SENDETERMIN Di., 01.02.22 | 21:45 Uhr

Impfung gegen Corona: Missstände in Arztpraxen und Impfzentren

Abgelaufene Impfstoffdosen, unhygienische Impfzentren und nicht zugelassene Impfstoffe. Immer wieder kommt es zu Pannen in der Impfkampagne. Was macht die Politik, um das Vertrauen in die Impfkampagne zu sichern?

Missstände in Arztpraxen und Impfzentren

Anfang Dezember im Hamburger Hauptbahnhof. Hausdurchsuchung in einem Test- und Impfzentrum: Polizisten suchen nach Beweisen. Die Betreibergesellschaft soll gegen mehrere Regeln verstoßen haben. Wurde hier auch die Gesundheit der Patientinnen und Patienten aufs Spiel gesetzt? Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung gegen den Impfarzt.

Und hier, am Hauptbahnhof, beginnt meine Spurensuche:

Eva Schulz, Reporterin:
"Ich treffe Jürgen Schöneich. Er hat hier Anfang Dezember seine Booster-Impfung bekommen und was er dabei erlebt hat, hat ihn stark verunsichert."

Jürgen Schöneich
Jürgen Schöneich | Bild: SWR

Jürgen Schöneich, Betroffener:
"Ich habe gedacht, das sieht aus wie in der Dritten Welt. Also es lag Zeugs rum. Es war unordentlich, das ganze sah aus, sehr behelfsmäßig eben. Das ist ein Raum, der ist so groß, naja, so groß wie ein normales Wohnzimmer, ein bisschen größer vielleicht. Und da waren 20 Leute drin. Die Kabine war so groß wie eine Telefonzelle. Und dann kam von hinten jemand und impfte mich."

Keine Fragen, keine Ruhezeit, erzählt er. Das sei alles so schnell gegangen, dass er erst am Abend das Gefühl bekommen habe: Hier stimmt was nicht.

Jürgen Schöneich, Betroffener:
"Und dann habe ich angefangen, zu zweifeln. Und dann ist mir aufgefallen, dass ich überhaupt nichts unterschrieben habe, gar nichts – keine Aufklärung, kein Unterschreiben. Und dass sie eigentlich nur meine Ausweisnummer sehen wollten."

Einen Arzt habe Schöneich nicht gesehen. Und nicht nur er hat sich nach der Impfung Sorgen gemacht: Mehrere Bürger beschweren sich aus den gleichen Gründen. Nach acht Tagen, so die Stadt, lässt sie das Zentrum schließen – unter anderem wegen Verstoßes gegen die Hygienevorgaben. Und: Es sei unklar, ob der Impfstoff richtig gelagert wurde und damit überhaupt richtig wirksam war. Jürgen Schöneich hat sich inzwischen sicherheitshalber ein viertes Mal impfen lassen.

Eva Schulz, Reporterin:
"Ich hätte nie gedacht, dass so etwas passieren kann. Wie konnte es hier dazu kommen? Die zuständigen Behörden wollen uns leider kein Interview geben."

Opposition fordert Aufklärung

Über das Impfzentrum spreche ich mit Stephan Gamm, dem gesundheitspolitischen Sprecher der CDU. Sie ist Teil der Opposition in Hamburg. Gamm drängt darauf, dass der Vorfall aufgeklärt wird.

Eva Schulz, Reporterin:
"Da haben die Abstände gefehlt, unhygienische Zustände. Wie bewerten Sie das?"

Stephan Gamm
Stephan Gamm | Bild: SWR

Stephan Gamm, CDU, Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft:
"Also all das, was dort passiert ist, ist eigentlich ein unglaublicher Vorgang. Und das wirklich in der Mitte Hamburgs. Dass so etwas möglich ist, hätte ich mir selber nicht vorstellen können."

Vor allem kritisiert Gamm, dass das Zentrum vorher gar nicht kontrolliert worden sei und die Behörden es erst nach zahlreichen Beschwerden geschlossen hätten. Die Stadt weist daraufhin, dass sich Ärzte an die Impfverordnung halten müssten. Soll wohl heißen: Vorab wird nicht kontrolliert.

Stephan Gamm, CDU, gesundheitspolitischer Sprecher:
"Solche Vorfälle, wie wir sie jetzt am Hauptbahnhof erlebt haben, führen dazu, dass die Impfkampagne einen schweren Schaden nimmt, weil die Glaubwürdigkeit massiv beschädigt wird."

Kurz vor dieser Sendung gelingt es uns, ein Interview mit dem Geschäftsführer des Impfzentrums, Björn Neumann, zu führen. Er weist fast alle Vorwürfe zurück. Die Impfungen seien ordnungsgemäß abgelaufen.

Björn Neumann
Björn Neumann | Bild: SWR

Björn Neumann, Geschäftsführer des Impfzentrums:
"Wir haben über tausend Leute geimpft und Sie werden es immer haben, dass Sie bei einer Menge von sehr, sehr vielen Leuten, wie gesagt über tausend, da werden Sie immer ein, zwei Leute dabei haben, die vielleicht sich nicht wohlgefühlt haben. Ich weiß aber objektiv, dass es eben nicht so war, dass es nicht so war, dass da unsauber gearbeitet worden ist. Wie gesagt, es war eng, das stimmt. Die obergroße Menge war zufrieden mit dem Impfangebot und wir hätten es gerne fortgeführt."

