Diesel-Affäre bei Audi hat offenbar weit größere Ausmaße

Der Abgasskandal bei Audi hat offenbar eine weitaus größere Dimension als bislang bekannt.
Der Abgasskandal bei Audi hat offenbar eine weitaus größere Dimension als bislang bekannt.

Der Ingolstädter Autobauer Audi hat in der Abgasaffäre offenbar umfassender manipuliert als bislang bekannt. Das haben gemeinsame Recherchen des Bayerischen Rundfunks und des Handelsblatts ergeben. Demnach hat Audi noch bis Anfang 2018 Diesel-Modelle der Abgasnorm Euro-6 verkauft, die nicht nur eine, sondern meist vier unterschiedliche Abschalteinrichtungen nutzen. BR Recherche wertete Tausende von Dokumenten aus, die Informanten den Investigativjournalisten zugespielt hatten. Der Film zur Recherche "Der Fall Audi" wird als "Story im Ersten" am Montag, 1. Juli 2019, um 22:45 Uhr in der ARD ausgestrahlt. Weitere Sendungen in ARD und BR beschäftigen sich ebenfalls mit dem Thema. "Der Fall Audi" ist in der ARD-Mediathek nach Ausstrahlung 12 Monate abrufbar.

Die Filmautoren Arne Meyer-Fünffinger, Josef Streule und Lisa Wreschniok erhielten Einsicht in vertrauliche Protokolle und Präsentationen sowie internen Schriftverkehr. Daraus ergibt sich eine neue, weitaus größere Dimension des Abgasskandals bei Audi. Nach den Recherchen hat Audi noch bis Anfang 2018 Diesel-Modelle der Abgasnorm Euro-6 verkauft, die nicht nur eine, sondern meist vier unterschiedliche Abgasstrategien nutzen. Dadurch sind die Fahrzeuge auf dem Prüfstand sauberer als im Betrieb auf der Straße.

Abschalteinrichtungen auch bei Fahrzeugen von VW und Porsche

Betroffen sind neben verschiedenen Audi-Modellen mit 3.0 und 4.2 Liter-Motoren auch Fahrzeuge der Schwesterunternehmen VW und Porsche. Das geht aus mehreren Bescheiden hervor, die das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) von Oktober 2017 bis Januar 2018 zum Rückruf der betroffenen Dieselautos an die Autohersteller verschickt hat. Die bislang nicht öffentlichen Schreiben an Audi, Porsche und VW liegen dem Bayerischen Rundfunk vor. Sie zeigen: In den Fahrzeugen werden meist vier "Strategien" genutzt, alphabetisch aufgeschlüsselt als "Strategien" A bis D.

Das Kraftfahrt-Bundesamt stuft jeweils nur eine davon, die sogenannte "Aufwärmstrategie" als „unzulässig“ ein. Die anderen "Strategien" kann Audi „freiwillig“ entfernen. Dabei geht aus den Bescheiden hervor, dass die Flensburger Behörde bei den meisten Modellen die "Strategien" nicht selbst technisch geprüft, sondern nach "Aktenlage" entschieden hat. Audi teilt auf Anfrage von BR und Handelsblatt allgemein mit, im Rahmen der technischen Aufklärung der Dieselkrise habe man sich mit dem KBA laufend über die Analyseergebnisse ausgetauscht.

Audi-Fahrer fühlen sich getäuscht, Gutachter kritisiert KBA und Politik

Die Öffentlichkeit wurde bisher durch das dem KBA übergeordnete Bundesverkehrsministerium nur über eine Abschalteinrichtung in den zurückgerufenen Euro-6-Diesel-Modellen von Audi informiert. Audi-Fahrer von betroffenen Fahrzeugen, denen die BR-Reporter den nicht öffentlichen Bescheid gezeigt haben, fühlen sich getäuscht.

Der Jurist Prof. Martin Führ von der Hochschule Darmstadt war Gutachter im Untersuchungsausschuss zum Abgasskandal des Deutschen Bundestages. Er kritisiert das Vorgehen von KBA und Politik, denn es verschaffe Audi womöglich einen großen Vorteil: "Das Unternehmen ist deswegen günstiger gestellt, weil eben nicht klar ausgesprochen ist, dass in vier Fällen ein rechtswidriges Verhalten vorlag, sondern nur in einem. Damit steht man zunächst mal vor den Zivilgerichten günstiger da."

Auf Anfrage von BR und Handelsblatt antwortet das Bundesverkehrsministerium vage, es würden "fortlaufend Fahrzeuge deutscher und internationaler Hersteller untersucht und – falls notwendig – die erforderlichen Maßnahmen durch das KBA konsequent ergriffen".

Ermittelnde Staatsanwaltschaft sah sich zeitweise durch Kraftfahrt-Bundesamt behindert

Die Staatsanwaltschaft München II ermittelt im Dieselskandal bei Audi aktuell gegen 27 Beschuldigte. Aus den vertraulichen Unterlagen zu Audi, die die Filmautoren ausgewertet haben, geht hervor, dass die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit durch das Kraftfahrt-Bundesamt zwischenzeitlich sogar behindert sah und harte Sanktionen in Aussicht stellte. Konkret hatte ein Staatsanwalt das KBA aufgefordert, bei Erkenntnissen über illegale Abschalteinrichtungen unmittelbar informiert zu werden – noch bevor Audi oder VW informiert werden. Später erfuhr er jedoch aus den Medien, dass das KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung den Rückruf von Audi-Dieselmodellen veranlasst hatte. Daraufhin wandte er sich mehrfach schriftlich an den KBA-Präsidenten und wies darauf hin, "dass eine nur eingeschränkte Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden (…) den Straftatbestand der (mindestens versuchten) Strafvereitelung erfüllen kann".

Der Film "Der Fall Audi" gibt anhand der internen Dokumente auch Einblick, wie die Diesel-Manipulationen bei Audi begannen und welche Rolle die Unternehmenskultur dabei gespielt hat. Ein Insider, der anonym bleiben will, berichtet von großem Druck, der im VW-Konzern herrschte: "Scheitern ist nicht vorgesehen. Das ist keine Option. Und wenn es passiert, sieht jeder zu, dass er es nicht gewesen ist, weil man weiß, was die Konsequenzen für einen persönlich sind. Im Zweifelsfall waren diejenigen nicht mehr lange da."

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