Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 13.05.2025

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Markus Feldenkirchen, Julia Ruhs, Oliver Kalkofe, Heinrich von Pierer
Die Gäste (v.l.n.r.): Markus Feldenkirchen, Julia Ruhs, Oliver Kalkofe, Heinrich von Pierer | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wie oft wurde das Grundgesetz bisher geändert?

Wie oft wurde das Grundgesetz bisher geändert?

BR-Journalistin Julia Ruhs äußerte sich in der Sendung zu den neuen Mehrheitsverhältnissen im Bundestag, wo die Regierung aus Union und SPD künftig mit den Linken zusammenarbeiten müsste, um z.B. eine Verfassungsänderung zu beschließen. Vor diesem Hintergrund plädierte Ruhs dafür, die Häufigkeit von Verfassungsänderungen grundsätzlich zu überdenken. Die Bundesrepublik habe ihre Verfassung in der Vergangenheit bereits deutlich öfter geändert als andere Staaten, so die Journalistin.

Grundgesetz im Wandel: Ändert Deutschland seine Verfassung häufiger als andere Staaten? | Video verfügbar bis 13.05.2026

Maischberger: "Es gibt einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Die Union hat gesagt, keine Zusammenarbeit, nichts gemeinsam mit den Linken. Dann gab es letzten Dienstag diesen zweiten Wahlgang. Der wäre nicht zustande gekommen, wenn die Geschäftsordnung an dem Punkt nicht mit den Stimmen der Linken auch verändert worden wäre. Heißt das jetzt, die Union soll diesen Beschluss aufheben, Frau Ruhs, Ihrer Meinung nach?"

Ruhs: "Also, ich wäre stark dagegen, weil letztendlich muss man sich ja fragen, wann braucht man überhaupt noch die Linken beim Abstimmen. Es geht dann meistens um Verfassungsänderungen, und da muss man sich sowieso fragen, wie oft will man die Verfassung überhaupt noch anfassen. Also, in Deutschland haben wir so diese Tradition, dass wir alle zwei Jahre die Verfassung ändern, was andere Länder nie machen oder sehr, sehr selten. Und da muss man sich mal fragen, welche kleinteiligen Regelungen man in die Verfassung schreibt. Und ob man nicht davon Abstand nimmt, statt dass man versucht, mit Parteien Politik zu machen, die Verfassung zu ändern, die am besten hinter der Brandmauer bleiben. Und damit meine ich auch die Linken."

Hintergrund: Wie oft wurde das Grundgesetz bisher geändert?

Seitdem das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland am 24. Mai 1949 in Kraft trat, wurde es insgesamt 69-mal geändert, im Durchschnitt also fast jedes Jahr. Ermöglicht werden diese Änderungen durch Artikel 79 GG. Darin ist festgelegt, dass für eine Änderung des Grundgesetzes eine Zweidrittelmehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat benötigt wird. Es gibt jedoch Passagen, die ausdrücklich nicht geändert werden dürfen. Das betrifft alle Regelungen, welche die föderale Struktur der Bundesrepublik sicherstellen, sowie die Artikel 1 und 20, in denen grundlegende Prinzipien wie Menschenwürde, Demokratieprinzip und Rechtsstaatlichkeit formuliert werden. Sie unterliegen der sogenannten Ewigkeitsklausel, mit der die Mütter und Väter des Grundgesetzes auf die Erfahrung der NS-Diktatur reagierten.

Zu den ersten bedeutenden Änderungen des Grundgesetzes zählten die Wiederbewaffnung Deutschlands durch die Gründung der Bundeswehr im Jahr 1956 sowie die Einführung der sogenannten Notstandsgesetze im Jahr 1968. Auch Fragen der Wahlberechtigung wurden durch Grundgesetzänderungen neu geregelt. So wurde im Jahr 1971 die Altersgrenze für die Wahl des Bundestages von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt. Weitere wichtige Änderungen kamen im Zuge der deutschen Wiedervereinigung 1990 zustande. So wurde z.B. in der Präambel festgeschrieben, dass das Grundgesetz nicht mehr nur für die elf westdeutschen Bundesländer, sondern auch für die fünf Länder auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gilt.

Schuldenbremse und Sondervermögen

Darüber hinaus regelt das Grundgesetz aber auch Fragen der Haushalts- und Finanzpolitik, die im Laufe der Jahre durch Verfassungsänderungen angepasst wurden. Dazu zählen die Einführung der Schuldenbremse im Jahr 2009 oder die Errichtung des Sondervermögens Bundeswehr kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022. Die 69. und damit bislang letzte Verfassungsänderung wurde im März 2025 vorgenommen. Sie bezieht sich ebenfalls auf den Bereich der Finanzpolitik. Konkret ermöglicht diese Änderung kreditfinanzierte Investitionen für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz außerhalb der Schuldenbremse. Außerdem wurde ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Klimaschutz in den Gesetzestext aufgenommen.

