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Glyphosat – Gift, das sich vom Acker macht

Auf einem Feld wird ein Pestizid ausgebracht.
Der Schaden für die Natur durch Glyphosat ist eindeutig belegt.

Glyphosat ist das Unkrautvernichtungsmittel, das weltweit am häufigsten eingesetzt wird. Der Marktanteil liegt allein in Deutschland bei rund 40 Prozent. Es ist also sehr verbreitet – leider auch unabsichtlich, wie neuere Untersuchungen belegen. Das Gift findet sich nämlich nahezu überall in der Umwelt. Auch dort, wo es eigentlich gar nicht hingelangen sollte  – zum Beispiel in Naturschutzgebieten. Ein Grund dafür könnte die Verdriftung durch die Luft sein. Eigentlich ging man davon aus, dass Glyphosat nicht mit dem Wind weitergetragen wird. In der Zulassung des Herbizids heißt es: "Wegen der geringen Flüchtigkeit von Glyphosat ist die Verdampfung des ausgebrachten Wirkstoffs vom Feld vernachlässigbar. Die Abdrift auf benachbarte Flächen hängt vom Wetter und den verwendeten Sprühgeräten ab. Bei modernen Feldspritzen erreicht durch Verdriftung noch etwa vier Prozent der Ausbringungsrate von Pflanzenschutzmitteln eine Entfernung von einem Meter vom Feldrand."

Glyphosat wird über die Luft transportiert

Doch die Verbreitung durch die Luft scheint ein größeres Problem zu sein, als allgemein bekannt. Das „Bündnis für enkeltaugliche Landwirtschaft“ ließ Wissenschaftler des „Forschungsbüros TIEM integrierte Umweltüberwachung“ die Rinden von Bäumen untersuchen. Denn diese fungieren als sogenannte Passivsammler. Sie nehmen Giftstoffe aus der Luft auf und speichern sie. Die Forscher nahmen Proben an 47 unterschiedlichen Standorten bundesweit. Überall wurden Pestizide nachgewiesen. Insgesamt fanden die ForscherInnen 106 Substanzen in unterschiedlichen Kombinationen. An 57 Prozent der Standorte wurde Glyphosat nachgewiesen. Rückstände fanden sich zum Beispiel auch in Landschaftsschutzgebieten und im städtischen Raum. Ein Beleg dafür, dass das Unkrautvernichtungsmittel sehr wohl über die Luft transportiert wird.

Bio-Landwirte unter Druck

In Deutschland arbeiten nur knapp zehn Prozent der Landwirte ohne Pestizide. Ihre Bio-Produkte müssen sie ohne Chemie erwirtschaften. Das bedeutet einen erheblichen Mehraufwand, weil das Unkraut auf den Feldern mit Hand und Hacke oder teuren Maschinen entfernt werden muss. Wo die Kräuter den Nutzpflanzen nicht unmittelbar Konkurrenz machen, dürfen sie stehen bleiben. Die Ernte wird regelmäßig auf Schadstoffe untersucht. Denn viele Biobauern beliefern beispielsweise Hersteller von Babynahrung. Da gelten sehr strenge Grenzwerte.

Angst vorm Nachbarn und vorm Kunden

Eingangsschild des Umweltbundesamtes
Das Umweltbundesamt änderte 2018 die Nutzungsverordnung für Glyphosat, wurde aber gerichtlich ausgebremst. | Bild: NDR

Umso größer ist die Sorge der Biolandwirte vor dem Gift vom Nachbarfeld. Denn mittlerweile ist klar, dass sich Glyphosat und andere, noch viel flüchtigere, Pestizide kilometerweit mit dem Wind verbreiten. Doch meist lässt sich der genaue Verursacher nicht eindeutig ermitteln. Der Biolandwirt kann im Zweifel seine Ernte nur als konventionell erwirtschaftet und damit zu deutlich niedrigeren Preisen verkaufen und bleibt auf dem Schaden sitzen. Die meisten Betroffenen trauen sich dennoch nicht, das Problem öffentlich zu machen.

