Gespräch mit Regisseur Dustin Loose und Autor Benjamin Hessler

Anton Pöschel (Andreas Guenther) macht sich ein Bild von Nathalies familiärem Umfeld; Marc Wiegand (Max Krause) und Sonja Gerber (Katharina Spiering).
Anton Pöschel macht sich ein Bild von Nathalies familiärem Umfeld: Marc Wiegand und Sonja Gerber. | Bild: NDR / Christine Schröder

„Letztlich erzählen wir von einem Menschen im Kampf mit und um sich selbst“ – Ein Gespräch mit Regisseur Dustin Loose und Autor Benjamin Hessler

Was erzählt Ihr Film?

Benjamin Hessler: Der "Polizeiruf 110: Daniel A." ist die Geschichte eines Menschen, der ein großes Geheimnis bewahren will – und in seiner speziellen Situation auch bewahren muss – und der dafür Dinge tut, die ihn immer weiter in ein Dilemma hineintreiben.

Dustin Loose: Im Grunde geht es um die zerstörerische Kraft von solchen Geheimnissen und darum, dass jemand so viel Angst vor dem Offenbaren der eigenen Identität hat, dass es ihn fast zerreißt. Das ist der Motor dieser Geschichte, die um einen trans Mann kreist.

Was war Ihnen wichtig im Umgang mit dem Thema Transgender?

DL: Trotz eines starken Ermittlerkrimis ist Daniel unsere Hauptfigur. Wir erzählen um ihn herum und begleiten ihn in viele Situationen hinein. Die Geschichte, die wir erzählen, ist aber so universell und nahegehend, dass es am Ende gar keine Wichtigkeit mehr hat, wer sich als was identifiziert und wie man was nennt. Denn letztlich erzählen wir von einem Menschen im Kampf mit und um sich selbst. Und ich glaube, das ist das Potenzial, dass dieser Film jenseits hitziger gesellschaftspolitischer Debatten ein großes Publikum finden kann und sehr direkt auf die Menschen zugeht: Er eröffnet den Zuschauenden einen klaren und direkten Zugang zu der Welt unseres Protagonisten und seiner Not – ohne einen belehrenden Zeigefinger zu schwingen.

BH: Ich verfolge den öffentlichen Diskurs über das Thema sehr genau und sehe da wahnsinnige Widersprüche. Einerseits geht es vielen Menschen aus der Transcommunity, die vor nicht allzu langer Zeit noch ganz im Geheimen leben mussten, heute so gut wie nie. Schon, dass es den Begriff „Transcommunity“ überhaupt gibt, dass sich eine solche bilden konnte, ist objektiv ein riesiger, nicht genug zu feiernder Fortschritt. Andererseits ist für mich fraglich, wie viel von diesem Fortschritt wirklich in der Lebensrealität vieler trans Menschen ankommt. Wie viel davon findet im Wesentlichen nur auf Social Media statt? Das Gefühl, dass wir so progressiv sind wie noch nie, könnte trügerisch sein, denn auf der Mikroebene, innerhalb konkreter Familien wie der von Daniel, die ja keine absurd unrealistische Familie ist, bestehen die Tabus und Zwänge weiter. Das hat mich angetrieben.

Jonathan Perleth ist Daniel A.
Jonathan Perleth ist Daniel A. | Bild: NDR / Christine Schröder

Bleiben wir zunächst bei Daniels Umfeld. Auf den ersten Blick sehen wir das Klischee einer dysfunktionalen Familie. Sie gehen jedoch den mutigen Schritt, alle Figuren darin ernst zu nehmen. Wie gelingt Ihnen das?

BH: Es gibt diese Szene im Film, in der der Vater seiner Verzweiflung Ausdruck verleiht und betont, wie wichtig es ihm ist, dass sie eine "normale Familie" sind. Da wandeln wir auf einem ganz schmalen Grat, aber Dustin hat das dankenswerterweise sehr toll inszeniert. Wir dürfen als Zuschauende auch für den Vater emotionales Verständnis haben. Es wäre zu einfach, klare Rollen zu verteilen und zu sagen, wir repräsentieren die böse Gesellschaft durch eine böse Vaterfigur. Nein, genauso, wie Daniel Probleme mit seinem Umfeld hat, gilt das auch für den Vater.

