Beifuß-Ambrosie unzureichend bekämpft – Risiko für Allergiker steigt
Text des Beitrags:
Während andere noch schlafen, sitzt er schon auf dem Fahrrad. Jörg Skorna. Neun Stunden in der Woche trainiert er - bei Wind und Wetter.
Er hat Angst, dass er das bald nicht mehr kann. Denn die Gefahr verbirgt sich am Straßenrand. Die Beifuß-Ambrosie.

Jörg Skorna, Allergiker:
„Hier sieht man das an einem solchen Blütenstand, wie da die kleinen gelben Dinger rauskommen, da fliegt dann irgendwann mal der Pollen. Das sind die Übeltäter.”
Und diese Übeltäter sind hoch allergen und bereiten dem 55-Jährigen von Mitte August bis Ende November große gesundheitliche Beschwerden.
Jörg Skorna, Allergiker:
„Wie ‘ne dauernde Erkältung, die Sie drei Monate haben. Anfallsartig passiert das, dass die Augen anfangen zu jucken, die Nase zuläuft. Und das Hauptproblem, was ich eigentlich habe, ist eigentlich immer wie so ein Husten.“
Für ihn als Ausdauersportler ein großes Problem. Doch der Pflanze kann Jörg Skorna nicht entkommen. Überall in seinem Heimatort Drebkau in Brandenburg wächst sie, die Beifuß-Ambrosie. Aus Amerika eingeschleppt, verbreitet sie sich zunehmend in Deutschland. Die Hauptblütezeit steht kurz bevor.
Hohe Messwerte in Drebkau
Das zeigen die täglichen Daten von Ulf Gereke. Der Lungenfacharzt betreibt eine Pollen-Messstation. Über den Dächern von Cottbus misst er aktuell eine Belastung von bis zu 15 Beifuß-Ambrosien-Pollen pro Kubikmeter. Dieser Wert kann schon Allergien auslösen. Und das ist erst der Anfang.

Dr. Ulf Gereke, Lungenfacharzt:
„Wir erwarten die Hauptsaison in zwei bis vier Wochen. Da kann man durchaus wieder Pollenbelastungen von bis zu 150 Pollen per Kubikmeter Luft sehen und das ist dann schon ein erheblicher Wert.“
Und dann kann die Beifuß-Ambrosie für Allergiker sogar zum Notfall werden. Rentner Detlef Scholtka musste deshalb sogar im Krankenhaus behandelt werden.

Detlef Scholtka, Allergiker:
„Ich hatte Angst. Ja, ich hatte Angst, dass ich gar keine Luft mehr kriege. So stark war das, so schlimm war das gewesen. Sonst wäre ich nicht in die Notaufnahme gefahren. Da kam dann schon eine gewisse Panik auf.“
Studie in Brandenburg zeigt erhöhtes Risiko
Das Problem in Drebkau ist so groß, dass sich Ulf Gereke an der Charité in Berlin damit beschäftigt hat. Unterstützt wurde das Projekt vom Land Brandenburg. 129 Patienten hat er in einer nicht repräsentativen Studie untersucht. Ergebnis: Menschen hier haben aufgrund der hohen Pollenkonzentration der Beifuß-Ambrosie ein erhöhtes Risiko, Allergiker zu werden.
Dr. Ulf Gereke, Lungenfacharzt:
„Unsere Studie hat gezeigt, dass im Bereich Drebkau eine erheblich höhere Sensibilisierungsrate gegenüber Ambrosia-Pollen besteht als im Bundesdurchschnitt durch die hohe jahrelange Pollenbelastung hier in diesem Gebiet. Das Land Brandenburg hat durch uns relativ gut gezeigt bekommen, dass Ambrosia hier in der Gegend ein Problem ist.“
Ein Problem nur in Brandenburg?
REPORT MAINZ hat alle 16 Bundesländer nach der Verbreitung der Pflanze gefragt. Ergebnis: Die Beifuß-Ambrosie ist längst in großen Teilen Deutschlands angekommen: Neben Brandenburg besonders im Süden Hessens, in Teilen Nordrhein-Westfalens, in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern.
Rund 320.000 Beifuß-Ambrosien auf einem Acker
Und hier in Bayern zieht Biologe Stefan Nawrath im Auftrag des Gesundheitsministeriums durch das Land und soll herausfinden, wo die Pflanze überall wächst. Heute wurde er auf einem Acker in Franken fündig. Hier stehen auf nicht mal einem Hektar rund 320.000 Pflanzen.

