Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 22.04.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Michael Bröcker, Melanie Amann, Karl-Theodor zu Guttenberg, Ulrich Wickert, Svenja Appuhn, Wolfgang Kubicki
Die Gäste (v.l.n.r.): Michael Bröcker, Melanie Amann, Karl-Theodor zu Guttenberg, Ulrich Wickert, Svenja Appuhn, Wolfgang Kubicki | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wie viel Treibhausgas lässt sich laut Umweltbundesamt durch ein Tempolimit einsparen?

Wie viel Treibhausgas lässt sich laut Umweltbundesamt durch ein Tempolimit einsparen?

Der stellvertretende FDP-Parteivorsitzende Wolfgang Kubicki und die Bundessprecherin der Grünen Jugend Svenja Appuhn diskutierten in der Sendung u.a. über die Klimaziele der Bundesregierung. Ungeklärt blieb in der Diskussion, wie viele Tonnen Treibhausgasemissionen laut Berechnungen des Umweltbundesamts durch ein Tempolimit eingespart werden könnten. Die konkreten Zahlen schauen wir uns hier noch einmal genauer an.

Streitpunkt Klimaziele: Wie viel Treibhausgas würde ein Tempolimit einsparen? | Video verfügbar bis 22.04.2025

Maischberger: "Die Lücke, die sozusagen im Verkehrssektor ist zwischen dem, was vereinbart ist, und dem, was tatsächlich ausgestoßen wurde, sind etwa 13 Millionen Tonnen Treibhausgase. Und dann gibt es eine Rechnung vom Umweltbundesamt, die sagen, 14 Millionen könnte man einsparen durch ein Tempolimit."

Kubicki: "Quatsch. Völliger Unsinn."

Maischberger: "Das schreibt das Umweltbundesamt."

Kubicki: "Die behaupten nicht mal, dass es 6 Millionen sind, wenn überhaupt. Also wir, die Ministerien, gehen davon aus, die Regierung geht davon aus, dass es 2 Millionen sind."

Appuhn: "Da gibt es verschiedene Rechnungen."

Maischberger: "Faktencheck."

Hintergrund: Wie viel Treibhausgas lässt sich laut Umweltbundesamt durch ein Tempolimit einsparen?

Der Frage, wie sich ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen auf den Treibhausgasausstoß auswirken würde, ist das Umweltbundesamt (UBA) in einer Studie aus dem Februar 2020 nachgegangen. Das Ergebnis: Bei einer Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h würden die Einsparungen bei etwa 2,6 Millionen Tonnen jährlich liegen.

Nach erneuten Berechnungen durch Verkehrswissenschaftler der Universität Stuttgart korrigierte das UBA die Zahl im Januar 2023 noch einmal deutlich nach oben – auf rund 6,7 Millionen Tonnen pro Jahr. Der Grund: Im Gegensatz zur ursprünglichen Studie sei in der neuen Analyse nicht nur der geringere Kraftstoffverbrauch durch das Tempolimit berücksichtigt worden, sondern auch die sogenannten Routenwahl- und Nachfrageeffekte. Konkret gehen die Studienautoren davon aus, dass durch eine gesetzlich festgelegte Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen vermehrt alternative Strecken genutzt werden würden, die kürzer sind und langsamer befahren werden. Dies würde zusätzlich Kraftstoff sparen. Außerdem sei damit zu rechnen, dass auf Grund längerer Reisezeiten auf Autobahnen ein Teil der Pkw-Fahrten auf die klimaschonenderen Verkehrsmittel Bahn oder Fernbus verlagert werden würde.

Die Forscher haben sich zudem angeschaut, welchen Einsparungseffekt ein zusätzliches Tempolimit auf Außerortsstraßen hätte. Das Ergebnis: Kombiniert man Tempo 120 auf Autobahnen mit Tempo 80 auf Außerortsstraßen, so wären insgesamt Einsparungen von bis zu 8 Millionen Tonnen jährlich möglich.

