Plötzlich Hassobjekt – Woher kommt die rechte Online-Hetze
Text des Beitrags:
Es ist ein Abend im Januar, der sein Leben bis heute verändert: Konstantin Saalfeld. Ich treffe den Studenten in Berlin. Er erzählt mir von dem Abend, als er Zuschauer war in der Fernsehsendung „Maischberger“.

Konstantin Saalfeld, Student:
„Da bin ich reingegangen und haben halt die Sitze in der ersten Reihe bekommen. Fand ich auch cool, weil ich hatte meinen Großeltern geschrieben: Hey, ich bin im Fernsehen, guck mal, dann und dann, da sitze ich dann.“
Dass ihm ausgerechnet sein Sitzplatz im Studio zum Verhängnis werden wird, ahnt der Student zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Einstiegsszene „Maischberger“:
„Schönen guten Abend… schön, dass Sie da sind.“
Konstantin Saalfeld, Student:
„Und dann hat halt direkt vor mir Alice Weidel Platz genommen. Was Alice Weidel da für widersprüchliches Zeug so gelabert hat. Das hat mich wirklich wütend gemacht teilweise, weil es einfach falsch war.“
Alice Weidel, Quelle: Maischberger, 22. Januar 2025:
„Und es ist im Übrigen eine viel diskutierte These unter Historikern, warum Hitler eigentlich aus Sicht der Rechtskonservativen Links stand.“
Ein Kopfschütteln macht ihn zur Zielscheibe für Hass im Netz
Konstantin Saalfeld schüttelt mehrmals den Kopf. Eine Meinungsäußerung, die nicht unbemerkt bleiben wird. Nur Stunden später landen Ausschnitte der Sendung auf Social Media. Von Konstantin Saalfeld und seinem Kopfschütteln. Später wird sein voller Name veröffentlicht. Auch die Info, dass er einmal aktiv bei der Grünen Jugend war.
Plötzlich steht der Student im Fokus einer hetzenden Meute.
Hass-Kommentare:
„Die wollen richtig dass es pfeift und zischt auf ihren Gesichtern“
„(…) Was für Vollidioten! Dreckspack!”
„Armer Milchbubi, hoffentlich wird er morgen in der Schule nicht zu hart verhauen”
„Die dreckigen Schmalzgesichter (…)?”
„Das gleiche habe ich mir auch gedacht, die gehören geklatscht”
Konstantin Saalfeld, Student:
„Ich wünsche das keinem. Ich wünsche es keinem, dass lauter Leute, die man nicht kennt, das ist so eine schwarze Wand einfach so nichts. Und da kommen die ganze Zeit Beleidigungen raus, die können sich alle sehen, aber du kannst die nicht sehen. Das ist ein sehr gruseliges Gefühl.“
Hasskommentare nehmen deutlich zu
Dieses Gefühl müssen inzwischen Tausende erleben. Jedes Jahr.
2024 erfasste das Bundeskriminalamt mehr als 10.000 Fälle strafbarer Hasspostings, viermal mehr als noch 2021. 44 Prozent der Hassbeiträge im vergangenen Jahr stammten laut BKA aus dem rechten Spektrum. Das Problem ist offenbar so groß, dass die Ermittler bundesweite Aktionstage durchführen: mit Vernehmungen, Razzien und Beschlagnahmungen, wie zuletzt Ende Juni. Hier hatten 2/3 der Hass-Posts einen rechten Hintergrund.
Woher kommt der Hass gegen Konstantin Saalfeld?
Ich frage mich: Wer sind die Drahtzieher, die Konstantin Saalfeld zur Zielscheibe machten?
Einer der ersten Posts stammte von ihm: Timm Kellner - ein ehemaliger Polizist, heute ein reichweitenstarker Influencer. Er erreicht Hunderttausende: unter anderem mit Schmäh-Videos, in denen er sich als Satiriker inszeniert.
Video Timm Kellner (verkleidet mit Perücke und Einhorn):
„Historisch einzigartig: Der größte Looser ever Fotzen Fritz scheitert im ersten Wahlgang.“

Video Timm Kellner (mit Bademantel und Zigarre im Bett):
„Wäre es nicht auch angebracht eine Meldestelle gegen Deutschenfeindlichkeit ins Leben zu rufen? Wobei das wäre ja a. rechtsradikal und zweitens auch völlig unrealistisch.“
In den Kommentaren unter seinen Inhalten finden Kellners Anhänger oftmals deutliche Worte:
Hasskommentare unter Tweet zu Hofreiter:
„Es gibt einfach zu viele dumme Menschen“
„Er ist eine hässliche Missgeburt“
„Diese Land ist so dermaßen kaputt. Wenn ich dieses aufgedunsene Gesindel sehe, wird mit mittlerweile wirklich übel.“
Timm Kellner ist inzwischen so bekannt, dass ihn sogar der Verfassungsschutz auf dem Schirm hat. 2023 taucht er gleich mehrfach im Jahresbericht des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes auf, wird dort als „Rechtsextremist“ bezeichnet. Seine Äußerungen seien menschenrechts- und demokratiefeindlich.
Was aber bezweckt Timm Kellner mit seinen Inhalten?
Brücke in die Mitte der Gesellschaft

