Faktencheck zur Sendung vom 11.05.2025

Faktencheck zur Sendung vom 11.05.2025
Faktencheck zur Sendung vom 11.05.2025 | Bild: NDR/Thomas Ernst

Bei „Caren Miosga“ finden lebhafte Diskussionen statt, in denen die Gäste oft in schneller Abfolge verschiedenste Argumente, Statistiken und Zitate heranziehen. Es bleibt in einer Live-Talkshow nicht immer die Zeit und Möglichkeit, alle Wortbeiträge und Sachverhalte umfassend und abschließend zu klären. Die Redaktion bietet daher an dieser Stelle einen Faktencheck. Dieser dient nicht allein der Prüfung der Aussagen, sondern soll auch Hintergrundinformationen, aktuelle Entwicklungen und zusätzliche Perspektiven vermitteln.

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Wortbruch bei der Schuldenbremse?

Kanzleramtschef Thorsten Frei sagte in der Sendung (in Minute 11:54) bezogen auf die Ausnahme der Schuldenbremse, die die Regierung Merz bereits vor den Koalitionsverhandlungen zusammen mit der SPD auf den Weg gebracht hat:   

„Das war kein Wortbruch. Dem muss ich widersprechen. Wir mussten sehr flexibel auf eine sehr zuspitzende Situation reagieren. (...) Ich verstehe die Kritik, die will ich gar nicht vom Tisch wischen, aber es hat sich natürlich schon etwas verändert. Denken Sie an die Rede von JD Vance in München bei der Sicherheitskonferenz. Oder denken Sie an die Situation im Oval Office als Selenskyj bei Donald Trump war. Das waren schon Dinge, die wir so in der Vergangenheit so nicht erlebt haben.”  

Hat Friedrich Merz die Abschaffung der Schuldenbremse oder deren Reform im Wahlkampf ausgeschlossen?  

Nach dem Ende der Ampelregierung und dem Beginn des Wahlkampfs stellte Merz klar:  „Bevor wir nicht auf der Ausgabenseite wirklich durchgreifend korrigiert haben, wird es eine Änderung der Schuldenbremse ganz sicher nicht geben.” (Quelle: DLF, 27.11.2024)  

Auch beim Kanzlerduell mit dem damaligen amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte Kanzlerkandidat Friedrich Merz auf die Reform der Schuldenbremse angesprochen: „Grundsätzlich sollten wir irgendwann mal mit dem Geld auskommen, das wir an Steuern in Deutschland einnehmen - und das sind mittlerweile fast 1.000 Milliarden Euro pro Jahr.” (Quelle: TV-Duell zwischen Merz und Scholz, 09.02.2025)  

Noch zwei Tage nach der Bundestagswahl, am 25. Februar, sagte Merz vor einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: „Es ist in der nahe liegenden Zukunft ausgeschlossen, dass wir die Schuldenbremse reformieren.” Das sei, „wenn es überhaupt stattfindet, eine ziemlich umfangreiche, schwierige Arbeit, die da zu leisten ist”. (Quelle: DLF, 25.02.2025)  

Auch im Wahlprogramm der Union zur Bundestagswahl findet sich ein klares Bekenntnis zur Schuldenbremse:  „Wir halten an der Schuldenbremse des Grundgesetzes fest. (...) Sie stellt sicher, dass Lasten nicht unseren Kindern und Enkeln aufgebürdet werden. Sie verpflichtet die Politik, mit den Einnahmen auszukommen, die für die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zur Verfügung stehen, und sichert so die dauerhafte Tragfähigkeit des Bundeshaushalts. Auch in Krisenzeiten hat sie ihre Funktionsfähigkeit und Flexibilität bewiesen.” (Quelle: Politikwechsel für Deutschland. Wahlprogramm von CDU und CSU)  

Am 4. März 2025 haben CDU/CSU und SPD im Rahmen ihrer Sondierungsgespräche offiziell angekündigt, ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für Infrastrukturinvestitionen zu schaffen. Gleichzeitig verständigten sie sich darauf, die Schuldenbremse im Grundgesetz für bestimmte Verteidigungsausgaben zu lockern. Die Regierung Merz hat damit noch vor ihrem eigentlichen Zustandekommen faktisch die Schuldenbremse ausgesetzt. (Quelle: Tagesschau.de, 04.03.2025)  

