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Großtierpraxen: bis zur Schulter in der Kuh

Anke Heikens bei einer Kuh
Anke Heikens untersucht eine Kuh | Bild: NDR

Tiere, die in eine Handtasche passen? Das ist nichts für Anke Heikens. Die Tierärztin aus Ostfriesland arbeitet fast 20 Jahre in ihrem Beruf und behandelt ausschließlich Kühe und Pferde. Bis vor einiger Zeit war sie in einer Praxis mit nur wenig Mitarbeitern beschäftigt: "15 Stunden täglich, keine Wochenenden, immer auf Bereitschaft, anders geht es nicht in einem kleinen Betrieb. Denn die Tiere werden ja nicht nach Dienstplan krank. Da kommt man erschöpft und müde nach Hause, das ist fürs Familienleben nicht gerade gut", sagt die zweifache Mutter.

Ihre Ehe ging deshalb in die Brüche, heute lebt sie mit Tochter und Sohn alleine. "Ich habe noch Glück gehabt, denn wenn ich anschließend nicht die Gemeinschaftspraxis hier in Detern gefunden hätte, wäre es schwer geworden, den Beruf weiter auszuüben." Gemeinsam mit sieben anderen Tierärzten versorgt die Praxis rund 50.000 Rinder und einige Tausend Pferde. Es fällt zwar nicht weniger Arbeit an als in Einzelpraxen, aber sie lässt sich besser organisieren. Deshalb war es sogar möglich, Anke Heikens eine Halbtags-Stelle anzubieten. Jetzt kann sie Beruf und Privatleben hervorragend kombinieren.

Nachwuchsmangel auf dem Land

Der Urlaubsplaner der Praxis
Die Gemeinschaftspraxis bietet eine geregelte Arbeitszeit | Bild: NDR

Doch die Gemeinschaftspraxis in Detern mit ihren sieben Tierärzten ist eine Ausnahme. Die meisten Großtierpraktiker, also jene Veterinäre, die sich um Rinder, Kühe, Schafe und Schweine kümmern, betreuen ihre Kundschaft ganz alleine oder mit bestenfalls einem Assistenten. Der Begriff "flexible Arbeitszeiten" bedeutet für diese Ärzte im Extrem sieben Tage in der Woche 24 Stunden Bereitschaft. Dabei ist es nicht so, dass sie nicht gerne weitere Tierärzte einstellen würden. Das Problem ist, dass sie niemanden finden. In den Großtierpraxen herrscht akuter Nachwuchsmangel.

Praktikanten und Volontäre sind in der Gemeinschaftspraxis in Detern ständig zu Gast. Und die haben klare Vorstellungen für ihre weitere Lebensplanung. Miteigentümer Jakob Beening beschreibt das so: "Wenn man heute irgendwelche Bewerbungsgespräche führt, ist es doch so: Die Leute fragen in der Regel nach der Freizeitregelung, nach Urlaub, Wochenendregelung, Nachtdiensten. Nach dem guten Gehalt wird überhaupt nicht gefragt, das wird vorausgesetzt, zumindest in der Großtierpraxis."

Anspruch und Wirklichkeit

Eine Kuh
Großtiere werden in der Regel in den Ställen behandelt | Bild: NDR

Tierärzte gibt es eigentlich genug, aber die meisten von ihnen wollen lieber mit Kleintieren arbeiten. Meerschweinchen, Kätzchen und Hunde kommen mit ihren Besitzern in die Praxis und wollen nicht in kalten, zugigen Ställen behandelt werden. Sie sind meist sauber und vor allem halten sie sich an die Öffnungszeiten. Notdienste sind überschaubar. Der Job mit Rindern ist da schon von anderem Kaliber. Anke Heikens steckt bei fast jeder Untersuchung bis zur Schulter in einer der Körperöffnungen ihrer Patienten und oft muss sie mit großem Kraftaufwand arbeiten. Kälber in der Gebärmutter drehen, Kaiserschnitte an der stehenden Kuh, Noteingriffe an wilden Bullen, das ist kein Zuckerschlecken. "Nagellack und lange Fingernägel haben in diesem Beruf nichts zu suchen", sagt die schlanke, drahtige Frau selbstbewusst und zeigt dabei ihre Hände. Risse, Schwielen, Muskeln – echte Arbeiterhände.

Zu viele Frauen, zu wenig Männer?

Anke Heikens im Stall
Die Arbeit fordert viel körperlichen Einsatz | Bild: NDR

Es verwundert nicht, dass es in diesem Bereich der Tiermedizin Nachwuchsprobleme gibt: 86 Prozent der Veterinär-Studenten sind weiblich. Viele von ihnen stammen aus der Stadt und haben vor dem Studium noch nie mit Rindern zu tun gehabt. Das ist aber eine der wichtigsten Voraussetzungen. Alle Mitglieder der Tierarztpraxis in Detern haben familiär einen landwirtschaftlichen Hintergrund. Doch das ist bei Studenten der Tiermedizin heute eher die Ausnahme.

Inzwischen wird schon darüber diskutiert, an den Unis eine Männerquote einzuführen. Norwegen zum Beispiel will damit seine Nachwuchsprobleme in Großtierpraxen beseitigen. Doch der Erfolg ist fraglich, denn auch viele Männer haben längst den Spaß daran verloren, einen Knochenjob wie diesen – mit wenig Freizeit weitab der Stadt – auszuführen.

Anke Heikens bringt es letztlich auf den Punkt: "Man muss die Tiere lieben, man muss den Job beherrschen und man muss eine Großtierpraxis wie diese finden, um an diesem Job richtig Spaß zu haben."

Autor: Tom Ockers (NDR)

Stand: 10.11.2015 14:12 Uhr

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