Ein Gespräch mit Anneke Kim Sarnau und Lina Beckmann

„Hier wird deutlich, wie fatal es ist, wenn niemand Verantwortung übernimmt, und wie sich das auf Generationen auswirkt“

Im alten Zimmer ihrer Tochter führt Evelyn Sonntag (Judith Engel) Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Melly Böwe (Lina Beckmann) zu wertvollen neuen Hinweisen.
Im alten Zimmer ihrer Tochter führt Evelyn Sonntag Katrin König und Melly Böwe zu wertvollen neuen Hinweisen. | Bild: NDR / Christine Schroeder

„Hier wird deutlich, wie fatal es ist, wenn niemand Verantwortung übernimmt, und wie sich das auf Generationen auswirkt“ – Ein Gespräch mit Anneke Kim Sarnau (Katrin König) und Lina Beckmann (Melly Böwe)

Spuren von einer vermissten und totgeglaubten jungen Frau an einem Tatort werfen zahlreiche Fragen auf. Ein kniffliger Fall. Haben die beiden Hauptermittlerinnen sich inzwischen eingespielt?

LINA BECKMANN: Bei DANIEL A. dachte man noch, oh, die zwei finden sich. Aber jetzt hatte ich eher das Gefühl, sie verlieren sich gleich wieder.

Evelyn Sonntag, die Mutter der Vermissten, wird als Erste befragt. Katrin König und Melly Böwe reagieren recht unterschiedlich auf sie. Merkt die psychologisch geschulte Profilerin gleich, dass sie eine Fassade um sich errichtet hat?

ANNEKE KIM SARNAU: Ich glaube, dass Melly Böwe das auch bemerkt, nur möchte sie es anders aufbrechen. Die beiden haben hier sehr verschiedene Vorgehensweisen. Und statt einfach nur zu beobachten, wie die Kollegin weiter vordringt, beschließt Katrin König, die Sache erst mal auf sich beruhen zu lassen und weiterzugehen.

Während Jessica Sonntag als Wiedergängerin durch den Fall spukt, wird auch Katrin König von der Vergangenheit eingeholt. Eine Spielzeugfigur triggert Erinnerungen an ihre Kindheit. Der Film erzählt das über Träume. Was sehen wir?

AKS: Sie träumt von ihrer Kindheit mit den Eltern in der DDR. Das Ganze spielt am Meer, und plötzlich bleibt sie allein zurück … wie nach der Flucht. Eine traumatische Erfahrung, an die sie durch dieses Spielzeug erinnert wird. Sie ist ja mit ihrer Mutter übers Meer geflohen, als sie ungefähr vier Jahre alt war, und die Mutter ist auf der Flucht ertrunken. Den Vater hat sie seitdem nie mehr gesehen. Vor Jahren hat Katrin König Nachforschungen über ihn angestellt, wobei Veit und Sascha Bukow ihr geholfen haben. Dabei erfuhr sie, dass er als Systemkritiker in Bautzen im Knast gesessen hat, und weil sie ihn nicht ausfindig machen konnte, dachte sie, er sei tot.

Weiß sie denn gleich, dass er derjenige ist, der ihr die Figur zugespielt hat?

AKS: Ja, sie checkt sofort, dass sie von ihrem Vater kommt. Und das ist natürlich der totale Schocker. Sie findet es unmöglich, dass er auf diese Weise versucht, wieder in ihr Leben zu treten. Und sie reagiert dann halt auf ihre Weise.

Sie ertappt ihren Vater dabei, wie er ihr nachspioniert, und stellt ihn auf ziemlich rabiate Weise. Warum ist sie so wütend?

AKS: Spätestens seit sie die Spielzeugfigur bekommen hat, weiß sie, dass er aus der Vergangenheit aufgetaucht ist. Aber diese Art, erst mal nur so seltsam spürbar aber nicht sichtbar zu sein und dann auch noch mit dem Rad vor ihr wegzufahren, das geht gar nicht für Katrin König.

LB: Für mich steckt in ihrer Reaktion alles: Aggression, Berührung, Überforderung. Das ist, als ob sie in diesem Moment alles gleichzeitig empfindet. Die unglaubliche Wut, dass der nicht da war, ist in meinen Augen aber das Hauptgefühl.

AKS: Überforderung, genau das ist es. Katrin König ist ja sozial nicht so eingebunden, und irgendwie fehlt ihr was in ihrem Repertoire. Sie ist es gewöhnt, in allen möglichen schwierigen Situationen eine professionelle Haltung zu zeigen, aber in diesem sehr privaten Moment ist die wie weggeblasen.

Für Außenstehende wirkt die Szene irritierend. Melly Böwe hakt aber nicht nach. Sie lässt das einfach erst mal so stehen und wartet ab. Ist das typisch für sie?

LB: Sie hat ein gutes Gespür für Menschen, und bei Frau König hat sie ganz deutlich das Gefühl: Wenn ich bohre, verliere ich die. Sie muss irgendwann kommen, wenn sie möchte; den Zeitpunkt bestimmt sie. Als Melly die Szene mit diesem Mann sieht, ist ihr klar: Da ist was ganz Großes passiert. Aber sie ist nicht in der Position, zu fragen: Möchtest du drüber reden? Soll ich dich mal in den Arm nehmen? Deswegen kann sie das nur beobachten und sagen: Okay, ich greif zu, wenn ich das Gefühl hab, ich kann.