Fazit: Thorsten Freis Aussage ist nicht korrekt. Friedrich Merz hatte vor und nach der Bundestagswahl eine Abschaffung oder Reform der Schuldenbremse zunächst ausgeschlossen. Auch im Wahlprogramm ist klar ein Festhalten an der Schuldenbremse benannt. Die Entscheidung, noch vor der Formierung einer Bundesregierung, 500 Milliarden Euro durch ein Sondervermögen aufzunehmen und Ausgaben von der Schuldenbremse auszunehmen, kann man als Wortbruch werten. Die CDU und Friedrich Merz hatten während dem Wahlkampf etwas anderes angekündigt.   

Weitere Hintergrund-Informationen zum Thema: tagesschau.de

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Zurückweisungen Frankreich, Österreich und Polen  

Der neue Kanzleramtsminister Thorsten Frei sagte ab Minute 26:38:

„Generell kann man sogar sagen, dass Deutschland, das ja immer eine Sonderrolle in der Migrationspolitik in den letzten Jahren hatte, bewegt sich jetzt eher wieder in die Mitte der Migrationspolitik in Europa. Deshalb gibt es ein positives Grundverständnis. Bei Macron weil er beispielsweise selbst Zurückweisungen an den Grenzen zu Italien und Spanien macht. Bei Österreich beispielsweise, weil Österreich sich bei der Einschränkung des Familiennachzugs auf den Artikel 72 AEUV bezieht. Und Donald Tusk macht exakt das gleiche an der Grenze zu Belarus.”  

Wie ist die grundsätzliche Rechtslage?  

Nach deutschem Recht sind Zurückweisungen bei der Einreise aus einem sicheren Drittstaat durchaus möglich. Nach Paragraph 18 Asylgesetz ist einem Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat einreist, sogar die Einreise zu verweigern. Auf diesen Paragraphen bezieht sich auch Thorsten Frei in unserer Sendung (ca. bei Minute 31:15). Die deutschen Regeln werden aber weitgehend von EU-Recht überlagert. Maßgeblich sind die sogenannten Dublin-Regeln. In der Dublin-III-Verordnung etwa wird geregelt, welcher EU-Staat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist. In der Regel ist das der Staat, den der Geflüchtete zuerst betreten hat. Eine einfache Abweisung an der Grenze ist demnach nicht zulässig. Vielmehr müssen Asylsuchende in einem geordneten Verfahren überstellt werden.

Doch auch das EU-Recht bietet eine Ausnahme, die sogenannte Notlage nach Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV). Der ist aber nur einschlägig, wenn es um „die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit" geht, Deutschland sich also in einer nationalen Notlage befindet. Aktiv ausrufen muss die Bundesregierung diese Notlage nach Einschätzung von Experten wie Daniel Thym aber nicht, sondern kann die Zurückweisungen erstmal umsetzen. Relevant würde Artikel 72 AEUV dann vor Gericht, wenn Deutschland erklären müsste, warum es vom Europarecht abweicht. In der Vergangenheit hatte der EuGH die Berufung auf eine Notlage in Asylfragen schon mehrfach abgelehnt. (Quelle: Dublin-Verordnung der EU, zitiert in: zdf.de, 10.2.25)  

Wie agieren Frankreich, Österreich und Polen? 

Frankreich:

Frankreich hatte unter dem Eindruck der Terroranschläge von Paris Ende 2015 wieder regelmäßige Grenzkontrollen eingeführt. Seit 2015 hat Frankreich die Ausnahmeregelung dafür alle sechs Monate verlängert.   

