Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 20.02.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Paul Ronzheimer, Iris Sayram, Christian Rach, Amira Mohamed Ali, Thomas Roth, Irina Scherbakowa, Marie-Agnes Strack-Zimmermann
Die Gäste (v.l.n.r.): Paul Ronzheimer, Iris Sayram, Christian Rach, Amira Mohamed Ali, Thomas Roth, Irina Scherbakowa, Marie-Agnes Strack-Zimmermann | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wurde bei der Saarabstimmung 1955 mit dem Wahlspruch "Heim ins Reich" geworben?

Wurde bei der Saarabstimmung 1955 mit dem Wahlspruch "Heim ins Reich" geworben?

Spitzenkoch und Moderator Christian Rach äußerte sich in der Sendung zur russischen Annexion der Krim, die sich in diesen Tagen zum zehnten Mal jährt. Historisch verglich er die Krim mit dem Saarland, über dessen nationale Zugehörigkeit im Laufe der Geschichte mehrmals abgestimmt wurde. Bei der letzten Abstimmung 1955 habe sich die Mehrheit der Saarländer für eine Zugehörigkeit zur Bundesrepublik Deutschland entschieden, und zwar, so Rach, unter dem Wahlspruch "Heim ins Reich".

"Heim ins Reich": Wurde 1955 mit Nazi-Slogan für BRD-Beitritt des Saarlands geworben? | Video verfügbar bis 20.02.2025

Rach: "Wenn man aber ein bisschen sich mit der Geschichte der Krim auseinandersetzt – ich bin ja gebürtiger Saarländer, und das erinnert mich so unglaublich daran."

Maischberger: "Das Saarland, immer zwischen Frankreich und Deutschland."

Rach: "Immer hin und her, genau. Und die Geschichte der Krim ist ja etwa genau so. Vielleicht noch intensiver, als es im Saarland war. Aber im Saarland war es auch nicht so ganz unblutig immer. Und dann gab es ja mehrere Saarabstimmungen, die letzte, kurz bevor ich geboren wurde. Und da hat man abgestimmt 'Heim ins Reich', so hieß das damals, wirklich, das war 1955. Und meines Erachtens, wenn ich es recht erinnere, haben sich zwei Drittel der Saarländer dafür entschieden."

Stimmt das? Wurde bei der Saarabstimmung 1955 mit dem Wahlspruch "Heim ins Reich" geworben?

Die Formulierung "Heim ins Reich" geht zurück auf eine Kampagne der Nationalsozialisten, mit der sie schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs die territoriale Ausdehnung des Deutschen Reichs vorantrieben, auch auf dem Gebiet des heutigen Saarlands. 

Bereits seit dem 18. Jahrhundert gab es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und Frankreich über die Zugehörigkeit der Saarregion, die vor allem auf Grund der dortigen Kohlevorkommen Begehrlichkeiten bei den beiden Staaten weckte. Vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges gehörte das heutige Saarland zum Deutschen Reich, wurde nach Kriegsende jedoch aus den Reichsgrenzen herausgelöst und stand fortan unter der Verwaltung des Völkerbunds, wobei Frankreich weitreichende wirtschaftliche Zugriffsrechte erhielt. Das legte der Friedensvertrag von Versailles fest, der am 10.1.1920 in Kraft trat. Das Deutsche Reich hatte demnach keinerlei Anspruch mehr auf das seither sogenannte "Saargebiet". Der Versailler Vertrag sah aber auch vor, dass die dort lebende Bevölkerung 15 Jahre später, also im Jahr 1935, selber über die Zugehörigkeit der Region abstimmen durfte. Im Vorfeld der Abstimmung warb die nationalsozialistische Regierung, die in der Zwischenzeit an die Macht gekommen war, unter der Parole "Heim ins Reich" für einen Anschluss des Saargebiets an das Deutsche Reich. Das Abstimmungsergebnis vom 13.1.1935 fiel eindeutig aus: 90,7 Prozent votierten für die Rückgliederung, die am 1.3.1935 offiziell vollzogen wurde. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel das Saarland unter französische Verwaltung, jedoch nicht als Teil der französischen Besatzungszone, sondern als teilautonomes Staatsgebilde mit eigener Verfassung und Regierung. Wirtschaftlich wurde das Saarland an Frankreich angeschlossen und in den französischen Währungsraum einbezogen. Restlose Einigkeit zwischen Frankreich und Deutschland bestand in der Frage aber nicht. Um weitere diplomatische Spannungen zu vermeiden, schlug der damalige französische Außenminister Robert Schuman 1952 eine Europäisierung des Saarlandes vor. Das von Schuman vorangetriebene sogenannte Saarstatut sah vor, das Saarland bis zum Abschluss eines endgültigen Friedensvertrags unter die Verwaltung der Westeuropäischen Union zu stellen. Die Bevölkerung sollte in einer Abstimmung am 23.10.1955 über die Annahme des Statuts befinden.

