Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 24.04.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Stephan Stuchlik, Mariam Lau, Urban Priol, Elmar Theveßen
Die Gäste (v.l.n.r.): Stephan Stuchlik, Mariam Lau, Urban Priol, Elmar Theveßen | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wie funktioniert das schwedische Wehrpflicht-Modell?

Wie funktioniert das schwedische Wehrpflicht-Modell?

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sprach sich in der Sendung für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Über die konkrete Ausgestaltung werde in seinem Ministerium derzeit noch beraten, erklärte er. Wie in der Sendung mehrfach angesprochen wurde, könnte Schweden hierbei als Vorbild dienen. Aber wie regelt der skandinavische NATO-Partner seine Wehrpflicht genau?

Comeback für die Wehrpflicht: Könnte Schweden als Vorbild dienen? | Video verfügbar bis 25.04.2025

Pistorius: "Wenn wir verteidigungsfähig, kriegstüchtig sein wollen in Zukunft, brauchen wir eine stärkere Armee. Die setzt sich zusammen aus Wehrpflichtigen, die dann irgendwann wieder ausscheiden, aber dann als Reserve zur Verfügung stehen – in der Ukraine sehen wir das, in Israel sehen wir das, das ist überlebenswichtig."

Maischberger: "Das heißt, wir brauchen eine allgemeine – wie nennen Sie das dann? Dienstpflicht?"

Pistorius: "Ja, das wird sich noch herausstellen. Denn die Hinweise, die überall kommen und die ich selber auch immer gesagt habe, sind ja völlig berechtigt. Sie können nicht die alte Wehrpflicht einfach eins zu eins wieder in Kraft setzen."

(…)

Lau: "Ich finde, dass die Schweden was Interessantes machen. Die mustern ja den gesamten Jahrgang – nee! Sie kontaktieren –"

Maischberger: "Sie schreiben alle 18-Jährigen an."

Lau: "Dann werden 30.000 gemustert, und dann nehmen sie nur die Besten. Sodass so ein Gefühl von Attraktivität entsteht. Also, 8.000 Leute sind es dann, glaube ich, am Ende, die sie nehmen."

Maischberger: "Und die, die dann auch sagen: 'Ja, ich will.' Das ist ja auch noch mal ein Unterschied."

Lau: "Genau. Also niemand, der nicht will, muss dienen. Und das Gefühl, das rüberkommt, ist das von Attraktivität. Man möchte das machen, es zeichnet einen aus."

(…)

Stuchlik: "Bei dem schwedischen Modell wird es sicher verfassungsrechtlich ein paar Probleme geben. Wir werden uns dann darüber unterhalten müssen, was steht denn da eigentlich im Grundgesetz drin. Müssen es dann Männer und Frauen sein? Vermutlich wird’s dann so sein. Das ganze muss ja klar gefasst werden, also, da ist noch ein Haufen Strecke vor uns."

Hintergrund: Wie funktioniert das schwedische Wehrpflicht-Modell?

Ähnlich wie Deutschland hatte Schweden die Wehrpflicht im Jahr 2010 ausgesetzt, doch in der Folge klagte das Militär jahrelang über Personalengpässe. Nur wenige Schwedinnen und Schweden entschieden sich freiwillig, in die Armee einzutreten. Im Jahr 2017 reagierte die Regierung in Stockholm schließlich und reaktivierte die Wehrpflicht.

Seitdem gilt sie gleichermaßen für Frauen und Männer. Allerdings wird nur ein kleiner Teil der Wehrpflichtigen zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet. Konkret funktioniert das Modell so: Jeder volljährige Schwede wird von der Musterungsbehörde angeschrieben und aufgefordert, einen Online-Fragebogen auszufüllen. Die Antworten entscheiden, wer anschließend zur Musterung eingeladen wird. Dabei wird bereits deutlich ausgesiebt: Von etwa 110.000 jungen Menschen, die den Fragebogen jedes Jahr ausfüllen, werden rund 28.000 Kandidatinnen und Kandidaten zur Musterung eingeladen. Aus diesem Kreis wiederum erhält nur ein kleiner Teil – derzeit 8.000 Männer und Frauen – eine militärische Ausbildung. Die Dienstzeit beträgt je nach Verwendung zwischen neun und 15 Monaten. Im Anschluss an ihre Grundausbildung sind die Rekrutinnen und Rekruten verpflichtet, ihre Einheit zu unterstützen, wenn die Regierung eine erhöhte Bereitschaft oder Mobilmachung beschließt.

