Faktencheck zu "maischberger extra"

Sendung vom 28.06.2023

Faktencheck

Zu Gast: Bundeskanzler Olaf Scholz
Zu Gast: Bundeskanzler Olaf Scholz | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Kann Deutschland in den nächsten Jahren seine Klimaziele erreichen?

Kann Deutschland in den nächsten Jahren seine Klimaziele erreichen?

Mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach Sandra Maischberger u.a. über das sogenannte Heizungsgesetz, das seit einiger Zeit kontrovers diskutiert wird. Scholz zeigte sich überzeugt, dass Deutschland mit diesem Gesetz und weiteren Maßnahmen seine Klimaziele erreichen werde.

Kanzler Scholz zur Klimapolitik: Kann Deutschland seine Ziele erreichen?

Maischberger: "Diejenigen, die aufs Klima achten, z.B. Greenpeace, sagen, mit diesem Gesetz, also mit dem 'aufgeweichten Heizungsgesetz rückt das Erreichen der Regierungsziele beim Klimaschutz in weite Ferne.' Haben die einfach Recht?"

Scholz: "Nein."
 

Maischberger: "Sie glauben, dass Sie klimaneutral werden 2045?"

Scholz: "Ja."

Maischberger: "Mit diesem Gesetz?"

Scholz: "Unter anderem mit diesem Gesetz und vielen anderen Gesetzen."

(…)

Maischberger: "Sie haben z.B. gesagt, man braucht täglich vier bis fünf neue Windräder an Land. Man braucht täglich 43 Fußballfelder Photovoltaik. Pro Tag neue Fußballfelder. Also, bei den Windrädern sind wir gerade bei, ich glaube, 1,4 Windrädern am Tag. In dem Tempo weitergeschrieben wird das natürlich nichts. Wann wollen Sie denn dann den Rest bauen?"

Scholz: "In den nächsten Jahren bis 2030, was die 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen betrifft, und dann weiter –"

Maischberger: "Aber wenn man jetzt nicht fünf [Windräder] am Tag baut, sondern eins, müssen Sie ja dann irgendwann einmal zehn am Tag bauen."

Scholz: "Genau. Deshalb machen wir das jetzt auch so, dass wir das aufschreiben. Wir haben ein Monitoring begonnen: Was heißt das für ganz Deutschland, was heißt das pro Bundesland? Und wir werden dieses Monitoring wie ein ordentliches Unternehmen mit allen teilen und sagen, ihr müsst noch zulegen, und wer in dem einen Jahr weniger macht, muss in den nächsten Jahren mehr machen."

(…)

Maischberger: "Das heißt also, die vier [Windräder], die heute nicht gebaut werden, werden dann bis zum Ende der Legislaturperiode –"

Scholz: "Also, die vier bis fünf pro Tag brauchen wir. Und jedes Jahr, wo wir diese Zahl noch nicht erreichen, erhöht sich die Zahl, die in den Folgejahren erreicht werden muss. Aber auf die Frage, werden wir das schaffen, dass wir das Tempo, das wir benötigen, bis zum Ende der Legislaturperiode erreicht haben? Ja."

Maischberger: "Das Deutschland-Tempo, das berühmte."

Scholz: "Das Deutschland-Tempo, das eben auch dafür gilt."

Maischberger: "Wir schaffen das, ja?"

Scholz: "Wir kriegen das hin."

Stimmt das? Kann Deutschland in den nächsten Jahren seine Klimaziele erreichen?

Die Klimaziele der Bundesrepublik Deutschland sind im Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) festgeschrieben. Demnach muss der Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 verringert werden. Für das Jahr 2040 gilt ein Minderungsziel von mindestens 88 Prozent, bis zum Jahr 2045 muss Deutschland dann schließlich die Treibhausgasneutralität erreichen. Das KSG sieht dabei für jedes Ressort (Energie, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft) spezifische Einsparziele pro Jahr vor.

Wie das Umweltbundesamt im März 2023 mitteilte, konnte die Bundesrepublik ihr Ziel für das Jahr 2022 einhalten. Die laut KSG maximal zulässige Emissionsmenge lag bei 756 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Tatsächlich ausgestoßen wurden 746 Millionen Tonnen, was einem Minus von 1,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Im Vergleich zum Jahr 1990 wurden damit 40,3 Prozent weniger Treibhausgase emittiert. 

Gleichzeitig betont das Umweltbundesamt aber, dass es mit der Energiewende allgemein zu langsam vorangehe. Wenn es mit den Treibhausgasemissionen so weiterlaufe wie bisher, würden die Ziele der kommenden Jahre wohl nicht erreicht werden. Zwei Prozent pro Jahr seien ab sofort deutlich zu wenig. "Wir brauchen eine Geschwindigkeit von sechs Prozent Reduzierung pro Jahr von heute an bis 2030", so Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts. Ein jährliches Minus von zwei Prozent gegenüber dem jeweiligen Vorjahr würde bedeuten, dass Deutschland im Jahr 2030 immer noch 636 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen würde – das Ziel sind aber maximal 438 Millionen Tonnen. 