Prof. Andreas Zick, Konfliktforscher, Universität Bielefeld:
„Die Influencer, die besonders stark einflussreich sind, beherrschen das Spiel, nicht zu extremistisch zu sein.“
Professor Andreas Zick ist Konfliktforscher an der Uni Bielefeld. Leitet dort das Institut für Konflikt- und Gewaltforschung. Seit Jahren untersucht er die Strategien rechtsextremer Netzwerke. Er warnt: Akteure wie Timm Kellner seien für sie besonders wertvoll.
Prof. Andreas Zick, Konfliktforscher, Universität Bielefeld:
„Das Ganze funktioniert nur mit Unterhaltungswert. Das weiß er auch, deswegen spielt er mit lauter Inszenierung, weil er ist der Entertainer. Und das nützt aber eigentlich der rechten Szene, weil die rechte Szene möchte diesen vorideologischen Raum. Diesen, der nicht eindeutig rechtsextrem ist der nicht eindeutig die freiheitlich-demokratische Grundordnung angreift, braucht eigentlich solche Personen als Brücke dann in die Mitte hinein.“
Nazi-Symbol beim Treffen seiner Anhänger
Ich will mir selbst ein Bild machen und mit Timm Kellner sprechen. Unsere Interviewanfragen lässt er unbeantwortet. Also fahren wir ins ostwestfälische Lippe. Dort lädt er seine Follower zu einem Treffen seines Motorradclubs ein.
Und hier ist ganz schön viel los. Die Besucher kommen aus ganz Deutschland. Einige tragen die Kleidung, die Kellner online verkauft.
Versuch einer Kontaktaufnahme… „Let’s go.”
Reporterin und Security, Stimme verändert:
Reporterin: „Wir sind vom SWR.“
Security: „Tschau. … Ganz schnell weg.“
Reporterin: „Ich würde Herrn Kellner gerne...“
Security: „Gar nichts wollen Sie. Geh weg.“
Reporterin: „Doch!“
Security: „Nein, weg.“
Wir sind hier offensichtlich nicht erwünscht. Deswegen versucht es mein Kollege mit versteckter Kamera. Wir wollen wissen: Wen erreicht Timm Kellner?
Schnell fällt auf: Einige Besucher tragen Kleidung in den Farben schwarz-rot-gold ... Ein Nazi-Symbol: der SS-Totenkopf, der öffentlich gezeigt strafbar ist. Und: ein AfD-T-Shirt.
Undercover gelingt es meinem Kollegen, direkt mit Timm Kellner zu sprechen, über den Hass im Netz.
Gedächtnisprotokoll:
Frage: „Wen zerlegst du als nächstes?“
Timm Kellner: „Wer sich anbietet und wer es verdient hat. Ich such das dann immer situativ aus und die kriegen dann natürlich richtig.“
Timm Kellner offenbart hier, dass er seine Opfer auswählt.
Die Veranstaltung ist eine Art Real-Life-Treffen für ihn und seine Anhänger. Ein Ort, an dem seine Follower und Verbündete zusammenkommen und sich weiter radikalisieren können.
Nachdem wir Timm Kellner mehrfach um ein Interview gebeten haben, schicke ich ihm meine Fragen per Mail. Doch wieder bekomme ich keine Antwort.
Ich frage mich: Was kann man tun, um Betroffene zu schützen?
Situation der Betroffenen ändert sich nur langsam
Antwort erhoffe ich mir von jemandem, der politische Verantwortung trägt: Herbert Reul. Auch er wird immer wieder zur Zielscheibe, erzählt er.
Herbert Reul, CDU, Innenminister Nordrhein-Westfalen:
„Was meinen Sie, wie viele Postings oder Briefe oder Mails ich auch kriege und die bringe ich alle fröhlich zu Gericht. Und natürlich ist da bisher noch nie was rausgekommen, weil die Bewertungsmaßstäbe heute so sind in Deutschland. Man muss sich vieles erlauben lassen, weil das Recht der freien Rede, der freien Meinungsäußerung wichtiger ist. Ich hätte nichts dagegen, wenn sich da das Bewusstsein ein wenig verändern würde, wenn man ein bisschen sensibler wäre.“
Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag vereinbart, die Rechtsstellung Betroffener Digitaler Gewalt zu verbessern. Derzeit prüfe man eine Umsetzung, heißt es.
Hass und Hetze werden also weiter zu unserem Alltag gehören. Mit harten Folgen für die Betroffenen.

Konstantin Saalfeld, Student:
„Das hat mein Leben auf jeden Fall verändert. Weil es immer mal sein kann, dass ich jemandem in der Bahn gegenübersitze, der sich noch an mein Gesicht erinnert, weil er das in einem Tim Kellner Tweet gesehen hat.“
Stand: 20.08.2025 16:06 Uhr