Laut dem Schengener Grenzkodex ist es erlaubt, bei Gefahrenlagen vorübergehend Grenzkontrollen einzuführen. Diese müssen in regelmäßigen Abständen bewertet und es muss belegt werden, warum Kontrollen weiterhin notwendig sind. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied in einem Urteil gegen Österreich vom 26. April 2022, dass die kontinuierliche Verlängerung der Grenzkontrollen rechtswidrig sei. Frankreich hielt dennoch an Grenzkontrollen fest und ist bestrebt, dass es zu einer entsprechenden Anpassung des Grenzkodex kommt.  

An der Grenze zu Italien und zu Spanien werden auf der Grundlage von bilateralen Rücknahmevereinbarungen Personen zurückgewiesen, die keine gültigen Einreisepapiere bei sich führen. Die französische Regierung sieht die Einreiseverweigerungen durch Artikel 14 des Schengener Grenzkodex gedeckt. Das gilt nach vorherrschender Rechtsauffassung in Paris auch für Personen, die einen Asylantrag gestellt haben. Da es sich bei Italien und Spanien um sichere Drittstaaten handele, greife das Refoulement-Verbot in diesem Fall nicht, so die Bewertung im französischen Innenministerium.  

Der Schengener Grenzkodex lässt Grenzkontrollen unter bestimmten Voraussetzungen zu. Damit ist auch eine Einreiseverweigerung an der Grenze möglich (Art. 14). Der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil vom 21.9.23 zu diesen Zurückweisungen allerdings klargestellt, dass in einer solchen Situation eine Entscheidung über die Einreiseverweigerung auf der Grundlage des Schengener Grenzkodex erlassen werden kann, dass aber im Hinblick auf die Abschiebung des Betroffenen die in der Rückführungsrichtlinie vorgesehenen Normen und Verfahren (bspw. Frist zur freiwilligen Ausreise, Rechtsbeistand etc.) beachtet werden müssen. (Quellen: FAZ, 1.2.2025; Urteil des EuGH vom 21.9.23)  

Österreich: 

Die neue österreichische Bundesregierung entschied im März 2025 den Familiennachzug für asylberechtigte Personen vorerst zu stoppen. Im Mai wurde dies vom dortigen Bundesrat bestätigt. Die Koalition in Wien beruft sich dabei auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der es den Mitgliedstaaten ermöglicht, aufgrund der Gefährdung der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit von einzelnen Bestimmungen des sekundären Asylrechts der EU abzuweichen. Die Regelung soll bis Ende September 2026 in Kraft sein. (Quelle: parlament.gv.at, 8.5.2025)  

Polen:

An Polens Grenze zu Belarus versuchen Tausende Flüchtlinge seit Monaten mit kaum verdeckter Unterstützung der belarussischen Behörden die stark befestigte Grenze zu überqueren. Polen wirft Belarus und Russland vor, mit den Migrantinnen und Migranten gezielt die EU zu destabilisieren.  

Als Reaktion darauf hat die polnische Regierung nun angekündigt, das Asylrecht einzuschränken. Das neue Gesetz sieht vor, dass in Notlagen an der Grenze für 60 Tage nur Ausländer einen Asylantrag stellen dürfen, die legal nach Polen eingereist sind. Mit Zustimmung des Parlaments soll die Regelung verlängert werden können. Eine Notlage sieht die polnische Regierung vor allem an der östlichen EU-Außengrenze nach Belarus. Und die Regierung handelt mit Rückendeckung der EU-Kommission, die im Dezember 2024 erklärte, dass die an Russland und Belarus grenzenden Mitgliedstaaten das Asylrecht einschränken dürfen, wenn Moskau und Minsk Migranten als „Waffe” einsetzen.  

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) könnte darauf hinweisen, dass Polen rechtskonform handelt. Der EGMR erachtete die Zurückweisungen an Außengrenzen als zulässig, wenn große Gruppen von Menschen versuchen eine grüne Grenze zu überqueren statt an einem Kontrollposten um Asyl nachzusuchen. Allerdings hat dasselbe Gericht auch schon anders entschieden. Erst im Januar 2025 bescheinigte es Griechenland eine rechtswidrige „systematische Praxis von Pushbacks” an der Landgrenze zur Türkei. Ungarn wurde vom Europäischen Gerichtshof sogar zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. (Quelle: Spiegel, 27.3.25; FAZ, 19.2.2025; Tagesschau.de, 7.2.2025)  

