Regisseur Christian Schwochow über "Die Täter – Heute ist nicht alle Tage"

»Wie entsteht Rassismus? Wie entsteht Hass, der nicht vor Mord zurückschreckt?«

Christian Schwochow
Christian Schwochow | Bild: dpa

»Prügelnde Skinheads, brennende Asylbewerberheime, Pegida: ostdeutsche Phänomene. So zumindest die allgemeine Betrachtungsweise seit vielen Jahren in Presse und Öffentlichkeit. Man macht es sich einfach, indem man rassistische Gewalt zum Problem schlecht integrierter Ossis macht. Wie entsteht Rassismus? Wie entsteht Hass, der nicht vor Mord zurückschreckt? Diesen Fragen stellt man sich meist nur oberflächlich und thesenhaft. Warum? Alles andere tut zu sehr weh: Denn wir, Medienmacher, Intellektuelle, Künstler, müssten uns mit uns selbst beschäftigen.

Beate Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt – und ich – sind Kinder einer Generation, der nach dem Fall der Mauer die Welt offenstand. Oder doch nicht? Sie alle drei sind – wie ich – Kinder von Akademikern.

Hatten wir nicht ähnliche Chancen? Diese Frage hat mich umgetrieben: Sind sie wirklich zu Mördern geworden? Und: Wie viel Rassismus steckt in mir selber? Welche Rolle spielen die Parolen und Ziele der radikal Rechten von damals im Jahre 2016?

Ich bin in Ostberlin groß geworden. Meine Eltern hatten Ende der 80er Jahre einen Ausreiseantrag gestellt. Er wurde am Vormittag des 9. November 1989 genehmigt. Wir zogen nach Hannover.

Nach dem Fall der Mauer herrschte Chaos im Osten: Jede Biographie erhielt einen Riss. Mit der Suche nach Orientierung waren viele überfordert. Andere fanden schnell das große Glück. Das Jahr 1990 wird von einigen 'Das wunderbare Jahr der Anarchie' genannt. Ich habe das Leben meiner im Osten gebliebenen Freunde immer mit Faszination betrachtet. Viele haben sich nach der Wende radikalisiert. Die meisten zog es in besetzte Häuser, andere in strenge Religionsgemeinschaften. Schon wenige Tage nach dem Ende des NSU gab es schnelle Analysen über die drei: Die kommunistische Ideologie sei schuld und hätte die Jugendlichen in der DDR hart und roh werden lassen. Aha. Kindergärten und Schulen seien im Osten besonders streng gewesen, die Kinder deshalb zu weniger Empathie fähig. Erklärungen wie diese machen mich wütend. Und – es mag seltsam klingen – sie haben Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe mir nähergebracht. Näher in dem Sinne, dass sie mich als Menschen interessierten. Auch wenn ihre mutmaßlichen Taten so unendlich grausam waren, sind mir die drei von Beginn an auf unheimliche Art und Weise vertraut gewesen. Es wurde ein großes Bedürfnis, nach einer filmischen Erzählform für das Phänomen NSU zu suchen. Ich wollte mich ihnen mit diesem Film wie Klassenkameraden nähern, mit denen man jahrelang zusammen gespielt, gefeiert, gelebt hat – und das ganz unideologisch. Ich wollte ihr Handeln verstehen.

Thomas Wendrich, mein wunderbarer Drehbuchautor, und ich haben uns auf verschiedene Art und Weise auf Spurensuche begeben. Die Recherche bekam etwas Obsessives. Wir haben uns durch tausende Seiten Akten gearbeitet. Protokolle der Untersuchungsausschüsse gelesen und ausgewertet. Gespräche mit Journalisten, Anwälten, Prozessbeobachtern geführt. Wir waren mehrere Tage Besucher des Prozesses in München, um Beate Zschäpe aus der Nähe zu beobachten. Als TV-Reporter hatte ich im Jahr 2002 in der Jenaer Neonaziszene recherchiert und gedreht, unter anderem im Wohnzimmer des Hauptangeklagten Ralf Wohlleben. Aus dieser Zeit gibt es Informanten in Jena, andere haben wir neu ausfindig gemacht. Wir führten Hintergrundgespräche mit Freunden, Feinden, Kameraden der drei, sprachen mit Sozialarbeitern aus Jena, Szeneaussteigern und Psychologen. Gleichzeitig führten wir immer wieder Gespräche zu zweit oder zu dritt mit unserer starken Produzentin Gabriela Sperl, in denen es immer wieder darum ging: Was hat das alles mit uns zu tun – mit unseren eigenen Abgründen, Sehnsüchten, Ängsten?

Entstanden ist ein Film, der auf Fakten, aber auch auf Annahmen und unseren Interpretationen basiert. Teile der Handlung und einige Figuren sind fiktiv. Die Fiktionalisierung ist für uns unerlässlich, denn wir wollten keine Geschichte über die Schicksale dreier mutmaßlicher Einzeltäter erzählen – sondern den Anfang mit einer Selbstreflexion über eine Gesellschaft leisten, in der Rassismus längst politischer Mainstream ist und zum Alltag gehört.«

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