Bio-Ware und potenzielle Pestizidbelastung, über dieses Thema redet man besser nicht zu laut. Denn ein Biobauer, der im Verdacht steht, ein „Giftproblem“ zu haben, wird von den Großhändlern gemieden. Die Kundschaft gibt schließlich viel Geld für die Produkte aus und ist da eher nicht zu Kompromissen bereit. Je mehr über die Giftstoffe und ihre Verbreitung bekannt wird, desto klarer ist, dass die konventionelle Landwirtschaft die Biobauern in der Umgebung bedroht.

Das Gift Glyphosat und seine Wirkung

Glyphosat steht im Verdacht, beim Menschen krebserregend zu wirken. Deshalb laufen vor allem in den USA viele Klagen gegen den Hersteller Monsanto beziehungsweise gegen den deutschen Pharma- und Chemie-Riesen Bayer, der Monsanto aufgekauft hat. Bayer hatte im Juni (2020) angekündigt, die meisten offenen Verfahren mit einem Vergleich beilegen zu wollen und dafür rund 10 Milliarden Euro bereitgestellt. 

Die gesteigerte Krebsgefahr trifft vorwiegend Menschen, die mit dem Unkrautvernichtungsmittel arbeiten. Die Mehrheit der Bevölkerung ist nicht stark betroffen. Allerdings hatte die Heinrich-Böll-Stiftung schon 2016 in einer Studie den Urin von rund 2.000 Probanden untersucht und in fast allen Proben Glyphosat nachgewiesen. Wie valide die Messwerte sind und ob man daraus eine Krebsgefahr für die breite Bevölkerung ableiten kann, ist allerdings wissenschaftlich umstritten.

Der Schaden für die Natur ist hingegen eindeutig belegt. Das Umweltbundesamt hatte die Wirkung von Glyphosat und anderen Pestiziden auf die Biodiversität in einer Studie untersuchen lassen. Die kam 2013 zu dem Ergebnis, dass Glyphosat eine große Bedrohung für die Artenvielfalt ist. Denn es vernichtet ein wichtiges Glied der Nahrungskette, ohne dass die Natur Ersatz dafür hätte: Kräuter. Diese sind Nahrungsgrundlage für viele Insektenarten, ihre Samen auch für Vögel. Es fehlt den Pflanzen zunehmend an Bestäubern und anderen Tierarten, wie der Feldlärche, an Nahrung. Ein fataler Dominoeffekt setzt ein. Und am Ende droht ein dramatischer Rückgang der Artenvielfalt. Bei diversen Tierarten ist diese Entwicklung schon weit fortgeschritten.

Blühende Landschaften als Schutzraum

Mittlerweile gibt es aber auch Untersuchungen, die zeigen, dass Gegenmaßnahmen durchaus helfen können. So bieten extra angelegte Blühstreifen mit Wildkräutern und Blumen am Rand von Feldern gute Rückzugsräume, in denen sich die Insektenpopulationen erholen und neu aufbauen können. Es reicht schon ein kleiner Anteil der Gesamtfläche, um den Vernichtungseffekt der Pestizide abzupuffern. Das Umweltbundesamt reagierte 2018 und änderte die Nutzungsverordnung für Glyphosat. Danach sollten Landwirte das Mittel nur dann einsetzen dürfen, wenn sie mindestens zehn Prozent ihrer Anbauflächen brach liegen ließen.

Glyphosathersteller klagen und bekommen Recht

Daraufhin verklagte der Glyphosathersteller die Bundesrepublik Deutschland wegen Benachteiligung – und bekam 2019 vom Verwaltungsgericht Braunschweig Recht. Begründung: "Nach Ansicht des Gerichts verstoßen diese Anwendungsbestimmungen gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, insbesondere den Harmonisierungsgedanken der EU-Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (Verordnung 1107/2009). Das VG Braunschweig verpflichtete das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) daher, die Zulassungen für die beiden Mittel, ohne die Anwendungsbestimmungen über den 31. Dezember 2019 hinaus zu erteilen."