Doch die erforderliche Abstimmung, die nur wenige Tage vor Konstituierung des neu gewählten Bundestages stattfand, war stark umstritten. Union und SPD drängten darauf, die Gesetzesänderung noch mit den Mehrheiten des alten Bundestages zu beschließen, weil AfD und Linke das Vorhaben im neuen Bundestag hätten blockieren können. Kritiker bezweifelten jedoch, dass der alte Bundestag für eine so gewichtige Entscheidung ausreichend legitimiert war. AfD und Linke zogen sogar vor das Bundesverfassungsgericht, um die Abstimmung zu verhindern, blieben aber ohne Erfolg.

Ändert Deutschland seine Verfassung häufiger als andere Staaten?

Julia Ruhs sagte in der Sendung, dass das Grundgesetz bislang häufiger geändert wurde als andere Verfassungen in der Welt. Das stimmt. Die Verfassung der USA etwa, die im Jahr 1787 verabschiedet wurde und damit mehr als dreimal so alt ist wie das deutsche Grundgesetz, wurde bislang nur 27-mal geändert. Frankreich zählt insgesamt 24 Änderungen in seiner seit 1958 geltenden Verfassung. Deutschland liegt mit seinen bis dato 69 Änderungen deutlich darüber. In Europa führend ist den vorliegenden Daten zufolge aber Norwegen. Seit ihrer Begründung im Jahr 1814 wurde die dortige Verfassung je nach Zählweise zwischen 300- und 400-mal geändert.

Das Land, dessen Verfassung durchschnittlich am häufigsten verändert wurde, ist Brasilien. Die dort seit 1988 geltende Constituição da República Federativa do Brasil wurde bislang 135-mal ergänzt und erweitert. Im Schnitt bedeutet das fast vier Änderungen pro Jahr.

Häufige Verfassungsänderungen unter Experten umstritten

Ob das deutsche Grundgesetz im Laufe der Jahre zu häufig geändert wurde, wird von Experten kontrovers diskutiert. Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke sagte anlässlich des 70. Verfassungsjubiläums im Jahr 2019, die Veränderungen seien wichtig, weil sie den gesellschaftlichen Wandel in der Bundesrepublik abbilden. So sei das Grundgesetz von vornherein "ergänzungsbedürftig" gewesen. "Nur weil die Verfassung durch die notwendigen Änderungen gegangen ist, über die großen Debatten dieses Landes, ist das staatsbürgerliche Verständnis so geronnen, dass wir heute als Verfassungspatrioten – ob konservativer, liberaler oder linker Art – voll auf dem Boden des Grundgesetzes stehen", sagte Albrecht von Lucke damals.

Der Berliner Politologe Thorsten Faas hingegen kritisiert, dass die Artikel des Grundgesetzes im Zuge von Änderungen häufig aufgebläht worden seien. Zu oft, so bemängelt er, seien Änderungen in Form normaler Gesetzestexte vorgenommen worden, obwohl es seiner Einschätzung nach im Grundgesetz um Prinzipien und allgemeine Regeln des demokratischen Staatswesens und Miteinanders gehen sollte. Als Beispiel führt Faas den Fall des Sondervermögens für die Bundeswehr an. Dort stelle sich die Frage, ob dies wirklich in die Verfassung gehöre. Der Politologe sieht darin "eine gewisse Zweckentfremdung".

Fazit: Seit 1949 wurde das Grundgesetz insgesamt 69-mal geändert. Im Schnitt bedeutet das fast jedes Jahr eine Änderung. Im internationalen Vergleich ist das nicht wenig. Die Verfassung der USA etwa, die im Jahr 1787 verabschiedet wurde und damit mehr als dreimal so alt ist wie das deutsche Grundgesetz, wurde bislang nur 27-mal geändert. Ob Deutschland seine Verfassung zu häufig ändert, ist eine Frage, die unter Experten kontrovers diskutiert wird. Was aber feststeht: Grundlegende Prinzipien wie Menschenwürde, Föderalismus und Rechtsstaatlichkeit können in der Verfassung nicht angetastet werden. Dafür sorgt die sogenannte Ewigkeitsklausel, mit der die Mütter und Väter des Grundgesetzes auf die Erfahrung der NS-Diktatur reagierten.

Stand: 14.05.2025

Autor: Tim Berressem