SENDETERMIN So., 03.04.11 | 17:03 Uhr | Das Erste

Alt sein macht glücklich

Zwei ältere Damen vor Kuchentheke im Café
Das Schöne genießen – im Alter nimmt das Bedürfnis danach zu | Bild: WDR

Als 40-Jährige hat sie ihrem Mann einen Topf mit heißen Kartoffeln vor die Füße gepfeffert. Ruth, heute 80, lacht: "Da war er ruhig und hat große Augen gemacht, als die Kartoffeln durch die ganze Küche gekullert sind!" Ein saftiger Ehestreit war nichts Ungewöhnliches für sie – damals. Heute lässt sich die Leipzigern nicht mehr zu Temperamentsausbrüchen hinreißen. Stattdessen vermeidet sie Ärger und Auseinandersetzungen. "Ich bin auch im Freundeskreis möglichst positiv. Wir sind immer sehr lustig und fröhlich miteinander. Das ist in unserem Alter wichtig, weil man ja nie weiß, wie lange man das Leben noch genießen kann – schon rein gesundheitlich. Deshalb sollte man Streit vermeiden und möglichst nur die schönen Zeiten zusammen genießen."

Abgestumpft und grundlos optimistisch?

Zwei ältere Damen beim Kaffeetrinken
Gemütliches Kaffeekränzchen statt Problemdiskussion: realitätsfern? | Bild: WDR

Auf das Gute schauen – das scheint Älteren oft leichter zu fallen als Jüngeren, haben Psychologen beobachtet. Tatsächlich sind Menschen über 55 mit ihrem Leben oft deutlich zufriedener als Jüngere. Und das, obwohl man meinen könnte, dass im Alter alles bergab geht: Die Attraktivität schwindet, Sinne und Beweglichkeit lassen nach, gesundheitliche Beschwerden nehmen zu und das Gedächtnis und einige geistige Fähigkeiten bauen sich ab. Trotzdem sind die Alten besser gelaunt – fast ein Paradox.

Manche Forscher glauben, dass Ältere geradezu abstumpfen und zu starken Gefühlen gar nicht mehr in der Lage sind. Andere sehen Alte als unrealistische Optimisten, die ihre Ruhe haben wollen und deshalb auf das Positive starren. Die Gefahr: Sie könnten die Realität ausblenden und zum Beispiel dann Opfer von Betrügern oder skrupellosen Vertretern werden.

Verhalten kann ein Leben lang flexibel bleiben

Entwicklungspsychologin Ute Kunzmann, Universität Leipzig
Entwicklungspsychologin Ute Kunzmann, Universität Leipzig | Bild: WDR

Entwicklungspsychologen wie Ute Kunzmann interessieren sich für den Gefühlshaushalt älterer Menschen. Die Leipziger Forscherin glaubt nicht, dass alte Menschen einfach abstumpfen. Ihr Spezialgebiet ist die Psychologie der Lebensspanne: Sie geht davon aus, dass Menschen ihr ganzes Leben lang ihr Verhalten flexibel anpassen können. Die Frage ist, wann und unter welchen Umständen sie das tun: "Natürlich wäre es gefährlich, rein auf das Gute zu schauen und negative Informationen einfach auszublenden. Stellen Sie sich vor, Sie gehen durch einen dunklen Wald, komische Geräusche treten auf und Sie sind dabei glücklich - das brächte Sie in Gefahr", sagt Ute Kunzmann. Ihr Team untersucht deswegen die Frage, ob ältere Menschen tatsächlich starr auf das Gute schauen und dabei unflexibel oder unrealistisch werden – oder ob sie noch starke Gefühlsreaktionen haben können.

Ekelfotos und Blumenbilder

Ältere Probandin mit Tastatur und Sensoren
116 ältere und jüngere Versuchspersonen sahen so Ekelfotos und Blumenbilder | Bild: WDR

An ihrem Institut an der Universität Leipzig hat ihr Team daher eine Studie mit insgesamt 116 jungen und alten Probanden durchgeführt. Ziel war es, die Gefühlsreaktionen der Teilnehmer auf beeindruckende Bilder zu erfassen. Zu Beginn füllten die Probanden einen Fragebogen zu ihrem momentanen Befinden und zu ihrer Persönlichkeit aus. Anschließend sahen sie eine Reihe von Bildern, die emotional auf verschiedene Weise aufrüttelnd waren – Nackte in erotischen Situationen, Ekelfotos, lachende Kinder, Blumenwiesen, leckere Süßigkeiten. Nach den Bildern gaben die Teilnehmer per Tastatur ein, wie sie die Bilder empfanden und wie stark das Gefühl war. Während des ganzen Tests waren sie an Messgeräte angeschlossen: EKG an den Rippen, einen Bewegungsmesser um die Taille, dazu Sensoren, die Fingerpuls, Temperatur und Hautleitfähigkeit messen. Diese Signale für unbewusste körperliche Reaktionen wurden von den Forscherinnen später mit den subjektiven Empfindungen verglichen, die die Probanden angaben.

Glücklich altern: eine Frage der Gelassenheit

Ältere Dame, lachend
Gut drauf im Alter – viele schaffen das | Bild: WDR

Die Studie ist noch nicht ganz ausgewertet, doch erste Daten bestätigen einen Eindruck, den die Leipziger Psychologinnen auch aus anderen Studien schon gewonnen haben: Ältere Menschen stumpfen keineswegs ab. "Gerade auf Schock-Bilder zum Beispiel reagieren Ältere und Junge gleich stark. Was unsere Befunde ganz klar zeigen, ist, dass ältere Menschen wählerischer sind, was das Emotionale angeht. Wir nennen das Selektivität. Diese Selektivität ist auch ganz wichtig, wenn Sie sich klar machen, dass die Ressourcen mit zunehmendem Alter geringer werden."

Während junge Menschen es mit jedem Ärger aufnehmen, weil sie viel Kraft und Energie übrig haben, teilen sich alte Menschen lieber gut ein, wann es sich lohnt, sich aufzuregen. Natürlich gibt es keine Garantie, dass wirklich jeder so altersmilde und ausgeglichen wird. "Ein Patentrezept für glückliches Altern", sagt Ute Kunzmann, "gibt es nicht." Aber tatsächlich entwickelt sich im Alter oft eine neue Art von Gefühlsökonomie, glaubt die Forscherin: "Wo investiere ich und wo nicht – das ist die Frage." Wer das im Sinne von Gelassenheit löst, hat gute Aussichten auf Wohlbefinden und hohe Lebenszufriedenheit – auch im Alter.

Autorin: Johanna Bayer (WDR)

Stand: 06.09.2012 10:09 Uhr

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