Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 27.09.2023

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Gregor Peter Schmitz, Dagmar Rosenfeld, Thomas Heilmann, Constantin Schreiber, Christopher Clark
Die Gäste (v.l.n.r.): Gregor Peter Schmitz, Dagmar Rosenfeld, Thomas Heilmann, Constantin Schreiber, Christopher Clark | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Welchen Effekt hätte eine Verschärfung des Energiestandards für Neubauten?

Welchen Effekt hätte eine Verschärfung des Energiestandards für Neubauten?

Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) und der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann diskutierten in der Sendung über die Zukunft des klimafreundlichen Bauens. Anlass der Diskussion war u.a. die Entscheidung der Bundesregierung, den Energiestandard für neue Gebäude nicht zu verschärfen. Geywitz und Heilmann waren sich einig, dass flexiblere Vorschriften, die sich nicht allein auf die Energieeffizienz eines Hauses konzentrieren, sondern auch die CO2-Bilanz des verwendeten Baumaterials berücksichtigen, für den Klimaschutz letztendlich wirksamer seien. Die Hintergründe schauen wir uns hier noch einmal genauer an. 

Klimafreundliches Bauen: Welchen Effekt hätte eine Verschärfung des Energiestandards?

Maischberger: "Es gibt massive Kritik daran, dass man jetzt sagt, es gab mal einen Standard, den man noch höher setzen wollte, was einfach Dämmvorschriften und eben energiegerechtes Bauen angeht. Das machen Sie jetzt nicht. Der BUND sagt, das ist nicht akzeptabel, und die Deutsche Umwelthilfe sagt: 'Das angebliche Entlastungspaket [ist] eine Kampfansage an Klimaschutz im Gebäudesektor.' Ist Klimaschutz jetzt nicht mehr so wichtig, weil wir zu wenige Wohnungen haben?"

Geywitz: "Nein, auf gar keinen Fall. Ich glaube, dass wir uns aber in eine technisch sehr verengte Lösung im Baubereich entwickelt haben, indem wir die Häuser immer stärker gedämmt haben und sozusagen die Summe der Energie gesenkt haben, die man braucht, um die Häuser zu heizen. Das führt irgendwann zu sehr technischen Lösungen. Sie müssen die Wärme rückgewinnen, Sie müssen die Lüftung passiv machen. Und gleichzeitig haben wir aber komplett außer Acht gelassen, was wir für CO2 für das Bauen der Häuser brauchen. Das heißt, wenn Sie ein Holzhaus bauen mit Lehmdämmung und Innenausbau aus Stroh, hat das gar nicht viel gezählt. Wichtig war nur die Frage der Energieeffizienz. Und deswegen sage ich, wir müssen wieder in eine Richtung gehen, wo wir größere technische Möglichkeiten haben, und einen Anreiz setzen, z.B. mit nachhaltigen Baumaterialien zu arbeiten, mit Recycling-Baumaterial. Und es gibt dann auch Häuser, die sind nicht so High-Tech, sondern wieder Low-Tech, und wir können die gleiche Summe CO2 sparen, aber dann mit einfacheren Mitteln."

(…)

Heilmann: "Ja, da hat sie ohne Wenn und Aber Recht. (…) Klimaschutz ist natürlich wichtig, aber wenn wir mit klimaneutraler Energie heizen, ist die Frage der Energieeffizienz immer eine Frage des Mitteleinsatzes. Und der BUND hat in dem Punkt nicht Recht. Wenn man überhaupt etwas an deren Kritik ernst nehmen muss, dann ist [es die Frage], wie sanieren wir die Häuser, die heute einen besonders schlechten Energiestandard haben. Das ist eine ernsthaft wichtige Frage. Aber der Kritikpunkt, wir machen jetzt weiter mit dem sogenannten Energiestandard 55 und gehen nicht auf 40 runter – das halte ich für richtig, und die Begründung von Frau Geywitz teile ich auch."

Hintergrund: Welchen Effekt hätte eine Verschärfung des Energiestandards für Neubauten?

Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) stellte beim Baugipfel, zu dem am Montag (25.9.2023) die Bundesregierung mit Vertretern der Bau- und Wohnungswirtschaft zusammenkam, ein 14 Punkte umfassendes Maßnahmenpaket gegen den Wohnungsmangel in Deutschland vor. Eine der darin enthaltenen Maßnahmen bezieht sich auf den Standard der Energieeffizienz neu gebauter Häuser. Laut Koalitionsvertrag wollte die Ampel ursprünglich ab 1.1.2025 den sogenannten Neubaustandard EH-40 (Effizienzhaus-Stufe 40) einführen. Das hätte bedeutet, dass ein Neubau nur noch maximal 40 Prozent der Energie eines Vergleichsneubaus hätte benötigen dürfen. Die technischen Kriterien des Vergleichsneubaus sind im Gebäudeenergiegesetz (GEG) unter Anlage 1 zu Paragraph 15 genau definiert.

Im Rahmen des vorgestellten 14-Punkte-Plans verzichtet die Bundesregierung allerdings auf die Einführung von EH-40 und hält bis auf Weiteres am derzeit gültigen Standard EH-55 fest. Die Maximalgrenze des Energieverbrauchs liegt also weiterhin bei 55 Prozent. Die Ampel-Koalition hatte sich von einer Verschärfung der Auflage von EH-55 zu EH-40 zunächst hohe CO2-Einsparungen versprochen. Die Umsetzung von EH-40 macht einen Neubau aber deutlich teurer. Angesichts der derzeitigen Wohnungsnot in Deutschland hat sich die Bundesregierung nun gegen den höheren Standard entschieden. Umweltverbände kritisieren den Entschluss. 

