"Just like home" – über die Stationierung amerikanischer Truppen in der Pfalz in den 50er Jahren

von Prof. Maria Höhn

Maria Höhn, deutsch-amerikanische Historikerin, Expertin für G.I.s, Vassar College, Poughkeepsie/NY
Maria Höhn, deutsch-amerikanische Historikerin, Expertin für G.I.s, Vassar College, Poughkeepsie/NY | Bild: Maria Höhn

»Der Ausbruch des Koreakrieges im Sommer 1950 führte zu einem dramatischen Wandel der amerikanischen Militärmission in Europa und brachte auch für Rheinland-Pfalz tiefgreifende Veränderungen. Um einen möglichen sowjetischen Angriff auf Westdeutschland und somit Westeuropa abwehren zu können, wurde das junge Bundesland zur wichtigsten Versorgungsbasis der amerikanischen Streitkräfte in Europa ausgebaut. Mit dieser Entscheidung in Washington fanden mehr als 100.000 amerikanische Soldaten und ihre Familien sowie Zivilangestellte des USVerteidigungsministeriums in Rheinland-Pfalz ein neues Zuhause in Orten wie Kaiserslautern, Ramstein, Landstuhl und Baumholder.

Im Zuge dieser Aufrüstung wurden bestehende Einrichtungen der Wehrmacht übernommen, Ländereien beschlagnahmt, und im halsbrecherischen Tempo Flugplätze, Militärhospitale, Kasernen, Kirchen, Kinos, Schulen, Lebensmittelläden, Sportanlagen, Clubs und Wohnhäuser für die amerikanischen Soldaten und ihre Familien gebaut. In Ramstein, Lautzenhausen (Hahn), Bitburg und Spangdahlem entstanden Militärflugplätze, die mit den größten in den USA standhalten konnten. Rheinland-Pfalz haben sie den nicht unbedingt schmeichelnden Ruhm eingebracht, Amerikas Flugzeugträger in der Bundesrepublik zu sein. In Baumholder, wo noch vor wenigen Jahren deutsche Landser für das Afrika-Korps ausgebildet wurden und dann französische Besatzungssoldaten durch den Schlamm robbten, machten sich nun tausende Soldaten der Second Armored Division (der sogenannten "Hell on Wheels") breit. Mit den Amerikanern hielt ein nie gekannter Wohlstand Einzug in Rheinland-Pfalz, eines der ärmsten Bundesländer der jungen Bundesrepublik. Aufgrund der Zuspitzung im Kalten Krieg wurden zwischen 1950 und 1953 insgesamt 2,364 Milliarden DM an deutschen Steuermitteln für amerikanische Militär-Baustellen in Deutschland aufgewendet. Etwa ein Drittel der Summe, fast 800 Millionen DM, wurde in Rheinland-Pfalz ausgegeben, und brachte der Region, so kurz nach dem Krieg, einen bitter nötigen wirtschaftlichen Aufschwung.

Die gigantischen Baumaßnahmen der Amerikaner setzten über Nacht der hohen Arbeitslosigkeit der Nachkriegszeit ein Ende. Zudem wurden tausende neuer Arbeitsstellen geschaffen. Heizer und Handwerker wurden auf der "Base" gebraucht, aber auch Köche und Hilfskräfte in den großen Kantinen und Snackbars. Die Friseurgeschäfte, Reinigungen, Schneidereien, Bowlingbahnen, Kinos und die vielen Clubs der GIs auf den Militärbasen wurden ebenfalls von Deutschen geführt. Deutsche Frauen fanden Anstellung in den Supermärkten auf der Base, aber auch in den MilitärHospitalen und der Verwaltung. Arbeit gab es auch für Putzfrauen oder Kindermädchen bei den amerikanischen Familien, die sich bei einem Wechselkurs von DM 4,20 pro Dollar diesen Luxus leisten konnten. Bereits in den frühen fünfziger Jahren waren die Amerikaner zu einem der bedeutendsten Wirtschaftsfaktoren der Region geworden. Die vielen amerikanischen Soldaten mit ihrem starken Dollar gaben auch der lokalen Geschäftswelt neuen Mut. Innerhalb kürzester Zeit entstanden neue Restaurants, Hotels, Pensionen, Taxi-Stände (im kleinen Baumholder gab es 80 Taxis), Wäschereien, Autohändler, Imbissstuben, Trinkhallen und Souvenirläden – alle versprachen, "Fast Service" und "English spoken here." Geschäfte, die ehemals Butter und Brot, Gummibänder und Schnürsenkel verkauft hatten, stellten sich schnell auf die neuen "Touristen" ein: IdarObersteiner Schmuck, Münchner Kindl und Kuckucksuhren, natürlich alle "made in Germany". Schilder boten in gebrochenem Englisch an: "Here good food and good drink", und der "Black-Forest Souvenir Shop" hatte einen blühenden Umsatz im ehemaligen Hühnerstall. Gaststuben, in denen sich vorher nur müde Bauern zum abendlichen Stammtisch eingefunden hatten, stellten sich auch schnell auf die neue Kundschaft ein. Der Wirt stand zwar immer noch in Hausschuhen hinter der Theke, aber eine Musikbox mit amerikanischen Hits, schummriges Licht und "Cognac und Coke" anstatt Schoppen und Bier versprachen den neuen Gästen eine Atmosphäre "just like home"

