"Das wahrscheinlich Unwahrscheinliche"

Von Herbert Wessels, Journalist und Autor

Beau-Rivage
Das nach dem Tod Uwe Barschels von der Polizei versiegelte Hotelzimmer 317 im Hotel "Beau Rivage" in Genf. | Bild: dpa

Wer sich in die Nähe von Geheimdiensten begibt, hat ein Problem, das Frederick Forsyth in seinem Roman "Die Faust Gottes" so beschreibt: "Zwei und zwei ist vier. Das Dumme ist nur, dass in dieser Welt aus Schatten und Zerrspiegeln etwas, das wie zwei aussieht oder auch nicht, durch Multiplikation mit einem Faktor, der zwei sein kann oder auch nicht, möglicherweise vier ergeben könnte, was aber eher unwahrscheinlich ist." Seit nunmehr 28 Jahren sind etliche Geheimdienste in den Verdacht geschrieben worden, den Tod von Uwe Barschel, Ex- Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, am 10./11. Oktober 1987 in Genf gewaltsam herbeigeführt zu haben.

Doch bei keiner einzigen dieser Behauptungen geht die Wahrscheinlichkeitsrechnung auf. Was schon an den Voraussetzungen liegt: Barschel war nun einmal nicht der große Waffenschieber (er war vielmehr stinksauer, dass sein Amts-Vorgänger Gerhard Stoltenberg, nun Bundesfinanzminister, komplett an ihm vorbei den 1986 aufgeflogenen U-Boot-Blaupausen-Deal der Werft HDW mit Südafrika eingefädelt hatte); und er hatte auch nichts in der Hand, mit dem er irgendjemandem in Bonn oder sonst wo hätte drohen oder erpressen können.

All die Mord-Spekulationen

Der Mann in Zimmer 317 des Beau Rivage war für niemanden eine Gefahr, die hätte per Mord beseitigt werden müssen. Zudem: Was wären das für Profi-Killer, die ihr bewusstloses Opfer in die Badewanne packen und dann nicht einmal den Kopf unter Wasser drücken, um ganz sicher zu gehen? Die – wenn es sich bei abgerissenem Hemdknopf, leerer Flasche, Handtuch und Fußabdruck denn um Indizien handeln sollte – nicht in der Lage sind, einen Tatort ohne Spuren zu verlassen und vor allem auch die Notizen über den ominösen Herrn Rohloff zu vernichten?

Was bei allen Mord-Spekulationen gerne übersehen wird, ist die ungeheure Wucht, mit der in jenen Tagen sein – mit dem spektakulären Ehrenwort gestütztes – Lügengebäude über Barschel zusammen krachte. Täglich gab es neue Enthüllungen von Zeugen vor dem gerade eingesetzten Untersuchungsausschuss im Landtag. Die Staatsanwaltschaft Lübeck ermittelte bereits gegen ihn. In seiner Partei war er binnen Wochen vom Helden zum Paria herab gesunken. Nicht nur politisch am Ende, flog Barschel nach Genf (nachdem er keinen Platz in einer Maschine nach Zürich hatte buchen können). Im Gepäck eine Tüte mit Medikamenten, die Beruhigungspillen noch vom Hausarzt verschrieben.

Später werden von der Familie beauftragte Toxikologen behaupten, Barschel habe die letztlich tödliche Dosis nicht mehr selbstständig einnehmen können. Neutrale Gerichtsmediziner sind anderer Auffassung. Selbstmord mit Barbituraten in der Badewanne ist tatsächlich ein von der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben empfohlenes Verfahren und weitaus häufiger anzutreffen als allgemein bekannt. Dass die Familie an der Mordtheorie festhält, ist mehr als nur verständlich. Doch alle Verrenkungen haben nicht bis an das Ende einer realen Beweiskette geführt. Wenn zwei und zwei in diesem Fall tatsächlich vier ergeben sollen, dann bleibt ein Selbstmord am wahrscheinlichsten. Unserer misstrauischen Fantasie zum Trotz.

Mehr zum Autor

Herbert Wessels hat als Norddeutschland-Korrespondent beim "Hamburger Abendblatt" den Ministerpräsidenten Uwe Barschel nach dessen Flugzeugabsturz am 31. Mai 1987, im folgenden Landtagswahlkampf und nach Aufdeckung der Affäre besonders genau beobachtet. Sein Buch "Ein politischer Fall. Uwe Barschel – Die Hintergründe der Affäre" ist 1988 erschienen.

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