Mi., 01.07.20 | 21:45 Uhr
Tod im Pflegeheim – Was die Branche dringend ändern muss
Annette Salzbrenner konnte wegen des in Pflegeheimen geltenden strikten Besuchsverbotes für Angehörige nicht am Sterbebett ihres Vaters sein. Weder sie noch ihre 81-jährige Mutter durften zu ihm, um den 84-jährigen an seinen letzten Tagen zu begleiten. "Das ist ein Verrat, sozusagen um das Ende des Lebens, wo man so lange miteinander gegangen ist", sagt Annette Salzbrenner verbittert. Ihre Eltern waren 60 Jahre lang verheiratet gewesen. Die letzten Momente war ihr Vater allein. "Das war für meine Mutter schwer zu begreifen", so Annette Salzbrenner.

Ihr schwer kranker Vater starb nicht an Corona sondern an seinen Vorerkrankungen. Immer wieder hat er mit seiner Tochter telefoniert und geschildert, dass es ihm schlecht ginge, dass er bald sterben würde. Doch das Heim verweigerte eine Sterbebegleitung. Darüber ist sie heute noch wütend. Denn die Pfleger konnten jederzeit zu ihm, obwohl niemand wusste, ob diese nun mit dem Coronavirus infiziert und somit ansteckend waren. Ein Drittel aller Corona-Toten in Deutschland stammt aus Pflegeeinrichtungen. Daran konnten auch die Besuchsverbote für Angehörige nichts ändern.
Experte warnte im März vor fehlender Schutzausrüstung

Eugen Brysch von der Stiftung Patientenschutz hatte schon im März angesichts der damals bereits zu befürchtenden Pandemie von einem "unglaublichen Zustand in der Altenpflege" gesprochen. Bund und Ländern hatte er vorgeworfen, die Altenheime bei der Ausstattung mit Schutzausrüstungen zu vergessen. "Obwohl hier die Hochrisikopatienten leben", kritisierte er. Brysch forderte, dass im Notfall auch Krankenhauspersonal in Pflegeheimen zum Einsatz kommen müsste.
Ermittlungen gegen Pflegeheim wegen fahrlässiger Tötung
Im Wolfsburger Altenheim "Hanns Lilje Heim" starben 48 Bewohner in Verbindung mit dem Coronavirus. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung. Ein Wolfsburger Rechtsanwalt, mit dem wir Kontakt aufnehmen, der aber anonym bleiben will, hat Strafanzeige gegen das Wolfsburger Altenheim erstattet. Pflegemitarbeiter hätten sich an ihn gewandt und über katastrophale hygienische Zustände berichtet: Urin, Kot, Erbrochenes sei allgegenwärtig und das Pflegepersonal verfüge über keine Mundschutzmasken.

Der Träger, die Diakonie, bestreitet die Vorwürfe. Das Gesundheitsamt hätte keine Mängel festgestellt. Von der zuständigen Staatsanwaltschaft in Braunschweig heißt es, die Beweisführung gestalte sich schwierig. "Es ist gut vorstellbar, dass wir zwar einzelne Verstöße nachweisen können, das wären dann Ordnungswidrigkeiten, die da in Betracht kommen. Dass wir aber den Nachweis führen können, dass einzelne Todesfälle auf Pflichtverstöße der Heimleitung und des Personals zurückzuführen sind, das ist im Moment aus meiner Sicht eher unwahrscheinlich", erklärt Christian Wolters, der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Braunschweig.
Experte fordert, Pflegeheime bei Hygienekonzepten zu unterstützen
Staatsanwaltliche Vorermittlungen gibt es auch in einem Pflegeheim in Langenzenn bei Nürnberg, in dem 26 infizierte Bewohner gestorben sind. Ein Arzt, der im Heim war, beschreibt, wie er auf ein völlig überfordertes Pflegepersonal gestoßen war. Es sei "inadäquat" mit Schutzausrüstung ausgestattet gewesen. "Zum Teil haben sie gar nicht gewusst, in der Hektik und im Stress, was sie machen sollten", schildert er.

