Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 26.09.2023

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Michael Bröcker, Julie Kurz, Christian Rach, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Richard Arnold, Harald Welzer
Die Gäste (v.l.n.r.): Michael Bröcker, Julie Kurz, Christian Rach, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Richard Arnold, Harald Welzer | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Lässt sich die Reichweite von Taurus-Marschflugkörpern technisch begrenzen?

Lässt sich die Reichweite von Taurus-Marschflugkörpern technisch begrenzen?

Die Kommentatoren diskutierten in der Sendung u.a. über weitere Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine. Speziell ging es dabei um den Marschflugkörper Taurus. Julie Kurz erklärte das Zögern der Bundesregierung, diesen Marschflugkörper zu liefern, mit der Sorge, die Ukraine könnte diesen auf Grund seiner hohen Reichweite auch gegen russisches Staatsgebiet einsetzen. Christian Rach merkte an, dass es möglicherweise die technische Option gebe, die Reichweite der Marschflugkörper von vornherein zu begrenzen. 

Diskussion um weitere Waffenlieferungen: Lässt sich die Reichweite von Taurus-Marschflugkörpern technisch begrenzen?

Kurz: "Wenn immer zu spät geliefert wird, dann kommt man natürlich auch nicht wirklich voran. Also, das ist ja das, was die Ukraine immer kritisiert. Und da muss man sich vielleicht auch irgendwann zu einer Strategie wirklich bekennen. Und ich glaube, ganz viel hat das ja auch immer was damit zu tun, dass es auch ein gewisses Misstrauen gegenüber der Ukraine gibt, dass diese Waffen am Ende dann doch noch gegen Russland eingesetzt werden, und gerade bei den Marschflugkörpern –"

Maischberger: "Mit einer großen Reichweite von, ich glaube, 500 Kilometer sind das."

Kurz: "Mit der großen Reichweite."

(…)

Rach: "Die Frage ist nur, macht man wirklich Marschflugkörper mit 500 Kilometern Reichweite oder gibt es diese technische Möglichkeit der Begrenzung der Reichweite, was ja lange diskutiert wurde."

Maischberger: "Scheint es zu geben offensichtlich."

Rach: "So. Und ob das dann sinnvoll auch ist, ist die andere Frage."

Hintergrund: Lässt sich die Reichweite von Taurus-Marschflugkörpern technisch begrenzen?

Am 26. Mai 2023 wurde erstmals öffentlich bekannt, dass die ukrainische Regierung Deutschland um die Lieferung von Marschflugkörpern vom Typ Taurus bittet. Dass eine entsprechende Anfrage eingegangen sei, wurde damals aus dem Bundesverteidigungsministerium bestätigt. Ob man dem Wunsch der Ukraine nachkommt, wird seither im politischen Berlin intensiv diskutiert.

Beim Marschflugkörper Taurus handelt es sich um eine Luft-Boden-Lenkwaffe mit bis zu 500 Kilometern Reichweite, wie die technischen Angaben der Bundeswehr zeigen. Die ukrainische Armee wäre damit also theoretisch in der Lage, auch Ziele auf russischem Staatsgebiet zu bombardieren. Dass dies passiert, will die Bundesregierung aber grundsätzlich ausschließen. Regierungssprecher Steffen Hebestreit betonte in einem Interview mit der Deutschen Welle am 31.5.2023, die Ukraine habe zwar das Recht, russisches Gebiet anzugreifen, Berlin aber lehne es ab, dass dabei Waffen verwendet werden, die Deutschland geliefert hat. "Der Spiegel" berichtete am 11.8.2023, dass das Bundesverteidigungsministerium aus diesem Grund den Taurus-Hersteller – ein Gemeinschaftsunternehmen der Deutschland-Tochter des europäischen Rüstungskonzerns MBDA und Saab Dynamics aus Schweden – gebeten habe, eine technische Begrenzung der Reichweite zu prüfen. Eine solche Einschränkung des Systems sei durchaus möglich, berichtete der "Spiegel" unter Berufung auf Industriekreise. Bundeskanzler Olaf Scholz, so heißt es in Medienberichten, wolle eine Taurus-Lieferung erst genehmigen, wenn er von der technischen Modifikation überzeugt sei, grundsätzliche Zweifel an der Idee hege er aber nicht mehr. Einen Auftrag für das notwendige Software-Update zur Begrenzung der Reichweite habe das Verteidigungsministerium laut "Spiegel"-Informationen vom 15.9.2023 aber noch nicht erteilt.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) plädierte im Rahmen der "Westfälischen Friedenskonferenz" am 15.9.2023 in Münster für eine gründliche Abwägung in der Frage, stellte aber eine Entscheidung bis Ende September in Aussicht. "Wenn das jetzt noch eine Woche oder zwei dauert, bis eine Entscheidung fällt, dann ist das so", sagte er. Beim Taurus handele es sich um ein "hochkomplexes Industrieprodukt", betonte Pistorius. "Wir reden hier nicht über die Programmierung einer Kaffeemaschine."

