Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 23.04.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Mathias Döpfner, Christoph Schwennicke, Florian Schroeder, Pinar Atalay, Philipp Amthor, Ralf Stegner
Die Gäste (v.l.n.r.): Mathias Döpfner, Christoph Schwennicke, Florian Schroeder, Pinar Atalay, Philipp Amthor, Ralf Stegner | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Beziehen 60 Prozent der erwerbsfähigen Ausländer in Deutschland Bürgergeld?

Beziehen 60 Prozent der erwerbsfähigen Ausländer in Deutschland Bürgergeld?

Philipp Amthor (CDU) kritisierte in der Sendung das Bürgergeld-System, das seiner Meinung nach für viele Menschen einen Anreiz schaffe, nicht arbeiten zu gehen. In diesem Zusammenhang sagte Amthor, dass 60 Prozent der erwerbsfähigen Ausländer in Deutschland Bürgergeld beziehen würden. Ralf Stegner (SPD) widersprach.

Streit um Sozialstaat: Beziehen 60 Prozent der erwerbsfähigen Ausländer in Deutschland Bürgergeld? | Video verfügbar bis 23.04.2025

Amthor: "Es ist ja so: Von den Asylbewerbern, die wir haben, von arbeitsfähigen Ausländern in Deutschland, die arbeiten könnten, sind 60 Prozent, obwohl sie arbeiten könnten, im Bürgergeldbezug. Und dann erzählen Sie uns, das Problem sei zuallererst, dass die nicht arbeiten können. Von denen, die jetzt schon arbeiten können, könnten viele in den Arbeitsmarkt kommen, aber es gibt ein Sozialsystem, das Anreize dafür schafft, nicht arbeiten zu gehen. Und das ist die Realität, der Sie sich nicht stellen."

Stegner: "Entschuldigung, das sind falsche Fakten."

Amthor: "Das stimmt nicht."

(…)

Stegner: "Beim Bürgergeld sind viele ukrainische Flüchtlinge mit dabei. Wir haben das geregelt, bewusst für sie so geregelt, damit die Kommunen die Kosten nicht übernehmen müssen. Erzählen Sie also den Kommunen, von denen Sie gerade gesprochen haben –"

Amthor: "Ist meine Zahl falsch? Sie sagen, ich verbreite falsche Fakten. Die Zahl ist richtig und sie widerlegt Ihre These."

(…)

Stegner: "Was das Bürgergeld angeht, ist es so, dass wir die ukrainischen Flüchtlinge mit aufgenommen haben. Das war eine bewusste Entscheidung, um die Kommunen zu entlasten. Hätte man auch anders machen können, weil sie dann mehr bekommen. Und das Zweite: Nicht die, die arbeiten können, das ist nicht die Zahl, sondern es ging darum, wen man arbeiten lässt. Die, die man arbeiten lässt – zu behaupten, von denen würden 60 Prozent nicht arbeiten wollen, ist falsch. Solche Zahlen gibt es nicht."

Maischberger: "Okay, wir checken das im Faktencheck."

Stimmt das? Beziehen 60 Prozent der erwerbsfähigen Ausländer in Deutschland Bürgergeld?

Um die Frage zu beantworten, muss zunächst zwischen den verschiedenen Personengruppen differenziert werden, über die in der Sendung gesprochen wurde. In der Sendung war die Rede von Asylbewerbern, erwerbsfähigen Ausländern und ukrainischen Kriegsflüchtlingen.

Dass 60 Prozent der Asylbewerber Bürgergeld beziehen, stimmt nicht. Asylbewerber haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Bürgergeld. Sie bekommen Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die niedriger ausfällt als das Bürgergeld. Erst wenn der Asylantrag bewilligt wurde, besteht bei entsprechender Bedürftigkeit ein Anspruch auf Bürgergeld. Bei diesen Personen handelt es sich um anerkannte Geflüchtete, nicht um Asylbewerber.

Wie viele anerkannte Geflüchtete Bürgergeld erhalten, das zeigen aktuelle Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Demnach waren im Dezember 2023 rund 44 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen aus den acht häufigsten Asylherkunftsländern (Syrien, Afghanistan, Irak, Iran, Eritrea, Nigeria, Pakistan und Somalia) auf Unterstützung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) angewiesen. Der eher technische Begriff "Unterstützung nach SGB II" meint in der Regel Bürgergeld.

Bei den ukrainischen Kriegsflüchtlingen liegt der Anteil etwas höher. Nach Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit haben im Oktober 2023 etwa 703.000 von rund 1,1 Millionen Ukrainern, die seit Beginn des russischen Angriffskriegs nach Deutschland gekommen sind, Bürgergeld empfangen. Das entspricht einem Anteil von etwas mehr als 60 Prozent.