Die Richter zweifelten gar nicht an, dass Glyphosat eine vernichtende Wirkung auf das Nahrungsnetz und die Biodiversität hat. Sie zweifelten auch nicht an, dass die Auflagen, die das Umweltbundesamt verhängen wollte, geeignet gewesen wären, um den Schaden abzumildern. Aber sie sprachen dem Umweltbundesamt das Recht ab, sich in dieser Sache einzumischen. Denn nach Ansicht der Richter braucht es zur Beurteilung der schädlichen Wirkung von Glyphosat und zur Anordnung von Gegenmaßnahmen eine europaweit abgestimmte Methodik und Bewertungsgrundlage.

Diese sollte die EU-Administration schon vor Jahren konzipiert haben. Doch bislang ist das Werk nicht fertig. Und es wird wohl auch noch einige Jahre dauern, bis eine solche Verordnung in Kraft tritt. Absurd, denn gleichzeitig hat die EU die Artenvielfalt unter besonderen Schutz gestellt. Doch wie dieser Schutz im Fall von Glyphosat aussehen könnte, ist völlig unklar.

Zulassung von Glyphosat bis Ende 2022

Auf eine Feld wird Pestizid gespritzt
Das Spritzmittel Glyphosat im Einsatz auf einem Getreidefeld. | Bild: BR

Das Umweltbundesamt war nicht bereit, das Gerichtsurteil hinzunehmen und wollte in die nächste Instanz gehen. Doch das scheiterte an der Blockadehaltung des Landwirtschaftsministeriums. So wurde das Urteil rechtskräftig. Deshalb dürfen Landwirte weiterhin Glyphosat auf ihre Felder sprühen, ohne Wildkräutern, Insekten und Vögeln im Gegenzug Rückzugsräume zu überlassen.

Wie einflussreich die Bauernlobby und die Interessensvertreter der Pestizid-Hersteller sind, war schon zwei Jahre vorher deutlich geworden: Union und SPD waren Ende 2017 nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen zähneknirschend zu einer Neuauflage der großen Koalition bereit. Die Nerven lagen überall blank. Und dennoch riskierte der damalige Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt die Regierungsbildung durch einen politischen Verrat. In Brüssel sollte zu der Zeit über eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung abgestimmt werden. Statt sich zu enthalten, wie es mit dem Umweltministerium vereinbart war, stimmte der CSU-Minister überraschend für eine Verlängerung. Damit war die Zulassung von Glyphosat bis Ende 2022 beschlossen. Umweltministerin Hendricks schäumte vor Wut, Angela Merkel tadelte den Landwirtschaftsminister öffentlich. Doch die Abstimmung war gelaufen und die Verlängerung der Zulassung des umstrittenen Herbizides nicht mehr rückgängig zu machen.

Mittlerweile sind Landwirtschaftsministerium und Umweltministerium neu besetzt. Die Ministerinnen haben sich auf ein Schutzprogramm für Insekten verständigt. Gut möglich, dass über diesen Weg doch noch Auflagen bei der Verwendung von Glyphosat eingeführt werden können.  Besonders bizarr: Bereits jetzt werben Hersteller von Konkurrenzprodukten mit dem Slogan: "Glyphosatfrei".

Doch der Wechsel von Glyphosat auf andere Herbizide würde überhaupt nichts ändern. Die Landwirte müssen den Insekten Rückzugsräume bieten, in denen sie noch Nahrung finden. Sonst ist die Artenvielfalt und damit auch der Mensch in ernster Gefahr.

Autor: Björn Platz (NDR)

Stand: 17.10.2020 14:04 Uhr

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