Mi., 16.12.20 | 22:00 Uhr
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Medikamente für Corona-Patienten – Wie die Politik Pharmaforscher ausbremst
Immer mehr Menschen infizieren sich mit dem Coronavirus, die Zahl derer, die daran sterben, steigt seit Tagen dramatisch an. Ärzte und Pfleger kämpfen deutschlandweit auf Intensivstationen um das Überleben von COVID19-Patienten. Häufig kommt es bei den Erkrankten zu einem Überschießen der Immunreaktion: Organversagen und Blutvergiftung können die Folgen sein. Was fehlt, sind Medikamente, die den Krankheitsverlauf abmildern und somit die Sterblichkeit signifikant senken können. Doch Deutschland scheint derzeit seine ganze Hoffnung allein auf Impfstoffe zu setzen, wie diesen des Mainzer Unternehmens Biontech. Er soll in wenigen Tagen zugelassen werden. Um die Entwicklung und Produktion zu beschleunigen, wurde das Unternehmen mit öffentlichen Geldern gefördert.
Experten kritisieren einseitige Impfstoff-Förderung
Vom Bund flossen allein 740 Millionen Euro an drei deutsche Impfstoffhersteller. Dass die Politik derzeit vor allem Impfstoffe fördere, halten führende Corona-Forscher wie Prof. Rolf Hilgenfeld von der Uni Lübeck für zu einseitig und gefährlich: "Wir wissen nicht, wie lange uns die Impfstoffe schützen. Möglicherweise ist der Schutz nur für drei oder sechs Monate gegeben." Und ob die Pandemie dann vorbei ist, sei ungewiss.

Mediziner gehen davon aus, dass sich rund 70 Prozent der Deutschen impfen lassen müssten, um eine Immunisierung zu erreichen. Das dürfte auch schwer zu schaffen sein. "Impfstoffentwicklung und Medikamentenentwicklung müssten gleichermaßen gefördert werden", betont Hilgenfeld. "Auch wenn man weiß, dass die Medikamentenentwicklung vielleicht etwas länger dauert als die Impfstoffentwicklung, und dass man da vielleicht nicht so schnell politische Erfolge feiern kann." Hier sollte man langfristig denken, im Sinne der Gesundheit vieler.
Das Beispiel Biotest in Hessen
Während der Impfstoffhersteller Biontech fast 400 Millionen Euro bekam, gibt es Unternehmen, die an Medikamenten forschen und komplett leer ausgegangen sind. So auch die Firma Biotest im hessischen Dreieich. Dort wird "Trimodulin" entwickelt, das aufwendig aus Blutplasma hergestellt wird und viele Antikörper enthält. Vorangegangene Studien zeigten, dass das Medikament gegen schwere Lungenentzündungen hilft und die Sterblichkeit bis zu 70 Prozent senken kann. "Es kann die Entzündungsreaktion effektiv unterdrücken, ohne das Immunsystem zu unterdrücken. Das ist ein entscheidender Vorteil gegenüber allen anderen Medikamenten", erklärt Forschungsleiter Dr. Schüttrumpf.