Zählt man die Menschen aus Asylherkunftsländern und die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zusammen, so beziehen etwa 50 Prozent der Menschen in dieser Gruppe Bürgergeld.

In der Sendung ging es aber vor allem um die Gruppe der erwerbsfähigen Personen. Als erwerbsfähig gelten in Deutschland alle Menschen im Alter von 15 bis 65 Jahren, die gesundheitlich in der Lage sind, täglich mindestens drei Stunden zu arbeiten. Schaut man sich hier die entsprechenden Zahlen an, wird das Bild etwas komplexer:

Laut Bundesagentur für Arbeit sind aktuell knapp 700.000 erwerbsfähige Personen aus Asylherkunftsländern in Deutschland gemeldet. Davon haben knapp 600.000 Menschen Anspruch auf Bürgergeld. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass diese Menschen untätig sind. Viele von ihnen besuchen die Schule, berufsbezogene Förderungsmaßnahmen oder Integrationskurse. Auch eine berufstätige Person kann Anspruch auf Bürgergeld haben, wenn der Lohn zu gering ist, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Arbeitslos gemeldet sind von den 700.000 erwerbsfähigen Personen aus Asylherkunftsländern lediglich 250.000. Das entspricht einem Anteil von 35 Prozent.

Ähnliches gilt für die Gruppe der ukrainischen Kriegsflüchtlinge. Von den rund 1,1 Millionen Menschen, die seit Beginn des russischen Angriffskriegs nach Deutschland gekommen sind, sind knapp 520.000 erwerbsfähig. 490.000 davon haben Anspruch auf Bürgergeld. Arbeitslos gemeldet sind jedoch lediglich 195.000. Das entspricht einem Anteil von 37 Prozent.

Die Gründe für eine Arbeitslosigkeit sind vielfältig. Oft müssen zunächst bürokratische Hürden genommen werden, ehe eine Arbeit aufgenommen werden kann. Dabei ist die Arbeitsaufnahme für ukrainische Geflüchtete prinzipiell sofort möglich. Dass es trotzdem häufig zu Verzögerungen kommt, beschreibt der Politikwissenschaftler Dietrich Thränhard in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. So könne sich z.B. die Anerkennung von Berufsabschlüssen lange hinziehen. Wartezeiten bis zu anderthalb Jahren seien in Deutschland nicht ungewöhnlich.

Kritiker des Bürgergelds sehen auch die hiesigen Sozialleistungen als wesentlichen Faktor. CDU-Chef Friedrich Merz oder der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderten bereits Leistungskürzungen. Tatsächlich zeigt ein Blick zu unseren europäischen Nachbarn: Länder wie Polen oder Tschechien, wo die Unterstützung deutlich geringer ausfällt, haben bereits zwei Drittel der ukrainischen Flüchtlinge in Arbeit gebracht. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Sozialleistungen und Arbeitslosenquote lässt sich aber wohl nicht herstellen. In den Niederlanden etwa ist die finanzielle Unterstützung ähnlich hoch wie in Deutschland, trotzdem gehen dort deutlich mehr Ukrainer einer Beschäftigung nach als hierzulande.

Allgemein zeigt sich aber auch: Zuwanderer, die in Deutschland arbeiten dürfen, werden zunehmend besser in den Arbeitsmarkt integriert. Das geht aus dem aktuellen Migrationsbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor. Die Beschäftigungsquote zugewanderter Menschen liegt demnach bei 69,8 Prozent. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen Anfang der 2000er-Jahre.

Fazit: Dass 60 Prozent der erwerbsfähigen Ausländer in Deutschland Bürgergeld beziehen, wie Philipp Amthor (CDU) in der Sendung sagte, stimmt in dieser Pauschalität nicht. Zwar zeigen Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit, dass knapp 60 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland Bürgergeld empfangen, doch beziehen nur etwa 50 Prozent aller Schutzsuchenden – sowohl aus der Ukraine als auch aus anderen Asylherkunftsländern – hierzulande Bürgergeld. Hinzu kommt: Leistungsbezug ist nicht unmittelbar gleichzusetzen mit Arbeitslosigkeit. Nur etwa 37 Prozent der erwerbsfähigen ukrainischen Flüchtlinge beziehen Bürgergeld, weil sie arbeitslos sind. Bei den erwerbsfähigen Personen aus anderen Asylherkunftsländern liegt der Anteil bei 35 Prozent. Die Beschäftigungsquote aller in Deutschland lebenden Ausländer liegt laut OECD aktuell bei knapp 70 Prozent.

Stand: 24.04.2024

Autor: Tim Berressem