DL: In unserem Film soll es kein Richtig und Falsch, Gut und Böse geben. Diese Erzählweise finde ich bei dem Thema dringend notwendig, um einen mitunter erhitzten gesellschaftspolitischen Dialog wieder zu dem zurückzuführen, was eigentlich wichtig ist. Es geht nicht darum, wie einer sich nennt und was andere meinen, noch sagen zu dürfen oder nicht, sondern darum, dass wir gemeinsam in diesem Land leben und alle miteinander Menschen sind. Und darum, dass wir nicht immer die schmerzhaften Schuhe erahnen, in denen unser Gegenüber zu laufen versucht, oder den schweren Rucksack, den fast jeder Mensch mit sich trägt. Wir steigen ein mit diesem verbreiteten Bild einer dysfunktionalen Familie, aber dann brechen wir dieses Bild mehr und mehr. Denn am Ende ist die Familie ja unsere Utopie. Am Ende erzählen wir: Familie kann der Ort sein, wo du wirklich zuhause bist, aber manchmal muss sich die Familie eben neu aufstellen. Mir war es sehr wichtig, dass wir es schaffen, darüber den Bogen innerhalb unseres Films zu erzählen. Es geht an ganz vielen Stellen des Films um Familie. Das Finden seines Platzes innerhalb einer Familie ist das Thema, das groß und mächtig über diesem Film steht.

Melly Böwe (Lina Beckmann) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau) suchen unter den Chören Rostocks nach dem Täter.
Melly Böwe und Katrin König suchen unter den Chören Rostocks nach dem Täter. | Bild: NDR / Christine Schröder

Auch die Figuren im Kommissariat müssen sich als Team erst noch neu finden und mit Melly Böwe einen Neuzugang integrieren. Wie erzählen Sie das?

BH: Ich würde das fast als einen naturalistischen Blick auf diese Umbruchssituation bezeichnen. Wir etablieren keine neue Teamdynamik mit dem Holzhammer. Wir ersetzen die Chemie von Bukow und König auch nicht einfach durch eine von uns gestaltete andere Chemie mit dieser neuen Figur, denn so ist das Leben nicht. Wir finden es spannender, wirklich zu zeigen, wie sich so eine Beziehung entwickelt. Hier geht es um die zarte, ergebnisoffene Entstehung einer Arbeitsbeziehung zwischen zwei komplexen Persönlichkeiten mit komplexen Geschichten. Das funktioniert nicht so, dass du einen Fall löst und der schweißt dich zusammen und fertig.

DL: Über dem Revier liegt noch so etwas zwischen Vakuum und Trauer, und jeder im Team geht anders mit dem Verlust von Bukow um. Da ist Katrin König, die in dem Film davor noch im Sauerteig lag, jetzt aber schon wieder angreift und sagt: Ich krieg das auch allein hin. Da ist der Chef, Röder, der noch auf seine Weise zärtlich bis harsch trauert, und da ist Thiesler, der sich Hoffnung auf eine Beförderung gemacht hat. Und dann hat man so eine fröhliche Figur wie Melly Böwe, die einfach ankommt und versucht, Freunde zu finden und die Menschen zu umarmen und ein wertvoller Teil dessen zu werden. Diesen unterschiedlichen Dynamiken gemeinsam mit diesem herausragenden Schauspielensemble zu begegnen, fand ich toll.

Ihr Krimi ist kein Whodunit, die Zuschauenden wissen von Anfang an, wer der Täter ist. Woraus bezieht Ihr Film seine Spannung?

