Mi., 24.06.20 | 21:45 Uhr
Das Erste
Milliarden D-Mark auf der Straße: Wie gefährlich war der größte Geldtransport der Geschichte?
- Vor genau 30 Jahren rollten rund 100 Geldtransporter voll beladen mit D-Mark-Scheinen vom Westen in die Noch-DDR. Schließlich sollte am 1. Juli 1990, also bereits drei Monate vor der Wiedervereinigung, die Wirtschafts- und Währungsunion kommen.
- Dazu mussten in den Tagen zuvor über 25 Milliarden D-Mark in den Osten transportiert werden. Es war der größte Geldtransport der deutschen Geschichte.
- Ein gigantischer Aufwand unter enormem Zeitdruck. Hinzu kam: die permanente Angst vor Überfällen. Was damals geschah gleicht einem Krimi.
Frühsommer 1990: Westdeutsche Geldtransporter mit Milliarden von D-Mark rollten in Richtung der damaligen DDR. Ab der innerdeutschen Grenze übernahmen die Volkspolizei und die schwerbewaffnete Nationale Volksarmee die Bewachung der Transporte. Jede Fahrt glich einem Abenteuer. Viele Straßen in der DDR waren marode und immer wieder mussten Umwege gefahren werden, weil die Brücken für die 40 Tonnen schwere Transporter nicht geeignet waren.
Doch bis es zu den Geldtransporten kommen konnte, war Gewaltiges zu leisten. Franz Josef Benedikt, heute Präsident der Hauptverwaltung Bayern der Deutschen Bundesbank, war damals live dabei. Als junger Banker bekam er vor 30 Jahren den Auftrag, elf Geldtransporte aus München nach Dresden und Chemnitz zu organisieren. Milliarden D-Mark mussten in die DDR gebracht werden – innerhalb weniger Wochen. Der wichtigste Punkt war die Sicherheit, wie Franz Josef Benedikt erklärt: "Es gab da einige Probleme, die wir vorher gar nicht vermutet hatten. Wir hatten hier in München mit der Polizei gesprochen und die sagten, das sei alles hoch interessant, aber die Polizei könne uns leider nur bis zum Grenzübergang nach Hof beziehungsweise nach Rudolphstein begleiten. Denn die DDR war bis zum 3. Oktober noch ein souveräner Staat. Danach, so die Polizei, müssten wir uns in die Obhut der DDR Volkspolizei begeben."
Telefonisch konnte der junge Bundesbanker die zuständigen DDR-Behörden nicht erreichen. Deshalb fuhr er persönlich nach Dresden. Ohne den massiven Schutz durch die DDR-Polizei wären die Transporte nicht möglich gewesen. "Wir sind dort sehr martialisch empfangen worden", schildert er. "Es waren Wachposten vor der Tür mit Maschinenpistolen bewaffnet. Und dann standen uns die Führungsoffiziere gegenüber. Und es hat schon einige Minuten gedauert bis die Gesprächsatmosphäre etwas lockerer war. Für die Volkspolizei waren wir bestimmt der Inbegriff des Kapitalismus, der Klassenfeind. Wir von der Bundesbank."
Angst vor Überfällen

Besonders schockierend für ihn: die Sicherheitsstandards in den Niederlassungen der DDR-Staatsbank, die nun zu den neuen Filialen der Bundesbank werden sollten. Die Gebäude waren völlig marode. Und die Tresoranlagen, in denen die D-Mark gelagert werden sollte, befanden sich in einem katastrophalen Zustand. Noch heute ist Franz Josef Benedikt geschockt, wenn er an die erste Besichtigung der Bank-Filialen denkt: "Die Sicherungen funktionierten nicht. Es gab nach unseren Maßstäben keine elektronischen Sicherungen für die Tresoranlagen. Der dortige Leiter der Filiale hat uns dann gesagt, wer hätte das Geld klauen sollen? Und deshalb war es auch gar nicht notwendig, besondere Sicherheitsvorkehrungen zu treffen."
Und tatsächlich: Banküberfälle gab es in der DDR kaum. Peter Kolzarek, damals Mitarbeiter der Staatsbank der DDR, erinnert sich noch gut daran, als die Bundesbank-Mitarbeiter zum ersten Mal durch die Räumlichkeiten der DDR-Staatsbank gingen und sichtlich schockiert über die Sicherheitsstandards waren. "Im Tresor hatten wir ein Fenster", erzählt er, "da waren die Kollegen aus dem Westen fassungslos. So etwas gab es bei der Bundesbank sonst überhaupt nicht." Die Sorge bei den Bundesbankern war groß. Das Problem: Auf die Schnelle neue Tresore einzubauen, war nicht machbar. Und so versuchte man überall in der DDR, die alten Tresore aufzurüsten und hoffte, dass alles gut geht. Doch die Angst vor Überfällen war allgegenwärtig.
Die D-Mark rollt an