Geleitet wurde die Studie vom Verkehrswissenschaftler Prof. Dr. Markus Friedrich, der zum Zeitpunkt der Studienveröffentlichung den Vorsitz im Wissenschaftlichen Beirat von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) innehatte.

Die FDP-Bundestagsfraktion kritisierte die Studie jedoch und reagierte mit einem Gegengutachten, das man bei Wissenschaftlern der Zeppelin Universität Friedrichshafen und der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer in Auftrag gab. Diese Kurzstudie erschien im Februar 2023 und kommt zu dem Befund, dass der Minderungseffekt bei einem Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen lediglich bei rund 1,1 Millionen Tonnen CO2 liegen würde. Verkehrswissenschaftler Friedrich wiederum kritisierte das Gutachten und nannte es in einem "Spiegel"-Interview "sowohl methodisch als auch inhaltlich fehlerbehaftet".

Im selben Interview erklärt Friedrich außerdem, dass die oben beschriebene Studie, die er selbst für das UBA durchgeführt hat, nur als Annäherung verstanden werden könne. Das liege vor allem an den eingeschränkten Informationen über den Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge im alltäglichen Straßenverkehr. "Wir haben uns für die Emissionen auf Messungen der Technischen Universität Graz gestützt, wo seit Jahrzehnten typische Fahrmuster mit aktuellen Fahrzeugen auf dem Rollenprüfstand gefahren werden. Das liefert realistische Werte, bessere Alternativen hatten wir nicht", erläutert Friedrich. "Mit besseren Daten ginge es noch genauer."

Fest steht: Laut Klimaschutzgesetz muss Deutschland seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren. Um dies zu erreichen, sieht das Gesetz bislang feste Jahresemissionsmengen für einzelne Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude vor. Der Verkehrssektor hätte demnach im vergangenen Jahr 2023 nicht mehr als 133 Millionen Tonnen CO2 emittieren dürfen, verfehlte die Vorgabe mit 146 Millionen Tonnen aber deutlich. Als Konsequenz muss das Verkehrsministerium laut Gesetz geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Treibhausgasemissionen zu verringern. In diesem Zusammenhang wird immer wieder über die Einführung eines Tempolimits diskutiert.

Doch durch eine Änderung des Klimaschutzgesetzes, über die der Bundestag voraussichtlich noch in dieser Woche entscheiden wird, sollen die Sektorenziele fallen. Stattdessen soll es eine sektorenübergreifende, mehrjährige Gesamtabrechnung geben. Das bedeutet: Stößt der Verkehr auch künftig zu viel Treibhausgas aus, kann dies durch eine höhere Einsparung zum Beispiel bei der Stromerzeugung ausgeglichen werden. Zudem sollen zusätzliche Maßnahmen erst nötig werden, wenn die Gesamtbilanz aller Sektoren in zwei aufeinanderfolgenden Jahren nicht den Einsparzielen entspricht.

Fazit: Wie viel Treibhausgas sich durch ein Tempolimit einsparen ließe, ist nicht eindeutig zu beziffern. Eine Reihe von Studien kommt hier zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das Umweltbundesamt (UBA) ging zunächst von rund 2,6 Millionen Tonnen pro Jahr aus, die durch ein Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen eingespart werden könnten. Nach erneuten Berechnungen korrigierte man diesen Wert auf rund 6,7 Millionen Tonnen pro Jahr. Würde man Tempo 120 auf Autobahnen mit einem zusätzlichen Tempolimit von 80 km/h auf Außerortsstraßen kombinieren, so ergäbe sich laut UBA ein Einsparpotenzial von insgesamt 8 Millionen Tonnen jährlich. Ein Gegengutachten der FDP-Bundestagsfraktion spricht hingegen von lediglich 1,1 Millionen Tonnen pro Jahr. Insgesamt weisen Experten darauf hin, dass diese Studien immer nur Annäherungswerte liefern, deren Qualität von der jeweils zugrundeliegenden Datenbasis abhängt.

Stand: 23.04.2024

Autor: Tim Berressem