Alles also halb so wild? Unser Eindruck nach mehreren Wochen Recherche ist ein anderer.

Abgelaufener Impfstoff verimpft

Wir sind in Köln, denn auch hier gab es einen Vorfall - mit abgelaufenem Impfstoff. Einer der Betroffenen ist Berthold Bronisz. Er hat Post bekommen vom Gesundheitsamt.

Berthold Bronisz, Betroffener:
"Das habe ich jetzt schriftlich. Ich gehöre zu den 2.000 Leuten, die halt eben den abgelaufenen Impfstoff bekommen haben."

Der Impfstoff bei seiner Booster-Impfung hätte also gar nicht mehr verwendet werden dürfen.

Berthold Bronisz, Betroffener:
"Ich weiß ja nicht, bin ich jetzt geboostert oder nicht? Kann ich jetzt irgendwo in ein Lokal gehen, ohne der Gefahr mich auszusetzen, dass ich jetzt angesteckt werde, vielleicht sogar einen Impfdurchbruch bekomme durch diesen abgelaufenen Impfstoff."

Für Berthold Bronisz ein besonderes Risiko, er leidet unter Vorerkrankungen. Und nicht nur er ist besorgt. Denn bei insgesamt 18 Impfaktionen in Köln, wie solchen, wurde rund um den Jahreswechsel Impfstoff verabreicht, der zum Teil mehrere Tage abgelaufen war. Etwa 2.000 Menschen waren betroffen.

Eva Schulz, Reporterin:
"Was ist denn jetzt das vorherrschende Gefühl, wenn Sie daran denken, was Ihnen da passiert ist? "

Berthold Bronisz, Betroffener:
"Ärger. Also am Anfang natürlich Sorge, die schwingt immer mit. Aber eindeutig Ärger. Wut. Es muss ja irgendwelche Verantwortlichen geben, die dann tatsächlich auch mal nachgucken, ob das jetzt alles so richtig ist, was man da macht. Und die hat es ja scheinbar nicht gegeben."

Eva Schulz, Reporterin:
"Schädlich sei so eine abgelaufene Impfung nicht, so zumindest die Einschätzung des Paul-Ehrlich-Instituts, das in Deutschland für die Impfstoffsicherheit zuständig ist. Trotzdem wird Betroffenen geraten, sich noch einmal impfen lassen, um sicherzustellen, dass sie auch wirklich geschützt sind. Aber wie konnte das hier passieren?"

Die Stadt sagt uns: Rund um Weihnachten wollten sich weniger Kölnerinnen und Kölner impfen lassen als erwartet. Es blieb Impfstoff übrig, den die Mitarbeitenden in den nächsten Tagen verimpfen wollten. Das Problem: Die entscheidende Info, nämlich wie lange der Impfstoff überhaupt haltbar ist, war auf einem Zettel beigelegt - und der wurde offenbar nicht beachtet.

Eva Schulz, Reporterin:
"Hier wurde also nicht richtig hingeguckt. Und zwar gleich neun Tage lang, bei 18 verschiedenen Impfaktionen."

Alex Lechleuthner leitet den Rettungsdienst der Stadt Köln und ist für diese Aktionen mitverantwortlich gewesen.

Eva Schulz, Reporterin:
„Wie würden Sie das nennen? War das eine Panne?”

Alex Lechleuthner
Alex Lechleuthner | Bild: SWR

Prof. Alex Lechleuthner, Leiter Rettungsdienst Stadt Köln:
"Das ist eine Impfpanne. Das ist ein unerwünschtes Ereignis. Das tut uns auch leid natürlich, dass durch eine Störung in unserer Impfkampagne, in unserem Impfprozess, so etwas entsteht."

Damit sich solche Pannen nicht wiederholen, haben Lechleuthner und sein Team reagiert: Künftig werden die Verpackungen mit dem richtigen Ablaufdatum beschriftet. Was abends übrig ist, wird strenger kontrolliert – und notfalls weggeworfen.

Doch unsere Recherchen zeigen: Bundesweit wurde immer wieder abgelaufener Impfstoff verimpft. Allein in den vergangenen fünf Wochen gab es knapp 8.000 solcher Vorfälle - im Schnitt also rund 200 pro Tag.

Eva Schulz, Reporterin:
"Tausende Fälle: Diese Zahl mag angesichts von über 160 Millionen verabreichten Impfdosen in Deutschland klein erscheinen. Und doch ist jeder Fall ein Fall zu viel, weil er das Vertrauen in die Impfkampagne massiv beschädigen kann. Bei unseren Recherchen sind wir aber auf noch krassere Fälle gestoßen.”