Die Reichweite der Marschflugkörper ist jedoch nicht der einzige Streitpunkt. Auch bei der Steuerung gibt es Bedenken. Denn Taurus greift zur Planung der Flugroute auf Geodaten der Bundeswehr zurück. Zur Diskussion steht deshalb, ob sich Deutschland durch die Bereitstellung dieser Daten zur Kriegspartei machen würde. Experten wie der Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München und der Staats- und Völkerrechtler Matthias Herdegen sehen diese Gefahr aber nicht. Anders wäre die Lage hingegen zu bewerten, wenn Deutschland Bundeswehrsoldaten zur Programmierung des Marschflugkörpers in die Ukraine senden würde.

Kritik an der Zurückhaltung seitens der Bundesregierung kommt indes aus der eigenen Koalition. "Auf was wartet der Bundeskanzler in Gottes Namen?", schrieb FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann am 3.9.2023 beim Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter. Scholz "alleine blockiert diese Entscheidung innerhalb der Koalition. Das ist verantwortungslos", fügte sie hinzu. Ähnlich kritisiert auch der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (B’90/Grüne), das Vorgehen. "Es kann einfach nicht sein, dass wir in Deutschland bei jeder neuen Debatte über einen neuen Typus von Waffen für die Ukraine das gleiche Ritual veranstalten", sagte er am 12.9.2023 gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Kanzler Scholz müsse die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper "sofort freigeben".

Der Druck auf die Bundesregierung könnte nun noch weiter steigen. Denn am vergangenen Freitag (22.9.2023) wurde bekannt, dass die USA ihre Artillerie-Kurzstreckenraketen vom Typ ATACMS an die Ukraine liefern werden. Diese Raketen haben eine Reichweite von bis zu 300 Kilometern, auch sie wären demnach theoretisch für einen Einsatz gegen russisches Staatsgebiet geeignet. Über eine mögliche Reichweitenbegrenzung ist hier nichts bekannt.

Gemäß der UN-Charta ist die Ukraine in ihrer Verteidigung nicht an die eigenen Staatsgrenzen gebunden. Schläge gegen russisches Staatsgebiet sind legal, solange sie als verhältnismäßig gelten können und das humanitäre Völkerrecht nicht verletzen. Zivile Einrichtungen dürfen nicht das Ziel sein. Dass aber westliche Waffen nicht gegen russisches Staatsgebiet eingesetzt werden dürfen, ist eine der wichtigsten Bedingungen, an die die Verbündeten ihre Unterstützung für die Ukraine geknüpft haben. Auf diese Weise soll eine direkte Konfrontation zwischen Russland und der NATO verhindert werden.

Die Ukraine betonte zuletzt, man werde diese Bedingung auch weiterhin erfüllen. "Wenn unsere Partner uns bitten, eine Garantie zu geben, dass diese oder jene Waffe nur auf dem Gebiet der Ukraine eingesetzt wird, dann geben wir diese Garantie und halten sie ein", sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am 16.8.2023 in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP.

Fazit: Lässt sich die Reichweite von Taurus-Marschflugkörpern, über deren Lieferung an die Ukraine derzeit intensiv diskutiert wird, technisch begrenzen? Tatsächlich berichtete der "Spiegel" im August 2023 unter Berufung auf informierte Kreise, dass eine solche Limitierung durchaus möglich sei und dass das Bundesverteidigungsministerium den Taurus-Hersteller darum gebeten habe, die nötige Modifikation zu prüfen. Ein Auftrag, das entsprechende System-Update durchzuführen, sei aber durch das Ministerium noch nicht erteilt worden. Für Bundeskanzler Olaf Scholz sei dies aber eine grundlegende Voraussetzung, um einer Lieferung zuzustimmen, heißt es aus Regierungskreisen. Dass westliche Waffen nicht gegen russisches Staatsgebiet eingesetzt werden dürfen, ist eine der wichtigsten Bedingungen, an die die Verbündeten ihre Unterstützung für die Ukraine geknüpft haben. Auf diese Weise soll eine direkte Konfrontation zwischen Russland und der NATO verhindert werden.

Stand: 27.09.2023

Autor: Tim Berressem