Die Firma testet derzeit mit einer klinischen Studie, ob dies auch bei COVID19- Patienten so funktioniert. Damit die Produktion des Medikamentes parallel dazu anlaufen kann, wie es auch bei den Impfstoffherstellern erfolgt, beantragte das Unternehmen eine Förderung von zwölf Millionen Euro. Doch seit Mai hagelte es Absagen – mehrmals vom Bund, auch vom Bundesforschungsministerium. Man wolle sich gegenwärtig auf die Förderung von Impfstoffen konzentrieren. Auch das zuständige Land Hessen lehnte eine Förderung ab, obwohl die Firma anbot, im Falle eines kommerziellen Erfolges das Land und damit den Steuerzahler am Gewinn zu beteiligen. "Was aus unserer Sicht fair und angemessen wäre", betont der Biotest-Vorstandsvorsitzende Michael Ramroth. Das Land Hessen teilt "Plusminus" schriftlich mit, dass man das Medikament zwar für sehr vielversprechend halte, aber weder die Förderinstrumente noch entsprechende Budgets für Medikamente habe.
Auch Inflarx aus Jena geht leer aus
Auch in Jena bei Inflarx wird an einem sogenannten Antikörper geforscht, der ein Überschießen der Immunreaktion bei COVID19-Patienten blockieren soll. Momentan läuft eine für die Zulassung wichtige Studie mit 360 Corona Intensivpatienten. Um parallel mit der Produktion starten zu können, brauchte das mittelständische Unternehmen Geld. Doch auch hier bekam man eine Ablehnung. "Das ist natürlich schmerzhaft, wenn man ein Medikament hätte, was das Überleben verbessert, wenn man dann den Menschen sagen muss, ein Jahr bis eineinhalb Jahre brauchen wir jetzt noch, um die Produktion fertigzustellen", erklärt Prof. Riedemann, Geschäftsführer von Inflarx.

Die Jenaer Firma schloss sich mit anderen forschenden Unternehmen zusammen und forderte den Bund immer wieder auf, die Therapieentwicklung für COVID19-Patienten zu unterstützen. Doch dies blieb erfolglos. Nach Aussage des Bundesforschungsministeriums seien auch 45 Millionen in die Medikamentenentwicklung geflossen. Jedoch wurde das Geld in kleine Beträge zerstückelt und floss in viele verschiedene Forschungsprojekte, nicht aber an Unternehmen, die kurz vor der Zulassung eines Medikamentes stehen.
Experte: Politik hat 17 Jahre verschlafen
Auch Rolf Hilgenfeld, der an der Uni Lübeck seit Jahren an Corona Viren forscht und immer wieder um Gelder betteln musste, fordert ein Umdenken in der Politik. Seit der SARS-Corona-Krise 2003, die in Asien Hunderte Todesopfer gefordert hat, habe die Bundesregierung nicht die notwendigen Schlüsse gezogen.

Man habe 17 Jahre Zeit gehabt, Geld in die Hand zu nehmen und in die Forschung eines Medikamentes zu stecken. "Hätte man damals eine Milliarde Euro in ein staatliches Institut investiert, um ein antivirales Therapeutikum zu entwickeln, dann müsste man jetzt nicht viele Milliarden ausgeben, um die Wirtschaft nur so halbwegs am Laufen zu halten", kritisiert Hilgenfeld. Der Mediziner hat mittlerweile einen Hemmstoff entwickelt, der das Virus direkt angreift und seine Vermehrung stoppen kann.
Bundesforschungsministerium plant zusätzliches Förderprogramm
Das Bundesforschungsministerium teilte "Plusminus" heute schriftlich mit, dass es weitere Gelder bereitstellen wird, damit es bald auch Medikamente gegen COVID-19 geben kann. Darin heißt es: "Um diese Projekte nun schneller und umfassender voranzutreiben, bereitet das BMBF aktuell ein zusätzliches Förderprogramm zur Forschung und Entwicklung dringend benötigter Therapeutika gegen SARS-CoV-2 vor."
Die Impfstoffforschung sei schneller mit mehr Geldern gefördert worden als die Medikamentenforschung, weil sie schon weiter gewesen sei. "Im Gegensatz zur Lage bei der Impfstoffentwicklung waren in der Medikamentenentwicklung präklinisch validierte Ansätze, welche sich bereits in der klinischen Überprüfung befanden, im Frühjahr noch nicht weit genug fortgeschritten, um schnell bis zur Zulassung weiterentwickelt zu werden", heißt es dazu vom Bundesforschungsministerium.
Autorin: Christiane Cichy
Bearbeitung: Carmen Brehme
Stand: 16.12.2020 22:41 Uhr
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