Interview: Wenn Flüsse und Bäche klagen könnten
In Nord- und Lateinamerika können einzelne Naturelemente wie Flüsse oder Seen bereits vor Gericht ziehen. In Europa macht Spanien den Anfang und erklärt die Salzwasserlagune Mar Menor zur juristischen Person. Und in Deutschland?
Im Interview erklärt Jula Zenetti, Juristin am Helmholtz-Institut, dass hierzulande nur Menschen oder juristische Personen klagen können und warum es schwieirg ist, daran etwas zu ändern.
Frau Zenetti, wie sieht das Konzept der Eigenrechte der Natur aus?
Die Idee ist, dass entweder die Natur insgesamt oder einzelne Teile davon, beispielsweise Ökosysteme, als Rechtssubjekte anerkannt werden. In unserer westlichen Rechtsordnung ist der Mensch ein Rechtssubjekt. Ursprünglich galt dies jedoch nur für männliche Bürger - außerdem waren Alter und Einkommen entscheidend. Später wurden alle Männer, dann auch Frauen und Kinder als Rechtssubjekte anerkannt.
Noch bevor alle Menschen Rechtssubjekte wurden, ermöglichte man dies auch für Vereine und später für Gesellschaften wie die GmbH oder die Aktiengesellschaft sowie für Staaten und Gemeinden als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Rechtssubjektivität ist also nicht auf Menschen beschränkt.
Warum wird dann kein Fluss oder Bach zum Rechtssubjekt? Reicht das Umweltrecht in Deutschland nicht aus?
Es stimmt, dass sich das Umweltrecht in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark weiterentwickelt hat. Dennoch zeigt der Zustand der Umwelt, sowohl in Deutschland als auch weltweit, dass sich die Situation vielerorts verschlechtert. Dies betrifft nicht nur das Klima, sondern auch chemische Schadstoffe, Süßwasser und andere Ressourcen. Daher stellt sich die berechtigte Frage, wie wir das Umweltrecht gegenüber wirtschaftlichen Interessen stärken können.
Wie sieht das dann aus? Haben Sie Beispiele?
Die Natur kann vertreten werden, so wie das auch etwa für Kinder oder GmbHs geregelt ist. In Ecuador beispielsweise können Bürgerinnen und Bürger oder Vereinigungen die Natur repräsentieren. Dort klagen verschiedene Akteure aus der Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik. In anderen Rechtsordnungen wie etwa Neuseeland werden Treuhänder für die Natur bestimmt, oft schon per Gesetz. Diese vertreten die Interessen der Natur in außergerichtlichen Entscheidungsprozessen und vor Gericht.
Woher stammt die Idee?
Die Idee der Rechtssubjektivität stammt klassisch aus dem römischen Recht. Auch Christopher Stone, der als Erfinder des Eigenrechtskonzepts gilt, ist ein US-amerikanischer Rechtswissenschaftler ohne indigenen Hintergrund. Der erste Fall, in dem Eigenrechte anerkannt wurden, fand in einer US-amerikanischen Kommune ohne indigenen Hintergrund statt.
In den überwiegenden Fällen, in denen Rechte der Natur anerkannt wurden, haben indigene Weltanschauungen jedoch einen entscheidenden Einfluss. Damit haben sie zur Weiterverbreitung und Weiterentwicklung des Eigenrechtskonzepts geführt. In Europa wurde das Konzept ohne den unmittelbaren Einfluss indigener Weltanschauungen in Spanien umgesetzt, wo die Salzwasserlagune Mar Menor als Rechtsperson anerkannt wurde.
Kann ein Fluss dann zum Kläger werden?
Genau das ist die Idee. Die öffentliche Hand, die Industrie und auch Bürgerinnen und Bürger haben Pflichten etwa zur Vermeidung der Verschmutzung von Flüssen. zu deren Pflege. Diese Pflichten könnten auch als subjektive Rechte geregelt werden, also beispielsweise als Recht des Flusses, nicht verschmutzt zu werden und dadurch in einem guten, gesunden Zustand zu sein.
Sie kamen etwa der wirtschaftlichen Unternehmen und damit der Industrialisierung sehr zugute. Solche Entwicklungen sind schwer vorherzusagen, aber vieles spricht dafür, dass die Rechtssubjektivität auch der Natur zugutekommen könnte. Angesichts der zunehmenden ökologischen Herausforderungen stellt sich die Frage, ob der Rechtsobjektstatus noch die richtige Rechtsform für die Natur ist oder ob es Zeit für deren Anerkennung als Rechtssubjekt ist.