Im April 2023 bestätigte der Expertenrat für Klimafragen die Zahlen des Umweltbundesamts. Die Sektoren Verkehr und Gebäude verfehlten dem Bericht zufolge die Vorgaben erneut, während bei allen anderen Sektoren die Emissionswerte unterhalb der Zielwerte lagen. Als wesentlichen Grund für die Einsparungen sehen die Expertinnen und Experten die Folgen des Krieges in der Ukraine. Das Wachstum der Wirtschaftsleistung fiel dadurch geringer aus. Andernfalls hätten nach einer Überschlagsrechnung die Treibhausgasemissionen um rund neun Millionen Tonnen höher gelegen. Die Expertinnen und Experten empfehlen der Regierung zur Erreichung der Klimaschutzziele vor allem "konkrete Maßnahmen in Richtung Energieeffizienz" im Gebäudesektor und in der Industrie. Der bisherige Ausbau im Bereich Wärmepumpen, erneuerbare Energie und Elektromobilität sei nicht ausreichend. Im Verkehrssektor werde es bis 2025 keine Trendwende geben, "wenn wir nicht stärkere Maßnahmen sehen", mahnte der Vorsitzende des Expertenrats, Hans-Martin Henning.

Sogar Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, äußerte sich zuletzt wenig optimistisch, was das Erreichen der Klimaziele angeht. "Deutschland schafft im Moment rechnerisch seine Klimaziele sowieso nicht", sagte der Grünen-Politiker am 18.6.2023 bei Anne Will und machte dafür vor allem das von Volker Wissing (FDP) geführte Verkehrsministerium verantwortlich. Der Verkehrssektor habe eine "zu große Lücke" bei den Einsparungen gelassen.

Der Expertenrat für Klimafragen kritisierte überdies die von der Ampel am 21.6.2023 auf den Weg gebrachte Änderung des Klimaschutzgesetzes, wonach es künftig keine verbindlichen Einsparungsziele für die einzelnen Ressorts mehr geben soll. Zielverfehlungen in einem Bereich sollen dann mit Fortschritten in anderen Sektoren verrechnet werden. Der Expertenrat fordert, dass die zuständigen Minister weiterhin verantwortlich bleiben müssen, insbesondere weil im Verkehrs- und Gebäudesektor erneut die Vorgaben verfehlt wurden. Wenn die ausdrückliche Ressortverantwortung aufgeweicht werde, gebe es ein höheres Risiko, dass die Ziele auch in Zukunft verfehlt würden. Die Bundesregierung hingegen betont, man werde weiterhin für "volle Transparenz bei den einzelnen Sektoren" sorgen. Es solle auch zukünftig deutlich gemacht werden, wo die Emissionen entstehen und welcher Sektor nachbessern müsse. "Alle für die Sektoren verantwortlichen Bundesministerien haben ihren angemessenen Beitrag zur Erreichung der nationalen Klimaschutzziele zu leisten", heißt es in einer entsprechenden Pressemitteilung.

Außerdem legte die Bundesregierung parallel zur Gesetzesänderung einen Entwurf für ein Klimaschutzprogramm vor. Dieses umfasst zahlreiche Maßnahmen, die auf allen Sektoren zur Einhaltung der Einsparziele beitragen sollen. Mit diesem Programm rücke das deutsche Klimaziel für 2030 erstmals in Reichweite, heißt es seitens der Ampel. Zurzeit arbeitet der Expertenrat an einer Stellungnahme zu dem Maßnahmenpaket, das erst danach im Kabinett beschlossen werden kann.

Wie in der Sendung gesagt wurde, kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Interview mit der "Bild am Sonntag" vom 5.2.2023 an, bis 2030 im Schnitt täglich vier bis fünf Windräder an Land bauen zu wollen. Unmöglich ist das nicht. Nach Angaben der Fachagentur Windenergie an Land wurden im bisherigen Spitzenjahr 2017 sogar etwas mehr als fünf Windräder täglich aufgestellt, nämlich insgesamt 1858. Zwei Jahre später sackte dieser Wert allerdings auf 283 neue Anlagen ab, nicht einmal 0,8 täglich. 2022 lag der Tagesschnitt bei 1,5.

Fazit: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich in unserer Sendung überzeugt, dass Deutschland seine gesetzlich verankerten Klimaziele in den kommenden Jahren erreichen werde. Sowohl das Umweltbundesamt als auch der Expertenrat für Klimafragen sind in dieser Frage allerdings weniger optimistisch. Zwar konnte die Bundesrepublik im Jahr 2022 ihre Treibhausgasemissionen um knapp zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr reduzieren. In den kommenden Jahren bis 2030 wäre jedoch ein Rückgang um jährlich sechs Prozent notwendig. Der Expertenrat mahnte vor allem deutlich umfangreichere Maßnahmen in den Sektoren Gebäude und Verkehr an. Um diese in die Wege zu leiten, legte die Bundesregierung kürzlich einen Entwurf für ein Klimaschutzprogramm vor. Dieses vielfältige Maßnahmenpaket wird aktuell vom Expertenrat begutachtet. Erst danach kann es im Kabinett beschlossen werden.

Stand: 29.06.2023

Autor: Tim Berressem