In der politischen Debatte, die der Abstimmung vorausging und die dabei teils wahlkampfähnliche Züge annahm, zeigte sich, dass die Saarländer über diese Frage zutiefst gespalten waren. Die Befürworter des Statuts, die "Ja-Sager", sammelten sich hinter den Regierungsparteien von CVP (Christliche Volkspartei) und SPS (Sozialdemokratische Partei des Saarlandes). Sie traten für die Europäisierung der Saar ein. Die "Nein-Sager" hingegen gruppierten sich in einem politischen Bündnis aus DPS (Demokratische Partei Saar), CDU und SPD. Sie lehnten das Saarstatut strikt ab.  

Der Slogan "Heim ins Reich", den die Nationalsozialisten im Kontext der Abstimmung von 1935 propagiert hatten, war natürlich nicht der Slogan des Referendums von 1955 in der nach Kriegsende auch im Saarland neugegründeten Demokratie.

Ein prägender Slogan, der rund um die Abstimmung vielerorts zu hören war, lautete "Der Dicke muss weg!". Gemeint war damit der damalige CVP-Vorsitzende Johannes Hoffmann, der seit 1947 die saarländische Regierung als Ministerpräsident anführte. Hoffmann setzte sich für ein innenpolitisch autonomes Saarland ein, das Teil des französischen Wirtschaftsraumes und eingebettet in das zusammenwachsende Europa sein sollte. Kritik rief sein teils autoritäres Vorgehen gegen die "prodeutsche" Opposition im Saarland hervor. In der Debatte über das Saarstatut positionierte sich Hoffmann als klarer Befürworter. Mit der Losung "Der Dicke muss weg!" forderten die Gegner nicht nur Hoffmanns Rücktritt als Ministerpräsident, sondern drückten gleichzeitig auch ihre Ablehnung des Statuts aus.

Die Abstimmung brachte schließlich ein eindeutiges Ergebnis: 67,7 Prozent votierten gegen das Statut. Hoffmann trat daraufhin als Ministerpräsident zurück. Das Abstimmungsresultat wurde als Wille der Saarländer zur Rückkehr nach Deutschland interpretiert, sodass neue Verhandlungen zur Zukunft des Saarlandes aufgenommen wurden. Sie mündeten letztlich im Luxemburger Vertrag, der den politischen Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik zum 1.1.1957 vorsah. Im Gegenzug wurden Frankreich weitreichende, vor allem wirtschaftliche Zugeständnisse gemacht, wie z.B. großzügige Bezugs- und Nutzungsrechte an den saarländischen Kohlevorkommen. Zweieinhalb Jahre nach dem Beitritt, am 6.7.1959, wechselte schließlich auch die offizielle Währung des Saarlandes, indem die D-Mark den Franc ablöste. 

Fazit: Der Slogan "Heim ins Reich", den die Nationalsozialisten im Kontext der Saarabstimmung von 1935 propagiert hatten, war natürlich nicht der Slogan des Referendums von 1955. Die Formulierung stammt aus einer Kampagne der Nationalsozialisten, mit der sie schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs die territoriale Ausdehnung des Deutschen Reichs vorantrieben, auch auf dem Gebiet des heutigen Saarlands. Nachdem die Saarregion durch den Friedensvertrag von Versailles 1920 aus dem deutschen Staatsgebiet herausgelöst worden war, durfte die dort lebende Bevölkerung 1935 über die Zugehörigkeit abstimmen. Eine deutliche Mehrheit stimmte damals für einen Anschluss des Saarlandes an Nazi-Deutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Saarland zunächst ein teilautonomer Staat unter starkem Einfluss Frankreichs. Bei der von Christian Rach erwähnten Abstimmung 1955 stimmten zwei Drittel der Saarländer nicht explizit für einen Beitritt zur Bundesrepublik, sondern gegen eine von Frankreich initiierte Europäisierung des Saarlandes. Dieses Votum wiederum wurde als Beitrittswunsch der Saarländer interpretiert, der 1957 schließlich in die Tat umgesetzt wurde.

Stand: 21.02.2024

Autor: Tim Berressem