Auch viele Ortsansässige, darunter eine Vielzahl verärgerter Landwirte der Region, deren Ländereien von der Bundesrepublik für die alliierten Baumaßnahmen beschlagnahmt wurden, begannen, aus dem Boom Profit zu schlagen. Die enorme Wohnungsnachfrage führte in der Region zudem zu einem nie gekannten Bauboom. Scheunen wurden zu Unterkünften umgebaut, aus Dachböden wurden Wohnungen, Einfamilienhäuser wurden mit Anbauten versehen. Hausbesitzer zögerten nicht, Kredite aufzunehmen, denn sie wussten, dass die amerikanischen Familien bereit waren, jeden Preis für eine vernünftige Unterkunft zu zahlen. Ganze Familien zogen in die Küche, damit sie den Rest ihres Hauses oder ihrer Wohnung an GIs und deren Familien vermieten konnten.

In Anbetracht dieser Entwicklungen wurde Ramstein während der fünfziger Jahre das "Kaff der guten Hoffnung" genannt und die Pfalz als solche als ein Eldorado oder Alaska am Westwall beschrieben, wo der Dollar und die DM rollten. Die überregionale Presse war nicht weniger beeindruckt; so berichtet der "Stern" 1952: "Wer das 'Land der unbegrenzten Möglichkeiten' sucht, braucht nicht über den Ozean zu gehen”, weil es nun mitten in der Pfalz liegt.

Der neue Wohlstand, aber auch die strategische Notwendigkeit der US-Truppen in Anbetracht des eskalierenden Kalten Kriegs führte dazu, dass sich das Zusammenleben zwischen Deutschen und Amerikanern recht gut einspielte. Es gibt wohl keinen besseren Indikator für das deutsch-amerikanische Verhältnis als die vielen Ehen, die zwischen amerikanischen Soldaten und deutschen Frauen nach 1945 geschlossen wurden. Nach Aufhebung des Non-Fraternization-Befehls haben in Deutschland durchschnittlich 5.000 Frauen pro Jahr amerikanische Soldaten geheiratet. Allein in dem kleinen Dorf Sembach heirateten in den 50er Jahren 125 deutsche Frauen Amerikaner.

Das soll natürlich nicht heißen, dass es keine Probleme und Reibereien gab. Ein immer wiederkehrendes Ärgernis für die Menschen waren die amerikanischen Panzer, die regelmäßig während der Manöver Straßen und Äcker aufrissen und Bürgersteige zermalmten. Der ohrenbetäubende Lärm der Tiefflieger und der ewig anhaltende Lärm auf den Truppenübungsplätzen gaben auch immer wieder Grund zur Beschwerde. Die tausenden von jungen und alleinstehenden Soldaten, die es nach Feierabend in die Vergnügungslokale der Pfalz zog, brachten zwar viel Geld in die Gemeinden, wurden aber auch häufig als Belästigung empfunden.

In allen Garnisonsstädten führte die Anwesenheit so vieler alleinstehender Soldaten mit damals unvorstellbaren finanziellen Mitteln zu einer Explosion der Unterhaltungsindustrie und, so wurde befürchtet, zu einer erheblichen Lockerung der Moralvorstellungen innerhalb der Bevölkerung. In ehemaligen Scheunen und Ställen entstanden Bars mit Schönheitstänzerinnen und jede Menge Animierlokale, in denen Frauen versuchten, GIs das Geld aus der Tasche zu ziehen. Mit Namen wie Broadway, Atlantic oder Hawaii versprachen die Bars noch einen Hauch der großen weiten Welt. Und hier wurde Jazz gespielt, wie er sonst nur in deutschen Großstädten zu hören war.

Vermehrt wurde die Sorge der örtlichen Moralhüter dadurch, dass der Großteil der Vergnügungslokale von jüdischen Displaced Persons geführt wurden. Diese Überlebenden der Shoah hatten bereits seit Ende des Krieges Lokale für US-Truppen unterhalten, und waren dem US-Militär aus München und Frankfurt gefolgt, als dieses Einheiten aus Bayern und Hessen nach Rheinland-Pfalz verlegte. Die DPs waren nicht nur eine unwillkommene Erinnerung an die Vertreibung und die Ermordung der deutschen Juden während des Nazionalsozialismus. So manch einer hielt damals auch, und nicht nur im Stillen, an den immer noch weitverbreiteten antisemitischen Vorstellungen fest, dass Juden die Prostitution und Unmoral fördern. Obwohl die einheimischen, nicht-jüdischen deutschen Vermieter dieser Etablissements ebenso an dem Boom mit den GIs verdienten, hielt sich dieses antisemitische Weltbild hartnäckig.