Laborarzt Stöcker entwickelt eigenen Corona-Impfstoff

Eine Facebook-Gruppe von Anhängern des Laborarztes Winfried Stöcker. Er entwickelte nach eigenen Angaben schon Anfang 2020 einen eigenen Corona-Impfstoff, der angeblich sicherer sei als die anderen. Damit habe er sich selbst geimpft. Außerdem sollen bei einer Aktion am Lübecker Flughafen Ende November zahlreiche Freiwillige den Impfstoff bekommen haben.

Eva Schulz, Reporterin:
"Und das, obwohl der Impfstoff nicht zugelassen ist."

Wegen dieser Aktionen ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft. Der Verdacht: Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz.

Über den Fall spreche ich mit dem Wiesbadener Arzt Christian Sommerbrodt. Denn noch immer werden die einzelnen Bestandteile des Impfstoffs im Netz angeboten. Stöcker schreibt auf seinem Blog, Ärzte könnten sie sich selbst zusammenmischen und dann verimpfen. Angeblich sei das legal.

Christian Sommerbrodt, Facharzt für Allgemeinmedizin:
"Einen nicht zugelassenen Impfstoff eventuell in eigener Regie zusammenzumischen, auch so, wie sich diese Anleitung hier liest, muss man sagen, ist definitiv verboten."

Auch das zuständige Paul Ehrlich-Institut bestätigt uns, der Impfstoff von Stöcker dürfe weder verkauft noch verimpft werden.

Eva Schulz, Reporterin:
"Inwiefern halten Sie diesen Mann, diesen Mediziner und Unternehmer, für gefährlich?"

Christian Sommerbrodt
Christian Sommerbrodt | Bild: SWR

Christian Sommerbrodt, Facharzt für Allgemeinmedizin:
"Er ist deswegen gefährlich, weil es natürlich viele Patienten gibt, die dann auch solchen Menschen ein Stück weit glauben wollen. Und das wird hier sicherlich ausgenutzt."

Winfried Stöcker hingegen bleibt dabei, auch uns gegenüber: Sein Impfstoff sei sicher, wirksam und die Impfung legal.

Eva Schulz, Reporterin:
"Unsere Recherchen ergeben, dass tatsächlich bundesweit mehrere Ärzte diesen Impfstoff bestellt und auch verimpft haben. Gegen mindestens einen von ihnen wird jetzt ermittelt, sowie auch gegen Stöcker selbst."

Und es gibt noch mehr Ermittlungen, weil zahlreiche Betroffene bei Impfungen getäuscht worden sein sollen. Gegen eine Krankenschwester in Friesland, die Kochsalz gespritzt haben soll. Hier mussten 10.000 Menschen nachgeimpft werden. Eine Ärztin am Bodensee soll mehreren Patienten einen Impfstoff verabreicht haben, der mit homöopathischen Substanzen gestreckt gewesen sein soll. Und in Wemding in Bayern soll ein Arzt seinen Patienten nur vorgetäuscht haben, sie geimpft zu haben.

Mehrere Ermittlungen und Impfpannen also. Betroffene wie Jürgen Schöneich und Berthold Bronisz beschäftigt, wie sich all das auf die Impfkampagne auswirkt.

Berthold Bronisz
Berthold Bronisz | Bild: SWR

Berthold Bronisz, Betroffener:
"Das Vertrauen ist mit Sicherheit bei vielen, bei den meisten wahrscheinlich sogar, dahin. Bei mir auch. Und zum anderen sehe ich aber auch die Gefahr, dass gerade solche Situationen, die da entstanden sind, Wasser auf den Mühlen, ich sag mal, von irgendwelchen Corona-Leugnern und Impfgegnern sind."

Jürgen Schöneich, Betroffener:
"Angenommen ich wäre ein Impfgegner, was ich ja nicht bin mit vier Impfungen, dann hätte ich jetzt super gute Argumente, den Leuten das zu erklären."

Eva Schulz
Eva Schulz | Bild: SWR

Eva Schulz, Reporterin:
"Den Impfgegnern Argumente liefern – das kann die Politik doch nicht wollen. Wir fragen beim Gesundheitsministerium nach: Wie bedroht sieht man dort das Vertrauen in die Impfkampagne?"

Man schreibt uns:

Bundesgesundheitsministerium:
"Jeder Einzelfall, der aufgrund der Nichteinhaltung bestehender Gesetze und Vorgaben auftritt, ist prinzipiell geeignet, Vertrauen zu beeinträchtigen. (...) Wenn Einzelfälle bekannt werden, in denen Impfungen nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurden, zeigt dies, dass die Kontrollmechanismen auf Landesebene funktionieren."

Ja, all diese Fälle sind aufgefallen - aber zum Teil erst, nachdem tausende Menschen betroffen waren. Auch nach einem Jahr Impfkampagne müssen die Verantwortlichen weiter ganz genau hinschauen, um das Vertrauen zu sichern.

Stand: 2.2.2022, 14.08 Uhr

Autor*innen: Philipp Reichert, Eva Schulz, Aleksandra van de Pol
Kamera: Cornelius Gerhard, Matthias Kulik, Christian Rower, Thomas Schäfer, Till Talmann
Schnitt: Frank Rosam

Stand: 08.02.2023 15:27 Uhr

Sendetermin

Di., 01.02.22 | 21:45 Uhr