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Kreuzfahrt in den Klimawandel

Menschen an Bord der MS Fram
Kein Massentourismus: Expeditionsreise in die Arktis | Bild: NDR

Es gibt zwei Arten von Kreuzfahrten. Die eine Art ist teuer und findet auf gigantischen Schiffen statt. Im Jahre 2008 betrug der durchschnittliche Reisepreis etwa 1.800 Euro für neun Tage. Dafür können die Passagiere meist ein vielseitiges Unterhaltungsprogramm absolvieren, praktisch pausenlos essen, auf dem Sonnendeck liegen und ab und zu exotische Reiseziele bewundern.

Die andere Art Kreuzfahrt ist noch viel teurer, findet auf kleineren Schiffen statt und dafür kann man sich bei ihnen nur selten entspannen. Um von vorne herein keinen falschen Eindruck zu erzeugen, nennen sie sich deshalb lieber gleich "Expeditionsreisen". Ein besonderes Beispiel ist die Fahrt der MS Fram durch die arktischen Gewässer rund um Spitzbergen. 3.155 Euro für neun Tage, eiskalte Luft, wenig Luxus, dafür jede Menge wissenschaftliche Vorträge inklusive.

Wissenschaftler an Bord

Mojib Latif, einer der bekanntesten Klimaforscher Deutschlands steht an der Reling und genießt den Ausblick aufs Meer. Er ist privat auf Reisen, aber als Wissenschaftler gleichzeitig auch Teil des Programms an Bord. Und das ist für ihn schon etwas Besonderes. Die Fahrt der Fram startet im Hafen von Tromsö und führt über das Nordkap, vorbei an der Bäreninsel, bis nach Spitzbergen. Das Ziel ist der 80. Breitengrad. Das Merkmal von Expeditionsfahrten wie dieser: Statt passiv Erholung zu suchen sollen sich die Passagiere mit der Arktis und dem was sie bedroht auch theoretisch auseinandersetzen. Täglich gibt es Vorträge von hochkarätigen Experten, die als sogenannte Lektoren fungieren. Sie informieren das Passagier-Publikum über die aktuellen Ergebnisse der Forschungen zum Klimawandel.

Forscher trifft Objekt

Nicht nur an Bord, auch auf Landgängen gehen Lektoren voran, um ihrem Publikum die arktische Natur näher zu bringen. Peinlich genau wird darauf geachtet, dass niemand die verwundbare Natur stört, verdreckt oder beschädigt. Die Reise steht unter dem besonderen Aspekt des bewussten und nachhaltigen Umgangs mit der Natur. Freiwillig hat sich der Reiseveranstalter wichtigen Regeln unterworfen, auf die alle Teilnehmer immer wieder hingewiesen werden: "Hinterlassen Sie keine Spuren!" - "Nehmen Sie nichts mit!" - "Stören Sie keine Tiere!" - "Respektieren Sie die Einheimischen!"

Mojib Latif ist immer mitten drin und es fällt ihm nicht schwer, die Bedeutung der Reise für sich und alle anderen herauszustellen. Nirgendwo, so hält er fest, sei es für den normalen Menschen sichtbarer als hier, wie gefährlich die Erderwärmung für unseren Planeten nicht nur sein wird, sondern schon längst geworden sei.

Schiff mit Eisklasse 1B

Im Jahre 2007 wurde die MS Fram in der Antarktis von einem Eisberg schwer beschädigt und überstand den Unfall nur durch Glück. Ein Motorschaden hatte das Schiff manövrierunfähig gemacht. Deshalb trieb es hilflos gegen einen der riesigen Eisberge.

Dabei ist sie eigentlich bestens gerüstet für extreme Kältereisen. Die Fram verfügt über die mittlere Eisklasse 1B. Das heißt, sie ist in der Lage, Eisschichten von bis zu 60 Zentimetern mühelos zu durchbrechen. Auf dieser Reise benötigt sie solche Schutzvorrichtungen auch, obwohl allerorten von Gletscherschmelze und Klimawandel die Rede ist. Trotzdem schwimmen überall gefährliche Eisschollen herum, manche Fjorde sind wegen des dichten Eises gar nicht befahrbar – im Juni, also selbst in Zeiten der Mitternachtssonne.

