichtag der Auswertung sowohl beim Gas als auch beim Strom war der 15. Januar 2024.

Teurer, aber befristeter Sondertarif

Die sogenannte Ersatzversorgung ist ein Sonderfall der Grundversorgung. Darin landen Kunden, wenn deren Strom- oder Gasanbieter zum Beispiel die Belieferung einstellt, etwa bei Insolvenz. Der Tarif ist auf drei Monate begrenzt.

Doch oft funktioniere es nicht so, wie vom Gesetzgeber gedacht, sagt Julia Schröder, Energierechtsexpertin der Verbraucherzentrale Niedersachsen. „Bei uns sind zahlreiche Fälle aufgetaucht, wo Verbraucher zu Unrecht in die Ersatzversorgung eingeordnet worden sind und das auch über längere Zeiträume.”

Gesetzeslücke benachteiligt Mieter

Hinzu kommt, dass sich einige Energieversorger offenbar eine Gesetzeslücke zunutze machen: Der Anbieter stuft den Vermieter, der für seine Mieter den Tarif abschließt (etwa bei einer Gaszentralheizung), als Gewerbekunden ein – obwohl diese eigentlich normale Haushaltskunden sind. Somit zahlen die Mieter permanent den oft höheren Preis in der Ersatzversorgung. Verbraucherschützer, der Vorsitzende der Monopolkommission sowie Politiker der Opposition im Bundestag sehen dringenden Nachbesserungs- und Reformbedarf, unter anderem beim Energiewirtschaftsgesetz. „Insgesamt gibt es hier noch eine Regelungslücke. Immer dann, wenn es sich um Mieter handelt, muss es sich auch um Verbraucher handeln“, fordert zum Beispiel der CSU-Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich.

Bundesverbraucherschutzministerium will Gesetz „prüfen“

Das Bundeswirtschaftsministerium antwortet auf REPORT MAINZ-Anfrage: „Eine Entscheidung über etwaigen gesetzlichen Handlungsbedarf bei der Ersatzversorgung wurde nicht getroffen.“ Das Bundesverbraucherschutzministerium hingegen kündigt an: “Diese Konstellation werden wir im Sinne des Verbraucherschutzes noch einmal genau prüfen.”