Um herauszufinden, was vor Jessica Sonntags Verschwinden passiert ist, sucht Katrin König eine Freundin von ihr auf. Michelle könnte wichtige Informationen liefern, macht aber buchstäblich dicht. Wie erlebt die Profilerin die Begegnung?

AKS: Jessica kifft viel und lebt in einer gesellschaftlichen Nische. Die Leute aus ihrer WG sind alle ein bisschen auf anti. Katrin König kennt das aus ihrer eigenen Geschichte, sie hat früher selbst mal in einer Aussteiger-Kolonie gelebt, das ist ihr also nicht grundsätzlich unsympathisch. Aber sie weiß auch: Wenn man so viel kifft wie Michelle, betäubt man was, wie mit jeder Droge. Man schaltet irgendwas aus. Deshalb beschließt sie, an ihr dranzubleiben.

Melly Böwe verfolgt eine andere Spur. Weil es in der Wohnung des Mordopfers entsprechende Hinweise gibt, recherchiert sie recht unerschrocken in der SadomasoSzene. Kennt sie keine Berührungsängste?

LB: Es hat mich selbst überrascht, dass sie in diesen Klub reingeht. Und es gefällt mir gut, dass Melly jedem erst mal ohne Vorurteil entgegentritt. Diese sexuelle Ausrichtung ist ja auch nicht per se anrüchig oder verdächtig. Das sollte man noch mal betonen, weil diese Szene hier – zwar indirekt, aber dennoch – mit dem MissbrauchsThema in Verbindung gebracht wird. Sadomaso ist ja erst mal nur eine sexuelle Ausrichtung, und die ist weder negativ noch positiv zu betrachten. So geht Melly da auch einfach erstmal rein. Es hat mir Freude gemacht, dass die Figur diese Offenheit zeigt.

Für den Kollegen Thiesler ist ihre Recherche ein Anlass für blöde Bemerkungen. Er kommt nicht damit klar, dass Melly jetzt seine Vorgesetzte ist, und ätzt rum. Wie nimmt sie das wahr?

LB: Das ganze Revier kämpft immer noch mit der Neuorientierung. Die Figuren sind alle wie einsame Planeten, die da in diesem Büro aufeinanderprallen mit all ihren Rucksäcken von Altlasten. Thiesler hat seine eigenen Probleme, und er hat Melly auf dem Kieker, entsprechend reagiert sie auf ihn.

Eine ganze Weile schaut sie sich Thieslers Störmanöver ruhig an, aber irgendwann schießt sie zurück. Hat er einen wunden Punkt getroffen?

LB: Nein, das nicht, aber irgendwo ist auch bei Melly eine Grenze erreicht. Sie erträgt ganz viel und versteht Thiesler auch in gewisser Weise, aber weil er keine Ruhe gibt, sagt sie irgendwann: Schluss! Entweder du machst das jetzt, oder wir kriegen ein Riesenproblem miteinander. In dem Moment macht sie ihm klar, dass er sie nicht unterschätzen sollte. Sie ist zwar nett und offen, aber kein Weichei.

Die Ermittlungen bringen dunkle Geheimnisse ans Licht. Jessica wurde als Kind brutal missbraucht. Sprachlos macht die Ermittlerinnen nicht nur dieses Verbrechen, sondern auch das Verhalten der Mutter. Wie gefiel Ihnen die Geschichte?

AKS: Ich find’s toll, dass der Film zeigt, welche Konsequenzen es hat, wenn jemand nicht den Mut hat, sich seiner eigenen Vergangenheit zu stellen. Hier wird deutlich, wie fatal es ist, wenn niemand Verantwortung übernimmt, und wie sich das auf Generationen auswirkt. Für die Ermittlerinnen ist die Situation fast unerträglich.

LB: Das Spannende an dieser Mutter ist ja, dass sie all ihre Kraft braucht, um sich selbst zu schützen, um sich so einen Schutzpanzer zu bauen. Zum Leidwesen ihrer Kinder.

AKS: Leider liest man ja häufig davon, dass die Mütter weggesehen haben, damit sie in der Partnerschaft bleiben oder eine gesicherte Existenz haben oder irgendwas. Ich finde, darum müssten mehr Möglichkeiten geschaffen werden, sich Hilfe zu holen, Angebote gemacht werden. Ich bin in dem Bewusstsein großgeworden, dass es überall Frauenhäuser gibt, aber heute liest man nur noch, wie begrenzt die Plätze dort sind. In den Medien und in der Öffentlichkeit müsste das mehr stattfinden.

Schweißt so ein schwieriger Fall dann doch zusammen?

LB: Die beiden Ermittlerinnen bleiben sehr vorsichtig miteinander. Durch das, was Katrin König erlebt hat und auch noch weiter erlebt mit ihrem Vater, gibt sie total auf ihr Herz acht und lässt niemanden an sich ran. Das respektiert Melly Böwe weiterhin. Aber der letzte Blick, den die beiden am Ende wechseln, diese wortlose Verständigung, macht deutlich, dass Frau König weiß, dass Melly Böwe hinter ihr steht und keine Gefahr für sie darstellt.

AKS: Das Tolle an denen ist ja, dass es ihnen im entscheidenden Moment immer um die Sache geht und dass sie bei aller Unterschiedlichkeit die totalen Profis sind, wenn’s drauf ankommt. Es ist schön zu merken, dass sie in dem Moment doch sehr ähnlich ticken.

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