Trotz wiedereingeführter Pflicht beruht der Wehrdienst in Schweden weitestgehend auf Freiwilligkeit. Wer schon im Fragebogen angibt, keinen Militärdienst leisten zu wollen, wird in der Regel auch nicht einberufen. Zurzeit gibt es in Schweden genügend Bewerber, die aus eigenem Antrieb zur Armee wollen. Gibt es zu wenige Freiwillige, kann es in Schweden aber auch zu Zwangseinberufungen kommen.

Bundesverteidigungsminister Pistorius hatte im Rahmen seiner Schweden-Reise Anfang März 2024 erklärt, er habe "ein gewisses Faible für das schwedische Modell, daraus mache ich keinen Hehl." Von einer Reaktivierung der Wehrpflicht in Deutschland sei man aktuell aber noch weit entfernt. "Es kann nur darum gehen, einen Einstieg zu finden", sagte der Minister. Erst dann könnten die mit der Reaktivierung der Wehrpflicht verbundenen rechtlich-politischen Fragen diskutiert werden.

Dass vor einer Einführung des schwedischen Modells in Deutschland zunächst verfassungsrechtliche Fragen zu klären wären, wie Stephan Stuchlik in der Sendung sagte, stimmt. Zum Einen müsste geklärt werden, inwieweit eine Wehrpflicht, die sowohl für Männer als auch für Frauen gilt, verfassungskonform wäre. Bislang schließt Artikel 12a des Grundgesetzes aus, Frauen zum Dienst an der Waffe zu verpflichten. Hier wäre wohl eine Verfassungsänderung notwendig.

Ein zweites Thema ist die sogenannte Wehrgerechtigkeit. Konkret geht es um die Frage: Wie geht man vor, wenn sich im Auswahlprozess nicht genügend Freiwillige finden? In diesem Fall bräuchte es ein Verfahren, nach dem man junge Rekruten zwangsweise, dabei aber ohne Willkür zum Dienst verpflichten kann. Wie sich das verfassungsrechtlich umsetzen ließe, ist bislang unklar.

Die Wehrgerechtigkeit war schon vor Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 ein umstrittenes Thema. Das Problem: Seit der Gründung der Bundeswehr gab es stets mehr wehrfähige Männer, als für die Armee benötigt wurden. Deshalb musste nur ein vergleichsweise kleiner Teil den Dienst an der Waffe antreten. Bis 1965 wurde die Entscheidung, wer eingezogen wird, per Losverfahren entschieden. Später behalf man sich mit einer Verschärfung der Musterungskriterien, sodass immer mehr Männer als untauglich eingestuft wurden. Gelöst wurde das Problem dadurch aber nicht. Im Gegenteil: Weil die Bundeswehr nach dem Ende des Kalten Krieges noch weniger Rekruten benötigte, wurde das Ungleichgewicht sogar noch größer – und war schließlich ein entscheidendes Argument für die Aussetzung der Wehrpflicht.

Und doch betonte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius in der Sendung, dass Deutschland auf lange Sicht nicht an einer Wiedereinführung der Wehrpflicht vorbeikommen werde, wenn es verteidigungsfähig sein will. Wie genau er diese Wehrpflicht ausgestalten will, führte er nicht weiter aus. Ein konkretes Konzept wolle er im Mai vorlegen, so Pistorius.

Fazit: Seitdem Schweden die Wehrpflicht im Jahr 2017 reaktiviert hat, wird dort jeder volljährige Bürger (etwa 110.000 pro Jahr) von der Musterungsbehörde angeschrieben und aufgefordert, einen Fragebogen auszufüllen. Nur ein kleiner Teil (etwa 28.000) wird auf dieser Grundlage zur Musterung eingeladen. Aus diesem Kreis wiederum erhalten nur 8.000 Personen eine militärische Ausbildung. Trotz der Pflicht, die sowohl für Frauen als auch für Männer gilt, beruht der Wehrdienst in Schweden weitestgehend auf Freiwilligkeit. Denn zurzeit gibt es genügend Bewerber, die aus eigenem Antrieb zur Armee wollen. Sollte es zu wenige Freiwillige geben, kann es in Schweden aber auch zu Zwangseinberufungen kommen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sieht das schwedische Modell grundsätzlich positiv. Ob es als Vorbild für eine mögliche Wehrpflicht in Deutschland dienen kann, ist aber noch unklar. Fest steht, dass vor einer Einführung zunächst verfassungsrechtliche Fragen geklärt werden müssten.

Stand: 25.04.2024

Autor: Tim Berressem