Ausgebeutet trotz Tariftreue - Fehlende Kontrollen durch öffentliche Auftraggeber

Text des Beitrags:

Timisoara in Rumänien. Wir sind auf dem Weg zu jemandem, der in Deutschland Arbeitsausbeutung erleben musste. Sein Name: Florin Gheorghe. Der Familienvater genießt gerade die Zeit mit seiner Tochter. Bevor er wieder ins Ausland aufbricht. Vor zwei Jahren hat er auf einer Baustelle in Baden-Württemberg gearbeitet. Er kämpft bis heute um seinen Lohn: rund 2.000 Euro. Geld, auf das seine Familie angewiesen sei.

Florian Gheorghe
Florian Gheorghe

Florin Gheorghe:
„Wenn ich dorthin gereist bin, dann habe ich das aus einem bestimmten Grund getan. Ich habe mich angestrengt, weil ich ein Ziel verfolgt habe, nämlich die Ausbildung meines Kindes, seine Zukunft und seine Sicherheit. Ich habe für meine Familie gearbeitet, für mein Kind.”

Ausgebeutet trotz Tariftreue

Florin Gheorghe hat damals in Lörrach gearbeitet, beim Bau des neuen Landkreis-Klinikums mitgeholfen. Doch bis heute sei er nicht bezahlt worden. Obwohl doch gerade die öffentliche Hand für faire Arbeitsbedingungen sorgen soll. Er zeigt uns seinen Baustellenausweis. Er war über ein Subunternehmen beschäftigt - das ihm einen Vertrag verwehrt und auch seine Kollegen nicht bezahlt habe, erzählt er.

Er schreibt dem Subunternehmen: „Wenn wir morgen unsere Gehälter nicht bekommen, müssen wir unsere Unterkunft verlassen und alle werden ohne Geld auf der Straße stehen. Seit zwei Tagen haben wir überhaupt kein Geld mehr. Nicht einmal etwas zu essen.”

Gemeinsam mit weiteren Arbeitern sucht er Hilfe bei der Polizei, wird an den Zoll verwiesen. Schließlich schläft er auf der Straße.

Florin Gheorghe:
„Es war ein Albtraum. Nach einem Tag, an dem du dein Gepäck hinter dir herziehst, ohne zu essen, ohne dich zu waschen, ohne zu trinken, in einer kritischen Lage unter freiem Himmel sozusagen zu schlafen - das ist erbärmlich.”

Wir fahren zurück nach Deutschland. Auf der Suche nach dem Subunternehmen. In diesem Wohnhaus soll die Firma ansässig gewesen sein. Erreichbar ist niemand mehr, auch nicht telefonisch.

„Die gewünschte Gesprächsperson ist nicht zu erreichen.”

Das neue Klinikum des Landkreises Lörrach gilt als ein Prestigeprojekt Baden-Württembergs. Mehr als 430 Millionen Euro soll der Bau kosten. Hier hat Florin Gheorghe einen Monat lang gearbeitet, ohne einen Cent Lohn zu bekommen, sagt er.

Die Gewerkschafter Jürgen Höfflin und Suzana Maurer kennen seinen Fall und den seiner Kollegen gut. Die schicke Animation, wie das Krankenhaus später einmal aussehen soll, steht im Kontrast zur harten Realität der rumänischen Bauarbeiter.

Suzana Maurer, Beraterin Faire Mobilität
Suzana Maurer, Beraterin Faire Mobilität | Bild: SWR

Suzana Maurer, Beraterin Faire Mobilität:
„Es war das erste Mal, dass ich sozusagen Leute hier hatte, die auf der Straße waren. Und ich auch nicht wusste, was ich jetzt mit denen machen soll. Ich war mit denen einkaufen. Ich habe den Essen eingekauft, damit sie was zu essen haben.”

Kontrollen durch Vergabe- und Tariftreuegesetze möglich

Dabei hätte der Landkreis Möglichkeiten, genauer hinzuschauen. Denn in Baden-Württemberg gibt es ein Gesetz zur Tariftreue. Das gilt für Aufträge, die von der öffentlichen Hand vergeben werden. Ob ÖPNV, Gebäudereinigung, Straßen- oder Wohnungsbau. Die Unternehmen müssen gemäß den jeweiligen Tarifverträgen für faire Arbeitsbedingungen sorgen.

In Deutschland gibt es in 14 Bundesländern Tariftreue-Regelungen, nur in Bayern und Sachsen nicht. Dadurch haben die meisten Kommunen die Möglichkeit, Unternehmen auch nach einer Auftragsvergabe noch zu kontrollieren. Etwa Gehaltsabrechnungen zu überprüfen, selbst bei Subunternehmen.

Diese Möglichkeit hat das Klinikum in Lörrach offenbar nicht genutzt. Auf Anfrage verweist es auf den Zoll, der Kontrollen durchgeführt habe:
„Bei Verdachtsmomenten setzen wir uns mit dem Hauptzollamt Lörrach in Verbindung, mit dem uns eine vertrauensvolle Zusammenarbeit verbindet.”

Jürgen Höfflin, DGB Baden-Württemberg:
„Das ist einfach eine Sauerei, was da passiert, dass die öffentliche Hand bei dieser betrügerischen Form von der Ausbeutung bisher weitgehend und insbesondere in Baden-Württemberg wegschaut und ihre Handlungsmöglichkeiten nicht nützt.”

Zu diesem konkreten Vorwurf äußert sich das Klinikum nicht.