Dann war es soweit. Die Transporter, beladen mit D-Mark-Scheinen, fahren Richtung Osten. Von allen Landeszentralbanken in der Bundesrepublik starteten im Juni 1990 Geldtransporter in die DDR. Durch Zufall entdeckte damals ein ARD-Kamerateam eines dieser Fahrzeuge und berichtete von ihren Beobachtungen in einem Fernsehbericht: "Vor uns rollt ein geheimnisvoller grüner Schwerlaster mit bundesdeutschem Kennzeichen. Bewacht durch einen Armeehubschrauber von oben. Unten schirmt die bewaffnete Volkspolizei ab. Wir verfolgen einen gepanzerten Geldtransporter, der uns zufällig vor die Kamera geraten ist. Über eine Milliarde D-Mark hat der Schwerlaster geladen."
Die Aktionen waren streng geheim. Nur wenige waren eingeweiht, wie uns Werner Wilfert, damals bei der Bayerischen Grenzpolizei, erzählt. Er hatte am Grenzübergang Hirschberg-Rudolphstein Dienst, als plötzlich ein Kollege aus dem Osten vor ihm stand. "Der Kollege kam dann auf mich zu", erinnert sich Werner Wilfert, "und hielt mir einen Dienstausweis unter die Nase: Volkspolizei. Er hat mich dann gefragt: Sind heute schon Geldtransporte durch? Ich: Wieso? Er: Wir sollen die begleiten. Und der Geldtransporter ist momentan überfällig."
Der Grund war ein Stau. Werner Wilfert lud seinen DDR-Kollegen auf einen Kaffee ein und erfuhr so zum ersten Mal Details über die Geldtransporte. "Da habe ich ihn ein bisschen gefragt: wieso, weshalb, warum", erzählt er. "Dann hat der Kollege aus dem Osten gesagt: Wir übernehmen unten auf der Brücke den Transport, wenn er vom Westen kommt und begleiten in Richtung Dresden. Ich: Na, toll. Und wir wissen nichts davon."
Beifall für die D-Mark

Franz Josef Benedikt und seine Kollegen von der Bundesbank versuchten, die Transporte möglichst lange geheim zu halten. Das allerdings gelang ihnen nur zum Teil, berichtet Franz Josef Benedikt: "Eigentlich war alles geheim, aber in Dresden und Chemnitz haben die Leute gewartet und als sie den Transporter gesehen haben, haben sie laut geklatscht und das Ankommen der D-Mark gefeiert."
Die größte Angst der Bundesbanker: Auch Kriminelle könnten Wind davon bekommen. Besonders heikel: das Entladen. Weil die Transporter so schwer waren, konnten sie oft nicht auf den Hof vor der Bank fahren.
"Wir haben den Geldtransporter dann auf der Straße entleert und die Packbeutel mit Geld in die Filiale getragen, erinnert sich Franz Josef Benedikt. Und Peter Kolzarek ergänzt: "Wir haben die ersten sechs Tonnen auf der Straße oben per Hand begrüßt. Dort wurden die Container geöffnet, eine Menschenkette gebildet und jeder Beutel wurde einzeln nach unten zu den Tresoren transportiert."
Hotspot der Bankräuber-Szene

Was heute noch viele Menschen erstaunt: Passiert ist nichts. Keine Überfälle, kein gestohlenes Geld. Christian Pfeiffer, Deutschlands bekanntester Kriminologe, hat dafür eine Erklärung: "Es war eine geniale Leistung der Fachleute, die für diesen Transport zuständig waren. Normalerweise wäre doch irgendwas rausgekommen und dann hätte man die Mafia vor Ort gehabt, aber das wussten die aber natürlich. Und dann war keiner darauf vorbereitet, in der Windeseile einen irrsinnigen Überfall zu organisieren, der größer gewesen wäre als alles, was damals bekannt war. Der Postraub in England wäre eine Kleinigkeit gewesen gegen das, was hier in Deutschland möglich war. Aber die Kriminellen haben es verpasst."
Doch es dauert nicht lange, bis die Kriminellen zuschlagen. Bereits kurze Zeit später wird die DDR zum Hotspot der Bankräuber-Szene.
Eine Statistik des Bundeskriminalamtes zeigt das deutlich. Gab es 1989 in beiden Teilen Deutschlands insgesamt 668 Banküberfälle, steigt die Zahl danach deutlich an. Der Höhepunkt: 1.624 Überfälle im Jahr 1993. Danach ging die Zahl – aufgrund moderner Sicherheitstechnik in den Bankfilialen – deutlich zurück. im Jahr 2019 gab es nur noch 114 Banküberfälle. Mit der Währungsunion kamen also nicht nur die D-Mark, sondern auch die Bankräuber in die DDR. Doch davor, beim größten Geldtransport der Geschichte, ist nichts passiert. Keine einzige D-Mark geht auf dem Weg zwischen West und Ost verloren.
Bericht: Martina Schuster und Johannes Thürmer
Doku am Montag, 29.06.2020, um 23:30 Uhr im Ersten und ab Freitag, 26.06.2020, um 15 Uhr Online first
Stand: 26.06.2020 09:00 Uhr
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