Interview mit Nicolas Wackerbarth

Regisseur Nicolas Wackerbarth (stehend) bei den Dreharbeiten zum Fernsehfilm "Casting", der hinter den Kulissen eines Filmdrehs spielt, mit den Darstellern (v.l.n.r.) Stephan Grossmann, Andreas Abel und Milena Dreißig.
Regisseur Nicolas Wackerbarth (stehend) bei den Dreharbeiten zum Fernsehfilm "Casting", der hinter den Kulissen eines Filmdrehs spielt, mit den Darstellern (v.l.n.r.) Stephan Grossmann, Andreas Abel und Milena Dreißig. | Bild: SWR

Interview mit Nicolas Wackerbarth

»Castings entscheiden sich oft schon in dem Moment, wenn jemand zur Tür hereinkommt. Jede Geste, jede Regung, jeder Satz steht unter Beobachtung. Da man noch keine gemeinsame Vertragsbasis hat, tut man so, als begegne man sich aus Freundschaft. Alles Wollen soll höflich verborgen bleiben, aller Wettbewerb auch. Es ist eine aufgeladene Situation. Sie bildet die Basis des Films.«

»Casting« ist der zweite Film, den Sie improvisatorisch mit SchauspielerInnen erarbeitet haben …

Schauspieler spielen Schauspieler. Durch diese Doppelung kann sich ein interessantes Wechselspiel zwischen Dokumentation und Inszenierung ergeben. Bei »Unten Mitte Kinn« ging es um junge Schauspielstudierende, die in einer Zwangsgemeinschaft ihrer elitären Ausbildung ausgesetzt sind. Im Berufsleben ist man dagegen auf sich selbst gestellt und jeder muss alleine seinen Weg finden, um sich auf dem Markt zu behaupten. »Casting« sollte daher Einzelpersonen Mitte vierzig, wie dem arbeitslosen Gerwin, bei seiner schauspielerischen Wiedergeburt folgen. Wir nannten das am Set scherzhaft unsere Ü-40-Party. Das improvisatorische Arbeiten ermöglichte uns dabei, das Ringen um den Ausdruck, die Suchbewegungen beim Sprechen einzufangen.

Es gab kein Drehbuch mit Dialogen?

Ich hatte vorab gemeinsam mit meinem Koautor Hannes Held ausführliche szenische Beschreibungen und einen dramaturgischen Bogen erarbeitet, so dass wir wussten, welche Konflikte aufeinander folgen mussten. Den SchauspielerInnen wurde die Handlung aber jeden Tag nur Stück für Stück einzeln mitgeteilt. Da keiner weiß, was der Mitspieler vorhat und wie er verbal reagieren wird, ist es nicht nur eine emotionale, sondern auch eine intellektuelle Herausforderung. Macht viel Spaß. Mehr als auf Marken gehen und Texte aufsagen.

Was hat Sie an dem Thema Casting interessiert?

Die Angst, mit vierzig Jahren zur »Resterampe« zu gehören, ist nicht nur unter freischaffenden Künstlern weit verbreitet. Der ökonomische Druck hat uns beim Entwickeln des Stoffs dabei weniger beschäftigt als der selbst eingebildete Erfolgsdruck, der in unserer Gesellschaft ja nicht nur in der Kreativbranche vorkommt. »Casting« ist vielleicht auch ein Film über Menschen geworden, die die gesellschaftlichen Ansprüche nicht erfüllen können - und wer kann das schon -, die sich selbst als ungenügend empfinden und andere als ungenügend kritisieren.

Warum haben Sie Fassbinders »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« für die Film im Film-Handlung gewählt?