Fazit: Die Aussagen von Thorsten Frei sind im Kern richtig, allerdings sind die Maßnahmen der genannten Länder im Detail nicht immer vergleichbar mit den Ankündigungen der deutschen Regierung. So ist es richtig, dass Frankreich an den Grenzen zu Italien und Spanien seit Jahren Grenzkontrollen durchführt und es auch zu Zurückweisungen kommt. Pauschalen Zurückweisungen hat der EuGH allerdings mit einem Urteil aus dem Jahr 2023 einen Riegel vorgeschoben.   

Richtig ist auch, dass sich Österreich auf eine Notlage nach Artikel 72 AUEV beruft, um die Pausierung des Familiennachzugs zu begründen.  

Auch Polen hat sein Asylrecht verschärft und will damit Zurückweisungen an der EU-Außengrenze ermöglichen. Fraglich ist, ob die Regelung mit dem Refoulementverbot (Verbot der Zurückweisung in Länder, in denen Gefahr droht) vereinbar ist. Allerdings handelt Polen mit Rückendeckung der EU-Kommission. Insgesamt ist das Vorgehen Polens nicht unbedingt vergleichbar mit dem Deutschlands, weil es sich um eine EU-Außengrenze handelt.  

Weitere Hintergrund-Informationen zum Thema:    

verfassungsblog.de
tagesschau.de
faz.net
spiegel.de

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Rückgang der Asylzahlen 

Bei Minute 36:17 sagt Moderatorin Caren Miosga in der Sendung:

„Wie weit müssen die Zahlen heruntergehen? Wir haben sie ja jetzt schon halbiert im Vergleich zum vergangenen Jahr”  

Kanzleramtschef Thorsten Frei entgegnet daraufhin:

„Von einem sehr, sehr hohen Niveau” 

Wie hat sich die Zahl der Erstanträge auf Asyl in den vergangenen Jahren entwickelt?   

Tatsächlich ist die Anzahl der Erstanträge von Januar bis Ende April 2025 im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken. Im bisherigen Berichtsjahr 2025 erreichten das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 45.681 Erstanträge auf Asyl. Das ist nur knapp die Hälfte (46,2 Prozent) der Anträge im gleichen Zeitraum des Vorjahres (84.984).  

Auch im vergangenen Jahr schon waren die Zahlen deutlich zurückgegangen. So lag die Zahl der Erstanträge 2024 bei 229.751. 2023 waren es noch 329.120 gewesen. Es ließ sich ein Rückgang von ungefähr 30 Prozent feststellen. 2022 wurden 217.774 Erstanträge eingereicht.   

Den Rekord erreichte die Anzahl der Erstanträge im Jahr 2016. Zum Höhepunkt der Fluchtbewegung nach Europa wurden 722.370 Erstanträge gestellt. Ab 2017 sank das Niveau zunächst auf 198.317 Erstanträge, dann weiter auf 161.931 im Jahr 2018, bis es 2020 (auch durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie) den Tiefstand der vergangenen Jahre mit 102.581 Erstanträgen erreichte. 2021 stiegen die Zahlen leicht auf 148.233 Erstanträge. (Alle Informationen, Quelle: BAMF)  

Fazit: Die Zahlen des BAMF belegen, dass die Antragszahlen im Zeitraum Januar bis Ende April 2025 im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zurück gegangen sind und deutlich unter dem Höchststand von 2016 liegen. Es ist aber auch korrekt, dass in den Jahren 2022 und 2023 ein deutlicher Anstieg der Antragszahlen im Vergleich zu den Jahren 2017 bis 2021 vorlag. 2024 gingen die Anträge unter der Vorgängerregierung bereits zurück. Die Aussagen sind daher im Kern alle korrekt: Die Zahlen haben sich im Vergleich zum Vorjahr halbiert, sie kommen allerdings von einem vergleichsweise hohen Niveau.  

Weitere Hintergrund-Informationen zum Thema:    

bpb.de
bamf.de

Stand: 12.05.2025