Die Pfleger bemängelten, dass es kein Hygienekonzept und keine klare Einweisung gab, wie Schutzkleidung zu tragen sei. Die Erfahrung, dass einige Heime den neuen hygienischen Anforderungen nicht gewachsen waren, hat auch Pflegeforscher Prof. Isfort gemacht. "Das können große Träger, die haben teilweise ein Krisenstab wo vier fünf Leute freigestellt worden, die dann Konzepte entwickelt haben", gibt der Pflegeforscher zu bedenken. Hier sieht er die Ministerien in der Pflicht, Heimen einen Umsetzungsplan an die Hand zu geben. Dies könne auf Grundlage einer Allgemeinverfügung geschehen. "Dann muss man den Einrichtungen auch sagen, wie kann es dort vor Ort auch geschehen, und das ist nicht erfolgt", kritisiert Isfort. Ob solche Einrichtungen mit entsprechenden Konzepten für die zweite Welle gewappnet sind, sei nach wie vor fraglich.
Pflegepersonal verzichtete offenbar sogar auf Schutzausrüstung
Auch für Pflegeheime und ambulante Dienste war während der Pandemie Schutzkleidung schwer zu bekommen. Vor allem die sicheren FFP Masken waren nicht mehr oder nur noch zu Wucherpreisen zu haben. Zu ihrer 90-jährigen Großmutter sei der ambulante Pflegedienst ganz ohne Mundschutz gekommen, schildert Jana Kieslich. "Die spielen ja mit Menschenleben. Das ist ja nicht nur meine Oma, die betroffen ist, sondern das sind ja auch noch 15 andere Omas und Opas", ist sie entsetzt.

Sie hatte für die Pfleger sogar Atemmasken genäht und diese mit Desinfektionsmitteln, Handschuhe und Masken per Post an die Pfleger geschickt. Doch diese hätten sich geweigert, die Sachen zu tragen. Begründet worden sei dies damit, dass die Pflegeheimbewohner das Haus ja nicht verlassen würden. "Aber der Pflegedienstmitarbeiter geht ja einkaufen, der ist unterwegs, hat Kontakt zu den Kollegen", beschwert sich Jana Kieslich über die Argumente der Pfleger.
Vorwurf: Noch immer zu wenige Tests für Pfleger

Der Mangel an Schutzausrüstung ist heute nahezu behoben. Davon können wir uns im AWO Pflegeheim in Roßtal in der Nähe von Nürnberg überzeugen. Dort waren nach dem Besuchsverbot für Angehörige 32 Bewohner erkrankt, sieben starben. Fast die Hälfte der Mitarbeiter war in Quarantäne, erklärt Heimleiterin Martina Bär. Ihr ist bis heute unklar, warum ihre Pfleger nicht frühzeitig auf Corona getestet worden, selbst die nicht, die schon Symptome hatten. In einem Fall hätte es eine Woche gedauert, bis ein solcher Test durchgeführt worden sei.

Rainer Mosandl, der 14 AWO Heime betreut, hält die schleppende Durchtestung des Personals für eine der Ursachen der Corona-Ausbrüche in seinen Heimen. "Es war tatsächlich so, dass man um jedes Testkit kämpfen musste. Bis sie das Ergebnis bekommen haben, war der Kampf schon halb verloren. Da hatte sich das Virus schon in der Einrichtung festgesetzt. Man hätte Leid abwenden können, sicherlich auch Todesfälle, wenn man früher durchgetestet hätte, in den Einrichtungen, ganz eindeutig", so sein Fazit.
Bis heute sei ein konsequentes Durchtesten des Pflegepersonals nicht sichergestellt. Nach wie vor sei die Finanzierung unklar. Für den Pflegeforscher Prof. Michael Isfort muss sich das dringend ändern. "Dass die Versprechungen, auf der einen Seite zu sagen, der Zugang soll jetzt gegeben sein, der Zugang ist da, das sich das umsetzt in Handlungen, das sehen wir weiterhin nicht", stellt er fest. "Das darf jetzt nun wirklich nicht an 39 Euro für einen Test scheitern", betont der Pflegeforscher. Das zuständige Bundesgesundheitsministerium teilte auf Plusminus-Anfrage mit, präventive Reihentests seien durch das zuständige Gesundheitsamt anzuordnen und von den Kassen zu tragen.
Das Ministerium will auch die Rechte von Angehörigen stärken: Besuche sollen ermöglicht werden - und auch die Sterbebegleitung, wie sie sich Annette Salzbrenner für ihren Vater gewünscht hat, muss unter Corona garantiert sein.

Autorin: Christiane Cichy
Bearbeitung: Carmen Brehme
Stand: 01.07.2020 23:00 Uhr
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