Das Theaterstück interagiert auf vielfältige Weise mit der Geschichte des Films. Petra von Kant ist eine erfolgreiche Modemacherin. Dadurch, dass sie eine prominente, öffentliche Person geworden ist, kann sie sich nicht mehr sicher sein, ob ihre Mitmenschen sie wegen ihres Ruhms und der ökonomischen Möglichkeiten, die ihre Machtposition mit sich bringt, lieben oder um ihrer selbst willen. Bei unserer Hauptfigur Gerwin ist das genau anders herum. Er scheißt auf sein Selbst, davon kann er sich nichts kaufen. Jetzt will er endlich mal die berufliche Anerkennung haben, die ihm bisher verwehrt worden ist. Alle kämpfen in dem Film darum, arbeiten zu dürfen. Die Regisseurin hat sich auf den Vorschlag von ihrem Produzenten eingelassen, zum 75. Geburtstag von Fassbinder diesen Film neu zu inszenieren. Für eine kompromisslose Regisseurin wie Vera ist es wohl keine so gute Idee einen faulen Kompromiss einzugehen. Aber es tut sich ein interessantes Spannungsverhältnis auf. Ein Widerspruch, in dem die meisten Filmschaffenden in unserer Gesellschaft leben. Während sich Fassbinder risikofreudig in Beziehungen warf, die öffentliche Meinung provozierte und eine Vorstellung von einem politischen Körper hatte, ist Vera ein Spätzünder, so wie ich übrigens auch. Vorsichtig sucht sie nach einem Zugriff, der es ermöglicht, ihr Selbstbild als Künstlerin zu wahren und integer zu erscheinen sowie alle Optionen auf eine Karriere in der Filmbranche offen zu halten. Dem Anspielpartner geht es ähnlich. Er klammert sich an einen Strohhalm, um seine Chance auf Beschäftigung zu wahren. Selbst für die eingeladenen, scheinbar erfolgreichen Schauspielerinnen hört das Sich-Bewerben-Müssen nicht auf. Mittlerweile sind Fassbinders Arbeiten Teil des bildungsbürgerlichen Kanons geworden. Also schmückt sich der Produzent damit, obwohl er sich nie mit dessen Werk auseinandergesetzt hat, denn auch für ihn bietet sich die Möglichkeit, wieder mal einen Film zu realisieren.

Wir erleben in »Casting« mal komödiantisch, mal schmerzhaft mit, was die Schauspielerinnen und ihr Anspielpartner Gerwin auf sich nehmen, um besetzt zu werden. Ist der Prozess des Verbiegens im Schauspiel-Casting krasser als in anderen Bewerbungssituationen, weil von den Darstellern so viel Einbringen ihrer Persönlichkeit erwartet wird? Bei Gerwin tut es ja richtig weh, wie er sich dem unterordnet, was er gerade für das Opportune hält.

Im Spiel ordnet sich Gerwin ja nicht unter. Im Gegenteil. Da ist er stur und beratungsresistent. Sich vor der Kamera zu verbiegen, wäre auch kontraproduktiv, das wissen Schauspieler sehr genau. Was sich, finde ich, an dem Beruf gut zeigen lässt, ist der Widerspruch im Kunstbetrieb zwischen dem Hochhalten hehrer Kunstideale und dem eigentlichen Antrieb, der aus Eigennutz besteht. Ich glaube nicht - und denke, dass der Film das auch zeigt - dass Schauspieler per se opportunistischer sind als Regisseure oder Produzenten... oder Beleuchter. Nur Sportler, also die finde ich manchmal schon krass (lacht).... aber gut, die dürfen sich ja nicht mal die Fingernägel in Regenbogen-Farben lackieren, ohne dass es Stress von Verbänden gibt.

Sie haben selbst auch als Schauspieler gearbeitet. Sind eigene Casting-Erfahrungen in den Film eingeflossen?

Ich kenne beiden Seiten. Die Nöte des Regisseurs und die des Schauspielers. Ich wurde nicht nur gecastet und könnte Ihnen da einige - auch für mich - peinliche Anekdoten erzählen, ich habe einmal auch als Anspielpartner gearbeitet. Und zwar für eine Freundin beim Casting ihres Kinospielfilms. Während sich die großen Schauspielerinnen ihrer Generation die Klinke in die Hand gaben, konnte ich beobachten, wie sich Hierarchie, Angst und Freude in kleinen und großen Gesten zeigten. Interessant war auch zu sehen, wie in mir langsam der Wunsch, selbst Teil des Films zu werden, wuchs. Das scheint mir in der Position des Anspielpartners fast unvermeidlich und verleiht diesem Beruf eine bittere Note. Man geht ja gemeinsam mit professionellen Schauspielern den Text durch, scherzt und probiert spielerisch verschiedene Richtungen aus. Je länger der Casting-Prozess dauert, desto mehr fühlt man sich zugehörig. Ein Trugschluss. Sobald das Casting vorbei ist, fangen die Schauspieler an zu arbeiten und der Anspielpartner ... der geht nach Hause. Mir gefiel übrigens auch der Gedanke, jemanden zu filmen, der sonst nicht gefilmt wird.

Wie lief es mit der Besetzung? Haben Sie Castings veranstaltet?