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (B’90/Grüne) betonte im Vorfeld des Baugipfels, man müsse in Zukunft stärker die Baustoffe in den Blick nehmen und dafür sorgen, dass diese möglichst klimafreundlich seien. "Mit der Einführung des Gebäudeenergiegesetzes ist sichergestellt, dass Neubauten ab 2024 klimafreundlich heizen", so Habeck. Die Idee: Wird ein Neubau komplett mit erneuerbarer Energie beheizt, entfallen CO2-Emissionen vollständig. Die Wärmedämmung eines Hauses ist dann keine Frage des Klimaschutzes mehr. Aktuell ist man von dieser Idealvorstellung aber noch weit entfernt. Das Gebäudeenenergiegesetz sieht zunächst vor, dass ab 2024 jede neu eingebaute Heizung mindestens zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben wird. Vollständige Klimaneutralität soll erst bis 2045 erreicht werden. 

Wie viel CO2 der EH-40-Standard gegenüber EH-55 einsparen würde, zeigt eine im Dezember 2022 veröffentlichte Studie des Eduard Pestel Instituts, die in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen und dem Beratungsunternehmen LCEE erstellt wurde (die Studie "Wohnungsneubau – THG-Emissionen, Energieverbrauch und Kosten im Lebenszyklus" steht hier zum Download bereit). Exemplarisch werden darin die Emissionen eines neu gebauten Mehrfamilienhauses mit zwölf Wohnungen und einer Fläche von 880 Quadratmetern betrachtet. Beheizt wird dieses Haus mittels einer Wärmepumpe. Das Ergebnis: Über einen Zeitraum von 50 Jahren stößt das Wohnhaus bei einem EH-55-Standard insgesamt 702 Tonnen CO2 aus, beim strengeren Standard EH-40 sind es immer noch 689 Tonnen. Die Einsparung nach 50 Jahren beträgt also 13 Tonnen, was einem Anteil von 1,9 Prozent entspricht. Die Emissionen wurden dabei dynamisch berechnet, d.h. dass der beim Betrieb der Wärmepumpe anfallende CO2-Ausstoß im Zeitverlauf sinkt. Auf diese Weise soll der schrittweise Ausbau der erneuerbaren Energien abgebildet werden. Ab 2045 wird – wie im Klimaschutzgesetz festgeschrieben – von einer vollständigen Klimaneutralität ausgegangen. 

Die Autoren der Studie betonen, dass der Großteil der Emissionen im Gebäudebereich künftig nicht mehr beim Heizen anfallen wird, sondern beim Bau eines Gebäudes, bei dessen Instandhaltung und beim Abbruch. Deshalb bewertet die Studie es als sinnvoll, die energetische Betrachtung über die reine Wärmebereitstellung hinaus auf den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes auszuweiten. 

Die Studie zeigt auch, dass die Kosten zur Einhaltung des EH-40 Standards teils deutlich höher liegen als bei EH-55. So belaufen sich die Investitionskosten im untersuchten Szenario bei EH-40 auf etwa 2689 Euro pro Quadratmeter – 55 Euro pro Quadratmeter mehr als bei EH-55. Auch die Instandhaltung und der Austausch von Bauteilen im Zeitraum von 50 Jahren ist bei der strengeren EH-40-Reglementierung etwa 10,80 Euro pro Quadratmeter höher. Auffällig ist zudem, dass die Vermeidung einer Tonne CO2 im Standard EH-55 um etwa 37 Prozent günstiger ist als bei EH-40 (4718 Euro gegenüber 7523 Euro). Die Berechnungen wurden auf Basis aktueller Energiepreise durchgeführt.  

Weder der Standard EH-40 noch EH-55 berücksichtigen den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes, es geht lediglich um den Energiebedarf im laufenden Betrieb und um die Energie, die das Gebäude an die Umgebung abgibt

Um die tatsächliche Gesamtbilanz der CO2-Emissionen stärker einzubeziehen, startete die Bundesregierung im Januar 2023 das Förderprogramm "Klimafreundliches Bauen". Bei der Vergabe der Fördergelder werden neben der Energieeffizienz im laufenden Betrieb auch die gesamte Bauphase sowie der Abbruch berücksichtigt. 

Fazit: Die Bundesregierung entschied sich unlängst gegen eine Verschärfung der Energiestandards für neu gebaute Häuser. Ursprünglich hatte man sich von einer Verschärfung der Auflage stärkere CO2-Einsparungen versprochen. Diese führt aber zu höheren Baukosten. Das zeigt eine Studie des Eduard Pestel Instituts. Die strengere Auflage wäre demnach in der Umsetzung deutlich teurer gewesen. Gleiches gilt für die Kosten zur Vermeidung einer Tonne CO2. Vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung angestrebten Wärmewende empfehlen die Studienautoren, die energetische Betrachtung künftig auf den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes auszuweiten, und bekräftigen somit die Argumentation von Klara Geywitz in der Sendung. Keiner der aktuell diskutierten Energiestandards berücksichtigt bislang den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes. Mit einem neuen Förderprogramm der Bundesregierung, das im Januar 2023 startete, soll dieser Aspekt aber in Zukunft verstärkt berücksichtigt werden.

Stand: 28.09.2023

Autor: Tim Berressem