Manfred Walser von der Hochschule Mainz sieht hier ein grundlegendes Problem. Gemeinsam mit gut 120 weiteren Wissenschaftlern hat er im Frühjahr öffentlich zu mehr Tarifbindung aufgerufen. Denn die geht seit vielen Jahren in Deutschland zurück. Tariftreuegesetze mit umfangreichen Kontroll-Möglichkeiten sollen dieser Entwicklung entgegenwirken.

Prof. Manfred Walser, Rechtswissenschaftler Hochschule Mainz:
„Man muss auch sich davor fürchten, dass man unter Umständen kontrolliert wird, das ist wie man eben auf der Autobahn eben auch Angst davor haben muss, dass ein Blitzer kommt, dann hält man sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung.”

Der Zoll allein reicht nicht aus

Entscheidend sei, dass die Kommunen auch selbst kontrollierten und sich nicht allein auf den Zoll verließen.

Prof. Manfred Walser, Rechtswissenschaftler Hochschule Mainz
Prof. Manfred Walser, Rechtswissenschaftler Hochschule Mainz | Bild: SWR

Prof. Manfred Walser, Rechtswissenschaftler Hochschule Mainz:
„Der Zoll ist chronisch unterbesetzt, hat, kann nicht einmal die Stellen wirklich besetzen, die ihm zustehen. Ganz abgesehen davon, dass die Auftraggeber viel besser überprüfen können, ob das plausibel ist, was sie da beauftragt haben.”

Doch kaum eine Kommune in Deutschland überprüft die Unternehmen nach einer Auftragsvergabe. Das zeigt eine Umfrage, die REPORT MAINZ in allen 14 Bundesländern mit Tariftreue-Regelung durchgeführt hat. Dreiviertel der Landkreise und kreisfreien Städte haben uns geantwortet. Gerade mal 4 Prozent geben an, im vergangenen Jahr Kontrollen durchgeführt zu haben. 96 Prozent haben nach einer Vergabe kein einziges Mal kontrolliert.

Keine Kontrollen wegen Personalknappheit

Woran liegt das? Wir sind in Rheine in Nordrhein-Westfalen. Mitte Juni hat der Zoll hier 13 Personen auf einer Baustelle aufgegriffen. Subunternehmer hatten sie trotz fehlender Aufenthaltsgenehmigung beschäftigt. Das Pikante: Es war ausgerechnet die Rathaus-Baustelle. Der Zoll ermittelt noch, ob Firmen auch gegen den Mindestlohn verstoßen haben.

Bürgermeister Peter Lüttmann erklärt im Interview, warum der Stadt als Auftraggeberin das nicht vorher aufgefallen ist. In NRW kann kontrolliert werden, es muss aber nicht.

Peter Lüttmann, parteilos, Bürgermeister Rheine:
„Das ist so Pflicht und Kür. Also wenn die Kommunen personalmäßig so ausgestattet sind, dass es schon schwierig wird, die Pflicht zu erfüllen, dann muss man schon konkrete Anlässe haben, um tätig zu werden. Das will ich schon sagen. und wir müssen auch sehen, dass die Baustelle irgendwann fertig wird. Also das ist dann ein Wunschdenken, das kann man fordern, aber wie gesagt, wir haben Probleme, das Pflichtprogramm zu erfüllen.”

In unserer Umfrage wollten wir auch wissen: Sind ausreichend Ressourcen vorhanden, um Tariftreue und Arbeitnehmerrechte zu überprüfen? Knapp zwei Drittel der Kommunen haben geantwortet. 35 Prozent mit Ja, 65 Prozent mit Nein.

Eine Stadt fällt aus dem Rahmen: Frankfurt am Main. Im vergangenen Jahr haben Désirée Jung und ihr Team 152 Vor-Ort-Kontrollen durchgeführt. Um die Tariftreue zu überprüfen, gibt es in Frankfurt drei Vollzeitstellen.

Désirée Jung, Kontrollstelle für Tariftreue Frankfurt:
„Uns ist es so wichtig, dass wir direkt vor Ort sind und auch die Mitarbeiter der von uns beauftragten Unternehmen sehen. Weil genau die bekommen entweder hoffentlich Mindestlohn oder Tarifentgelte bezahlt. Und genau da können wir ansetzen und auch fragen, ob dem tatsächlich so ist.”

Bürokratischer Aufwand überschaubar

Der Stadtkämmerer wiederum hält den bürokratischen Aufwand für seine Verwaltung und die Unternehmen für überschaubar.

Bastian Bergerhoff, B’90/Grüne, Finanzdezernent Frankfurt am Main:
„Deswegen werbe ich dafür, die Fairness, die man versprochen hat, auch einzuhalten und sich nicht davor zu drücken unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung, sondern das sind faire Regeln und die machen auch Sinn.”

Das sieht die Bundesregierung ähnlich. Das Kabinett hat deshalb Anfang dieses Monats einen Entwurf für ein Bundestariftreuegesetz auf den parlamentarischen Weg gebracht. Bund, Länder und Kommunen werden in den nächsten Jahren viele zusätzliche Aufträge vergeben: dank 500 Milliarden Euro aus dem sogenannten Sondervermögen Infrastruktur.

Und was ist mit Florin Gheorghe? Auch nach zwei Jahren hofft er noch, seinen Lohn zu bekommen. Hat sich dafür einen Anwalt genommen. Doch ohne Arbeitsvertrag und Stundenzettel als Belege scheinen die Chancen vor Gericht gering. Versuchen will er es trotzdem - für seine Tochter.

Florin Gheorghe:
„Es ist das Geld meines Kindes. Ich möchte, dass es eine vorbildliche Ausbildung erhält, dass es nicht das gleiche Schicksal erleidet wie ich, dass es einen sicheren Arbeitsplatz hat.”

Stand: 20.08.2025 10:56 Uhr