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Viren als rettende Helfer

Grafischer Darstellung eines  Phagen
Viren sind natürliche Feinde von Bakterien | Bild: SWR

Stinkende Flüsse oder schmutzige Bachläufe, in die Abwasser fließt: Trinken würde hieraus niemand! Die Gefahr, sich eine bakterielle Infektion einzufangen, ist viel zu groß. Doch gerade solch dreckige Kloaken sind die Orte, an denen georgische Ärzte für ihre Patienten nach einem Heilmittel gegen Infektionen suchen. Denn wo es von gefährlichen Bakterien nur so wimmelt, sind auch die Feinde der Bakterien nicht weit: Viren!

Französische Forscher spicken in Georgien

Die französischen Ärzte Olivier Patey und Alain Dublanchet
Die französischen Ärzte Olivier Patey und Alain Dublanchet | Bild: SWR

Mit Viren gegen bakterielle Infektionen: Für Ärzte und Patienten in Georgien und anderen Ländern Osteuropas ist das eine ganz normale Behandlungsmethode. Während Westeuropäer nach Antibiotika greifen, schlucken Russen und Georgier Viren in Kapselform. Die französischen Ärzte Olivier Patey und Alain Dublanchet sind deshalb nach Georgien gereist, um diese alte Heilmethode kennen zu lernen. Außerdem haben sie noch ein anderes Ziel: Sie wollen ein paar Proben mit nach Hause nehmen, um selbst an den gesundmachenden Viren zu forschen.

Prinzip Schmarotzer

Mikroskopishce Aufnahme von einem Phagen
Phagen injizieren ihr Erbgut in Bakterienzellen | Bild: SWR

Viren, die Bakterien angreifen, sich mit ihrer Hilfe vermehren und sie schließlich abtöten, heißen Phagen. Ihr Prinzip ist – ob im übel riechenden Fluss oder im menschlichen Körper – überall gleich. Sie docken auf der Oberfläche der Bakterien an und injizieren ihr Erbgut in die Bakterienzelle hinein. Diese mutiert dann zur Phagenfabrik – bis sie platzt und Hunderte neuer Viren entlässt, die dann wieder auf Beutezug gehen. Erst, wenn kein Bakterium mehr übrig ist, können sich die Viren nicht mehr vermehren - Mission erfüllt. Für den Menschen sollen die Phagen völlig unschädlich sein, sagen die georgischen Ärzte.

Kalter Krieg: Antibiotika im Westen und Phagen im Osten

Das Eliava-Institut in Georgien
Am Eliava-Institut in Georgien wird seit Jahrzehnten geforscht | Bild: SWR

Der Georgier Georgi Eliava war einer der Begründer der Phagentherapie: In den 20er- und 30er-Jahren untersuchte er diese Methode und gründete das Eliava-Institut für Phagenforschung in Tiflis. Doch die ersten Behandlungen mit Viren waren nicht besonders zuverlässig. Und als 1941 die Antibiotika entdeckt wurden, überrollte diese neue Therapie die Phagenforschung – zumindest im Westen. In Osteuropa hielt man an der Therapie mit Viren fest und forschte weiter. Im Zweiten Weltkrieg behandelten die russischen Ärzte ihre Soldaten mit Phagen. In den Feldlazaretten in Westeuropa hieß das Allheilmittel gegen bakterielle Infektionen jedoch Penicillin – also Antibiotika. Der Kalte Krieg verhinderte dann, dass das Wissen um die Phagentherapie sich auch im Westen verbreitete. Hier forschten Wissenschaftler stattdessen weiter an den Antibiotika.

Gegen jedes Bakterium "wächst" ein Phage

Zwei Petrischalen mit Bakterienabstrichen
Die Anzucht von Bakterien in Petrischalen zeigt welche Phagen wirken | Bild: SWR

Jeder Phage ist auf ein ganz bestimmtes Bakterium spezialisiert, das heißt, die Ärzte müssen zunächst genau wissen, mit welchem Bakterium ein Patient infiziert ist. Gegen die gängigsten Bakterienstämme hat das Eliava-Institut die passenden Phagen auf Lager. Ansonsten züchten sich die Ärzte das entsprechende Virus. Dafür vermehren sie im Labor zunächst das krankmachende Bakterium auf einem Nährboden. Dann kommt das Schmutzwasser aus der Kloake ins Spiel – im Fall des Eliava-Instituts holen die Ärzte es aus einem stinkenden Bach direkt hinter dem Krankenhaus.

Die auf den Petrischalen angezüchteten Bakterien werden mit dem Flusswasser bepinselt. An den Stellen, an denen der Bakterienrasen abstirbt, hat es funktioniert: Hier wird gezielt nach dem passenden Phagen gesucht. Der wird dann vermehrt und kann dem Patienten verabreicht werden. Entweder innerlich angewendet in Form einer Kapsel – bei einer infektiösen Wunde kann aber auch der Verband mit einer Phagenlösung getränkt werden.

Vorteil gegenüber Antibiotika

Darstellung der Bakterientötenden Wirkung von Phagen
Phagen könnten vielleicht ein Mittel gegen Antibiotika resistente Baketrien sein | Bild: SWR

So gut die Antibiotika bei bakteriellen Infektionen helfen können: Sie bergen auch eine Gefahr. Denn Bakterien vermehren sich rasant schnell. Die Wahrscheinlichkeit, dass in relativ kurzer Zeit ein Bakterium entsteht, das zufällig gegen ein Antibiotikum resistent ist, ist groß. Ein Beispiel dafür sind die MRSA-Keime, die in den Krankenhäusern besonders für Menschen mit einer geschwächten Immunabwehr gefährlich werden können. Gegen diese Keime hilft kein Antibiotikum mehr. Und Wissenschaftler kommen nicht hinterher, neue Gegenmittel zu entwickeln.

Bakterien können zwar auch gegen Phagen resistent werden. Aber die Evolution der Phagen verläuft genau so schnell wie die der Bakterien, weil sich Phagen ebenso schnell vermehren können: Theoretisch kann sich gegen jedes Bakterium ein Phage entwickeln, der speziell dieses eine Bakterium abtöten kann. Besonders in Georgien setzen Ärzte Phagen ein, wenn kein Antibiotikum mehr anspringt.

Phagentherapie: Zulassung in Westeuropa?

In Westeuropa ist die Phagentherapie bisher nicht zugelassen. Kritiker der Methode befürchten, dass das Virus spontan mutieren könnte. Je nachdem, was das für eine Mutation ist, könnten die Phagen dann auch für den Menschen gefährlich werden. In der Sowjetunion wurden auf diese Art und Weise zwar schon Millionen von Menschen behandelt, wissenschaftliche Studien fehlen jedoch bis heute. Das soll sich jetzt aber ändern. Die Ärzte Olivier Patey und Alain Dublanchet reisen mit vielen interessanten Eindrücken und Phagen-Proben im Gepäck zurück nach Frankreich, um dort solche Studien anzustoßen. Sie wollen herausfinden, wie wirksam die Phagentherapie tatsächlich ist und ob die Viren für den Menschen wirklich ungefährlich sind. Wenn alle Zweifel ausgeräumt sind, könnten Viren auch in Westeuropa gegen Bakterien eingesetzt werden.

Autorin: Stefanie Schmidt (SWR)

Stand: 27.09.2012 15:55 Uhr

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