Ausflüge und Nervenkitzel

Während Mojib Latif, dessen neuestes Buch bei jedem Passagier in der Kabine ausgelegt wurde, seinen Vortrag über Ozeanografie hält, kehrt Unruhe ein auf dem Schiff. An diesem Tag soll es wieder einen Landgang geben. Vielleicht, so sagen die erfahrenen Lektoren, begegne man heute einem Eisbären und deshalb sei an diesem Tag besondere Disziplin bei allen Teilnehmern gefragt. Selbst für den deutschen Klimaexperten Latif gehört die Aussicht auf eine Begegnung mit Eisbären zum Höhepunkt der Reise. Das emotionale Erleben, die Momente in der Natur, die fesseln ihn nicht anders als die etwa 200 anderen Gäste an Bord. Neugierig begleitet er die Führer und lässt sich von der Nervosität aller ein wenig anstecken. Vielleicht auch, weil immer Bewaffnete dabei, die im Fall der Fälle, den Touristen vor dem einheimischen Tier schützen müssten.

Auch wenn es beim Ausflug keine direkte Eisbärenbegegnung gibt, zurück an Bord sieht Mojib Latif dann in der Ferne doch noch die stattlichen Raubtiere und wird, wie alle anderen auch, von einer fast kindlichen Begeisterung erfasst.

Expedition und Kreuzfahrt

Die MS Fram erreicht bei weitem nicht die Dimensionen der riesigen Kreuzfahrtschiffe und sie unterscheidet sich auch im Aussehen ihrer Gäste von ihnen. Zum Essen muss hier niemand in Abendgarderobe erscheinen, zweckmäßig-lässige Kleidung ist angesagt. Unterhaltungsprogramme gibt es nicht, stattdessen treffen sich die Passagiere an der Bar und reden über den vergangenen Tag oder über den letzten Vortrag von Mojib Latif.

Müde wird hier kaum jemand, denn während der Reise herrscht Mitternachtssonne, das bedeutet, die neun Tage auf der MS Fram finden komplett im Hellen statt. Mojib Latif wirkt deshalb nach einigen Tagen auch etwas übernächtigt, denn bei diesen Lichtverhältnissen reduziert sich die Nachtruhe auf höchstens vier Stunden. Dennoch ist er nach einigen Tagen noch tatendurstig und neugierig. Das liegt vor allem daran, dass er unter anderem die nördlichste Ortschaft der Welt besuchen wird und sich auf die Kollegen vom Alfred Wegner Institut freuen kann.

Ganz oben im Norden

Ny Alesund liegt in einem traumhaften Fjord am nördlichen Rand von Spitzbergen und ist der Sitz zahlreicher wissenschaftlicher Institute. Die wichtigsten klimarelevanten Daten werden hier jahrein und jahraus gemessen. Latif freut sich auch deshalb, weil seine Kollegen gerade eine neue wissenschaftliche Studie gestartet haben und er mit dem Leiter Marcus Schumacher Erlebnisse und Ergebnisse diskutieren kann. Später an Bord will Mojib Latif unbedingt ein paar Stunden schlafen, denn bald wird die Fram die virtuelle Linie des 80. Breitengrades überqueren. Er will das nicht verpassen, aber er will jetzt auch endlich Schlaf finden.

An Bord wird es ruhig. Statt Entertainment, wollen sich die meisten Gäste die Arktis in Ruhe für alle Zeiten einprägen, denn ob es sie noch lange geben wird, daran zweifeln die meisten. Stunden später feiert Latif seine persönliche Nordpoltaufe. Blitzlichtgewitter, glückliche Gesichter, ein Schiff am Ende der Welt. Für diesen Moment ist es eine ganz normale Kreuzfahrt geworden. Eine Sehenswürdigkeit, die nicht zu sehen ist, ein Ort, der jedem hier das Gefühl von großer weiter Welt zu geben scheint.

Individuelle Ökobilanz

Mojib Latif diskutiert den größten Widerspruch der Reise nicht weg. Die CO2-Emissionen der Schiffsfahrt sind keinesfalls gering und tragen durchaus zur Welterwärmung bei. Aber, so sagt er, alle Menschen hier an Bord wären bis an den Rest ihres Lebens für die Probleme sensibilisiert, das sei auch ein Faktor, den man berechnen müsse. Handeln komme nun mal oft von Erleben. Deshalb reist er hier mit und deshalb hält er auch mehrere Vorträge.

Am Ende der Reise steigen der Klimaforscher und seine Reisegruppe aus Deutschland von Bord mit einem eigenartigen Gefühl der Verbundenheit. Sie alle durften eines der großen Naturparadiese betreten, von dem niemand genau weiß, wie sehr es sich in den nächsten Jahrzehnten verändern wird. Sie haben eine Vergnügungsreise hinter sich und müssen dennoch kein schlechtes Gewissen haben. Selbst Mojib Latif ist sicher, dass diese Reise Auswirkungen auf seine Arbeit haben wird. Es sei eben wichtig, das, worüber man spreche, ab und zu auch mal zu erleben!

Autor: Tom Ockers (NDR)

Stand: 06.09.2012 10:10 Uhr

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