DL: Daraus, dass die Hauptfigur Daniel fälschlicherweise für den Täter gehalten wird und wir ihm natürlich wünschen, dass er aus diesem Schlamassel irgendwie herauskommt. Die Schlinge zieht sich für Daniel ganz langsam zu und wir verfolgen sein Dilemma, fiebern mit ihm mit und wünschen uns, dass es für ihn ein gutes Ende nimmt. Die klassische Krimihandlung, die Geschichte des eigentlichen Täters, ist bei uns eine sehr leise, aber nicht weniger toxische. Marc Wigand versucht nach der Tat, sich in die Familie seines Opfers zu integrieren, um dort Stütze zu sein für etwas, was er selbst angerichtet hat. Das ist eher die Erzählweise eines Dramas. Die Kunst von Benjamins Drehbuch besteht aber darin, dass sich das Ganze am Ende perfide zusammenzieht, sich die beiden Erzählstränge treffen und es zu einem großen Finale kommt. Obwohl wir die klassische Form des Krimis ein bisschen dehnen, bleibt man so bis zum Schluss sehr gespannt auf den Ausgang.

Worauf kam es Ihnen bei der Gestaltung Ihrer Hauptfigur Daniel an?

BH: Uns war wichtig, die Figur nicht dazu benutzen, eine politische Aussage zu treffen und zu sagen: Schaut mal, unsere Episodenhauptfigur ist ein trans Mann und viel mehr als diese Dimension hat der gar nicht, der ist eigentlich mehr ein Symbol als ein wirklicher Mensch. Wir geben dieser Figur gerade insofern eine komplette Identität, als sie auch Fehler machen und haben darf.

DL: Natürlich hatten wir auch den Wunsch, für diese Rolle jemanden zu finden, der selbst eine trans Person ist. Wir haben ein sehr aufwändiges, erst mal ergebnisoffenes Casting betrieben mit trans Personen, non-binären Schauspielenden, Cis-Hetero-Schauspielern etc. Das war eine sehr intensive Arbeit. Jonathan war zu dem Zeitpunkt noch Schauspielstudent in Bern und hatte noch nie ein Casting gemacht, geschweige denn vor einer Kamera gestanden, und das war wirklich eine sehr besondere Begegnung. Die Zusammenarbeit mit unserer Casterin Mai Seck war großartig. Ich möchte an dieser Stelle aber auch die Produzentin hervorheben, die mich sehr unterstützt hat. Dass Jonathan am Ende besetzt werden konnte, ist zu einem großen Teil das Verdienst von Iris Kiefer, die sich furchtlos in diesen ganzen Prozess mit eingebracht und uns allen den Mut gegeben hat, so einen besonderen Film zu machen.

Katrin (Anneke Kim Sarnau) hatte den richtigen Riecher; Daniel (Jonathan Perleth) ist zu Armin (Bernd Hölscher) geflüchtet.
Katrin hatte den richtigen Riecher; Daniel ist zu Armin geflüchtet. | Bild: NDR / Christine Schröder

Daniels Camper spielt im Film als Rückzugsort und Ort der Verwandlung eine wichtige Rolle. Wer kam auf diese Idee?

BH: Die Idee stammt ursprünglich von mir, die liebevolle Ausgestaltung und die Tatsache, dass der Camper emotional aufgeladen und fast zu einer eigenen Figur im Film wird, beruht aber auf Entwicklungsideen von Dustin. Ich hab mich beim Schreiben gefragt, was der eine zentrale Ort der Figur sein könnte, und fand, das konnte nicht sein Zimmer zu Hause sein. Das musste so ein Wagen sein.

DL: Der Camper, den unser hingebungsvoller Szenenbildner Florian Langmaack mit seinem Team gestaltet hat, erzählt ja auch von einem Aufbruch und einem Traum, nämlich einfach loszufahren und an einen Ort zu kommen, wo man zu sich selbst findet. Mir gefiel es, dass unsere Figur damit unglaublich flexibel ist. Sie könnte jederzeit losfahren und sich von ihren Zwängen befreien, aber sie schafft es nicht, etwas hält sie fest. Was das genau ist, finden wir am Ende des Films heraus.

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