Di., 12.01.21 | 21:50 Uhr
Das Erste
Die Charité – Ein Krankenhaus im Kalten Krieg
Der Mauerbau ändert die Situation an der Charité. War sie nach dem Ende des Krieges zunächst ein Ort der bürgerlichen Eliten, die in Anpassung und Opportunismus geübt waren. Aus den Göttern in Weiß werden nicht über Nacht Götter in Rot. Medizinische Koryphäen, die eine kurze Phase der Entnazifizierung überstanden haben, bleiben oft in ihren alten Positionen. Diese Kontinuität beherrscht das Klima im Vorzeigekrankenhaus der noch jungen DDR. Der geerbte Ruhm des Hauses wirkt weiter.
Der österreichische Forensiker Otto Prokop wechselt von der Universität Bonn an die Charité und übernimmt dort die Gerichtsmedizin. Er bleibt ein Pendler zwischen den Welten und wird international bekannt als "Blutgruppenpapst". Andere, wie der Biochemiker Mitja Rapoport und die Kinderärztin Ingeborg Rapoport, entscheiden sich bewusst für das sozialistische Land. Zweimal wurden sie vertrieben: zuerst durch die Nazis, weil sie Juden waren. Später mussten sie die USA in der McCarthy-Ära verlassen, weil sie als Kommunisten verfolgt wurden. An der Charité werden sie bleiben. Die DDR ist für sie die vermeintliche Alternative zu dem Deutschland, das Faschismus und Rassenverfolgung hervorgebracht hat.
Außenzaun der Charité 1961 mit Stacheldraht abgeriegelt
Die Krankenstadt in der Mitte Berlins liegt direkt an der Grenze zwischen sowjetischem und britischem Sektor. Im August 1961 wird der Außenzaun der Charité mit Stacheldraht abgeriegelt und von Grenztruppen bewacht. Alle Fenster der Kliniken in Richtung Westen werden eilig mit Pappen abgedichtet und später zugemauert. "Störfrei machen" heißt diese Aktion. Viele Ärzte und Schwestern der Charité waren Westberliner. Jetzt gibt es strikte Anweisungen: Umzug in die DDR oder Kündigung. Die meisten von ihnen verlassen ihr Krankenhaus.
Im Klinikalltag läuft in den ersten Monaten nach dem Mauerbau kaum mehr etwas so, wie es war. Eine eigene Herz-Lungen-Maschine muss beschafft werden, da solche Operationen nun nicht mehr in West-Berlin durchgeführt werden können. Ärzte und Wissenschaftler der Charité entfalten Ehrgeiz und Ethos, den guten Ruf, trotz Mangelwirtschaft und schwieriger Finanzlage, zu bewahren. Ingeborg Rapoport hat es als Ärztin schwer, sich mit neuen Ideen durchzusetzen. Sie will die Neugeborenen schon unmittelbar nach der Geburt betreuen und so die Säuglingssterblichkeit senken. Schließlich gelingt ihr der große Durchbruch und sie erhält den ersten Lehrstuhl für Neonatologie in ganz Europa.
Begleitdoku zur 3. Staffel der Fernsehserie "Charité"
Der Kardiologe Joachim Witte knüpft über die Grenze hinweg Kontakte zur Westberliner Firma Biotronik und entwickelt auf eigene Faust den ersten eigenen Herzschrittmacher der DDR. Das bringt ihm anfangs Misstrauen und Ärger ein, rettet aber vielen Patienten das Leben. Im Spannungsfeld des Kalten Krieges ist die Charité das Prestigeobjekt der DDR, das renommierteste Krankenhaus im ganzen Ostblock, ein Sehnsuchtsort für Kranke und Mediziner.
Der Film erzählt die Geschichte der Charité von der Stalin-Ära über den Mauerbau und die Jahre der "Koexistenz" bis zum Mauerfall 1989. Über 40 Jahre wird der Erzählrahmen gespannt, die Geschichte der Ost-West Konfrontation anhand von ausgewählten Lebensläufen dokumentiert. Ingeborg Rapoport gab 2016 ein letztes, großes Interview - da war sie 104 Jahre alt. Sie sprach glasklar und leidenschaftlich über die beste Zeit ihres Lebens: die Jahre an der Charité.
"Die Charité – Ein Krankenhaus im Kalten Krieg" ist die Begleitdoku zur 3. Staffel der Fernsehserie "Charité", die vom August 1961 erzählt.
Ein Film von Dagmar Wittmers
Kommentare