Stefan Nawrath, Biologe:
„Das ist sehr gefährlich. Wir sind ja auch hier am Rand der Bebauung und hier ist ein Erholungsgebiet. Viele Wanderer, Fahrradfahrer, Spaziergänger, Reiter. Und deswegen wäre es wichtig, dass die halt diese Pollen nicht einatmen.“
Deshalb informiert der Ambrosia-Jäger die Behörden, schlägt Alarm.
Doch die seien hier machtlos, sagt das zuständige Amt auf Anfrage von REPORT MAINZ. „Der Bewirtschafter des Ackers“ sei „mehrfach kontaktiert und über sinnvolle Maßnahmen aufgeklärt“ worden. Zur Umsetzung „gezwungen werden“ könne er „nach aktueller Gesetzeslage nicht“.
Stefan Nawrath, Biologe:
„Das frustriert mich allerdings sehr stark, weil wir so viele Jahre, manche Bestände haben wir schon 40-mal besucht und wir machen das ja jetzt schon fast 20 Jahre und dass wir dann immer noch so viele Pflanzen finden, das ist schon irgendwie ernüchternd.“
Biologe kritisiert weiterhin fehlende gesetzliche Regelungen
Noch dramatischer ist es im Landkreis Bamberg. Am 2. August dokumentiert Stefan Nawrath für uns eines der größten Beifuß-Ambrosien-Vorkommen in Bayern mit über einer Million Pflanzen. Es drohe eine Gesundheitsgefahr für die Anwohner.
Stefan Nawrath, Biologe:
„Direkt angrenzend. Das, ist kurios, ist hier ist ein Mehrfamilienhaus und man sieht hier ein Trampolin und Luftballons und hier ist eine Schaukel, also es ist ein kleiner Spielplatz, hier spielen also Kinder und hier wohnen Leute direkt an diesem riesigen Massenbestand und keinen stört es“.
Der Bürgermeister teilt uns allgemein mit: „Auch künftig wird die Gemeinde bei jedem bekannt gewordenen Vorkommen auf privaten Flächen sofort tätig und die Eigentümer zur Entfernung verpflichten.“
Stefan Nawrath, Biologe:
„Dieser Massenbestand im Landkreis Bamberg, den melden wir jetzt schon so viele Jahre an die Gemeinde und an den Landkreis. Und es passiert zu wenig. Und wir würden uns wünschen, dass es eine Melde- und Bekämpfungspflicht gibt, dass wir auch endlich mal sehen, dass da auch was passiert.“
Schon 2013 hatte REPORT MAINZ über die unkontrollierte Ausbreitung der Beifuß-Ambrosie in Deutschland berichtet. Und darüber, dass die Schweiz mit einer Melde- und Bekämpfungspflicht die Invasion der Pflanze bremsen konnte.
Bundesweit keine Melde- und Bekämpfungspflicht
Bis heute gibt es in keinem Bundesland in Deutschland eine solche Pflicht. Das haben die REPORT MAINZ Autoren in einer Umfrage bei allen Landesregierungen herausgefunden.
Zum Beispiel im Südwesten Deutschlands: „In Baden-Württemberg nahmen Ambrosia Funde seit 2006 stark zu”, schreibt das dortige Umweltministerium. Seit 2019 sei „aufgrund der großräumigen Verbreitung kein (…) systematisches Monitoring mehr möglich” gewesen. Die Beifuß-Ambrosie stelle aber „mittelfristig eine erhebliche Gesundheitsgefahr dar“.
Stefan Nawrath, Biologe:
„Offensichtlich hat Baden-Württemberg den Kampf gegen die Beifuß-Ambrosie aufgegeben und es wird dann wahrscheinlich zwangsläufig zu einer Massenausbreitung kommen.“
Landwirt bekämpft Beifuß-Ambrosie aus eigener Überzeugung
Soweit müsste es aber nicht kommen. Bei der wiederholten Kontrolle eines von der Beifuß-Ambrosie befallenen Karotten-Ackers bei Nürnberg trifft Stefan Nawrath zufällig auf Hans Brunner. Der Landwirt ist mittlerweile von den Argumenten des Biologen überzeugt. Vor wenigen Tagen haben er und seine Erntehelfer einen Großteil der Ambrosia-Bestände mit der Hand entfernt.
Stefan Nawrath, Biologe:
„Ich war ja vor ein paar Tagen hier, da waren ja hier noch Unmengen Pflanzen und sie waren ja wirklich sehr fleißig, haben ja ganz viele Pflanzen ausgerissen, also großes Lob dafür.“

Hans Brunner, Landwirt:
„Wir haben es so weit wie möglich rausgerissen, weil es ja auch schön feucht war durch den Regen. Da haben wir die ganzen Pflanzen rausgebracht.“
Reporter:
„Bringt es Ihnen auch was, wenn Sie die ausreißen oder müssen sie es nur machen?“
Hans Brunner, Landwirt:
„Na, na, na, die Karotten können gleichmäßig wachsen, weil es Luft hat, weil keine Unkräuter drin sind. Das ist maßgebend auch für die Qualität des Gemüses.“
Vom Kampf gegen die Beifuß-Ambrosie können also Landwirte und Allergiker profitieren.
In Brandenburg hat die Landesregierung zwar einiges zur Bekämpfung der Beifuß-Ambrosie unternommen, unter anderem eine eigene Koordinierungsstelle geschaffen. Die Pflanze aber breitet sich weiter aus. Und trotzdem wurde ein Großteil der Mittel für die Bekämpfung gestrichen. Waren es 2020 noch 500.000 Euro, sind es jetzt nur noch 150.000 Euro im Jahr.
Stefan Nawrath, Biologe:
„Das ist jetzt genau der falsche Ansatz. Wir gucken quasi weg und ignorieren das Problem, bis es zu spät ist. Und dann haben wir vor allem Probleme bis zur nächsten Eiszeit.“
Jörg Skorna will, dass das Problem deutlich früher gelöst wird - damit er weiterhin ohne Angst vor der Beifuß-Ambrosie Fahrradfahren kann.
Stand: 20.08.2025 15:09 Uhr