Ich plane viel Zeit ein und achte auf eine möglichst flache Hierarchie. Deshalb treffe ich mich meist alleine mit zwei Schauspielern auf einer Probebühne und muss mir dann spontan eine Improvisation überlegen. So lastet der Druck, etwas Gutes liefern zu müssen, erstmal auf mir und nicht auf den Schauspielern.

Wie bereiten Sie die Schauspieler*innen vor und wie stark greifen Sie beim Drehen in das Geschehen ein? Wie groß ist die Freiheit der Schauspieler? Und ist der Schnitt dann die Zurückeroberung der Macht?

Der Schauspieler geht bei einer Improvisation aufs freie Feld, liefert sich aus und deshalb würde ich nie unterbrechen und Vorschläge beurteilen. Gefühle wie Scham und falschen Ehrgeiz verlieren ihre hemmende Kraft erst, wenn man frontal darauf zusteuert. Durch ihre unerschrockenen Spielangebote helfen mir die Schauspieler* innen, auch die Funktionsweise einer Szene en détail zu verstehen. Sobald das klar ist ... und das kann dauern ..., hebt das Ganze wie von alleine ab. Aus so einem schönen halbstündigen Take formen wir dann im Schnitt eine Szene und schauen später, wie sie sich ins Gesamtgefüge einpasst. Zum Ende der Dreharbeiten, wenn die Figuren und Themen von allen Beteiligten verinnerlicht und reflektiert sind, wird es übrigens immer leichter und wir kommen ziemlich schnell auf den Punkt.

»Casting« ist ja in den letzten Jahren durch das Genre der Castingshows ein enorm populärer Begriff geworden. Während dort eine Schauseite präsentiert wird, erwartet Ihr Film von seinem Publikum, sich auf ihn einzulassen, schenkt dann aber geradezu intime Einblicke in das Entwerfen von Rollen. Was war denn Ihr ästhetisches Vorhaben mit dem Film?

In den Castings-Shows werden große Emotionen wie Triumphgefühle oder Enttäuschungen getriggert und nochmal in Zeitlupe mit Musik wiederholt, wenn der Bildredaktion die Tränen authentisch erscheinen. Authentizität ist das höchste Ziel und wird durch das Abfeiern derselben ad absurdum geführt. Ich versuche eher eine Situation zu durchdringen und nicht das Zitat derselben für den Fortgang der Geschichte zu präsentieren. Dabei interessiert mich nicht das Echte, sondern der Fake. Ich finde die Lüge interessanter. Der Mensch ist nun mal ein geschwätziges und soziales Wesen. Ästhetisch möchte ich den Spielvorgang an sich, die Performance sichtbar machen. Deshalb arbeite ich auch mit sehr erfahrenen Schauspielern, die ein Casting spielen und zugleich kommentieren können. Ich hoffe, dass so ein doppelter Boden entsteht, der das Ganze interessanter und somit auch amüsanter macht. Sie haben »Casting« mit einem Fernsehsender in dessen Studios und Räumen realisiert. War das für den Film von Bedeutung, bezieht er sich vorwiegend aufs Fernsehen? Um den Zuschauer die miteinander konkurrierenden Interessen bei der Entscheidungsfindung eines Castings transparent zu machen, mussten wir die Kulturproduktion verorten. Der Film zeigt z. B. nicht die chaotischen, schlecht finanzierten Dreharbeiten eines Independent- Kinofilms, sondern die Vorproduktion eines deutschen Fernsehfilms. Daraus ergeben sich für die Regisseurin und den Produzenten andere Bedingungen. Die Gelegenheit den Film in den Studios des SWR, gemeinsam mit dem Team des SWR, verwirklich zu können, kam uns entgegen. Erst wenn es einem gelingt eine Situation exakt zu beschreiben, kann sich der universelle Charakter einer Geschichte entfalten. Die ungestillte Sehnsucht eines Mittvierzigers zu thematisieren, der als junger Schauspieler »Bigger Than Life« sein wollte und nochmal eine zweite Chance bekommt, finde ich unter anderem auch deshalb interessant, weil sich mittlerweile der Castingprozess auch auf unsere private Kommunikation ausgeweitet hat. Sich mit Fotos zu präsentieren, sein Leben mit filmischen Verfahren zu inszenieren ist Teil des Alltags geworden. Dabei scheint Aufmerksamkeit das Gut zu sein, nach der nicht mehr nur Schauspieler und Politiker streben.

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