In Anbetracht des starken Dollars waren aber auch viele Einheimische bereit, ihre strengen Moralvorstellungen über Bord zu werfen und Zimmer und Wohnungen an unverheiratete deutsch-amerikanische Paare zu vermieten. Somit kamen "wilde Ehen" aufs Dorf, die damals noch oft mit dem Kuppeleiparagraphen geahndet wurden. Zimmer und Wohnungen wurden auch an die sogenannten Soldatenbräute vermietet, Frauen, die bereit waren, in "Ehen auf Zeit" mit amerikanischen Soldaten zu leben, weil dieses Arrangement ihnen ein bequemes Auskommen bot, inklusive "Amischlitten" und amerikanischen Konsumgütern. Am amerikanischen Zahltag in den fünfziger Jahren wurden viele der Garnisonsstädte mit Prostituierten aus ganz Deutschland und sogar aus weiten Teilen Europas überflutet, die erst wieder abreisten, wenn die GIs ihren letzten Dollar verprasst hatten. Konservative Geistliche waren die lautesten Kritiker der Veränderungen im täglichen Leben der Pfalz und des kosmopolitischen und "amerikanisierten" Charakters, den viele der pfälzischen Dörfer und Städte durch die Präsenz der Amerikaner angenommen hatten. Aufgrund der Bemühungen der Kirchen und derer Wohlfahrtsverbände wurde die Situation in den Landkreisen im Oktober 1952 im Deutschen Bundestag debattiert. Die Politik der USA in der Pfalz, einen Schutzwall gegen Sowjetaggression zu bauen, so wurde geklagt, habe zu Konsumgier, Stripteaselokalen, Prostitution, wilden Ehen und weitverbreiteter Unmoral geführt. Aufgrund dieser Debatte im Bundestag wurden die betroffenen Landkreise zu einem "sittlichen Notstandsgebiet" erklärt und mit großzügigen Bundes- und Landesmitteln versehen, um den "kompletten Zusammenbruch aller menschlichen Werte" zu verhindern. Mit den Amis war, so hieß es im Resümee der Zeitzeugen, die "Stadt aufs Land gekommen" und in vielen Beziehungen spielte sich in diesen Garnisonstädten eine überspitzte Entwicklung ab, wie sie sich in der ganzen BRD entfaltete. Das deutsche Wirtschaftswunder war in der Region mit der Aufrüstung Westdeutschlands im Kalten Krieg verbunden, und die Westintegration der Bundesrepublik musste hier vor Ort gelebt und gefestigt werden. Der wirtschaftliche Boom, der mit den Amerikanern kam, hatte seinen Preis und führte in dieser ländlichen Region zu drastischen sozialen Veränderungen, die nicht von allen unbedingt als Fortschritt empfunden wurden. Die Ankunft sowohl von Flüchtlingen und Vertriebenen (oft im Gefolge der Amerikaner) als auch Arbeitern für die großen Baumaßnahmen brachte viele "Fremde" in die Heimat. Noch "fremder" und sogar "unheimlich" waren für viele Menschen die afroamerikanischen Soldaten, die Kulturprodukte wie Jazz mit sich brachten, der von vielen Deutschen damals noch als "Negermusik" verdammt wurde. Die Liebschaften deutscher Frauen mit diesen Soldaten war eine noch größere Herausforderung, tiefsitzende Hierarchien der Rassentrennung zu überdenken und zu überwinden. Diese rasante Modernisierung und Säkularisierung der Gesellschaft, die fortschreitende "Amerikanisierung" und das Aufbrechen der oft homogen sozialen Strukturen durch "fremde Menschen" trafen eine Gesellschaft, die sich immer noch nicht mit den enormen Veränderungen und der Verrohung in der NS-Zeit und den Kriegsjahren auseinandergesetzt hatte. Die Serie "Ein Hauch von Amerika" und die Begleitdokumentation zeichnen diese Spannungen in bewegenden Bildern auf.«


Maria Höhn ist Professorin für deutsche Geschichte am Vassar College New York. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die amerikanische Militärgeschichte in Deutschland. Ihr Buch "Amis, Cadillacs und 'Negerliebchen': GIs im Nachkriegsdeutschland" (Originaltitel: "GI and Fräuleins: The German-American Encounter in 1950's" ,2002) gilt als das erste, das sich auch mit den Erfahrungen der afroamerikanischen Soldaten in Deutschland beschäftigt. Maria Höhn übernahm die historische Fachberatung der Event-Serie.

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