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Kanada: Ölhafen im Tierparadies?

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Kanada: Ölhafen im Tierparadies? | Bild: ARD
Ryan Klatt
Ryan Klatt | Bild: Bild: BR

Ryan ist Künstler, Performancekünstler. Er macht seine Kunst mit ganz besonderen Partnern – mit Belugawalen.

Die sind nicht nur wunderschön anzuschauen. Sie sind auch noch klug und musikalisch. Sie beherrschen mehr als 16.000 Laute.

Ryan Klatt:

»Die sind neugierig, sie wollen mit dir kommunizieren. Die schwimmen auf dich zu und du kannst mit ihnen musizieren.«

Jedes Jahr im Juni, Juli kommen Tausende von ihnen aus der Hudson Bay in die Bucht von Churchill, um kleine Fische zu fressen und zu kalben. Nirgendwo sonst in der Welt kommt man so nah an sie heran, nirgendwo sonst kann man so ausgelassen mit ihnen spielen.

Nun ist dieses Naturparadies in Gefahr. Von hier aus soll demnächst kanadisches Erdöl nach Europa verschifft werden. Ryan Klatt:

»Eine Ölpest und das Ganze hier ist zerstört.«

Das riesige Binnenmeer, die Hudson Bay: Der erste Weizenfrachter in diesem Jahr läuft ein. Churchill hat den einzig schiffbaren arktischen Hafen Kanadas.

Seitdem der Klimawandel dafür sorgt, dass die Hudson Bay bis in den November hinein eisfrei bleibt, lohnt sich der Transport übers Meer. Die Route via Churchill ist die schnellste und billigste nach Europa.

Ein Zug in einer blühenden Wiese
Ein Zug in einer blühenden Wiese | Bild: Bild: BR

Vor 16 Jahren hatte das US-Unternehmen Omnitrax von der kanadischen Regierung Hafen und die Hudson Bay-Eisenbahnlinie gekauft – eine Wette auf den Klimawandel.

Die Eisenbahnlinie ist die Lebensader für den Ort Churchill. Sie bringt die Lebensmittel, das Benzin , die Schiffsfracht und die Touristen. Die Linie führt über Hunderte von Kilometern durch Wald und Tundra über schwankenden, durchweichten Permafrostboden.

Und nun träumen internationale Investoren von Churchill als Ölterminal – für Kanadas riesige Ölreserven.

Merv Tweed, President, Omnitrax Canada:

»Wir müssen diversifizieren, um Hafen und Eisenbahn rentabel betreiben zu können.«

Reporter:

»Aber kann man große Mengen Erdöl sicher hierher transportieren?«

Merv Tweed: "Ja, das geht."

Maria Mattice
Maria Mattice | Bild: Bild: BR

Maria glaubt das nicht. Sie gehört den First Nations an. Die Strecke geht über Indianerland.

In letzter Zeit hat es in Kanada viele schlimme Unfälle mit Öltransporten gegeben. Sie fürchtet eine verheerende Ölpest.

Maria Mattice:

»Ich kämpfe, ich werde nicht aufgeben, wir müssen Omnitrax aufhalten.«

In Churchill ist sie eine der wenigen, die Widerspruch wagen: Omnitrax ist hier mächtig, der größte Arbeitgeber. Omnitrax gehört Grund und Boden, der Hafen, die Eisenbahn. Omnitrax bestimmt die Höhe der Frachtraten. Wer aufbegehrt, bekommt Ärger, sagt Maria:

»Die Menschen von Churchill sind dieser Firma auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Die haben uns über die Frachtraten für die Eisenbahn völlig in der Hand.«

Wir fahren mit Ryan, dem Performancekünstler in die Bucht hinaus, um mit den Belugas zu tauchen und treffen sofort auf Eisbären. Im Sommer gehen sie hier an Land, um ihre Jungen zur Welt zu bringen. Sie leben hauptsächlich von dem Speck, den sie sich über Winter angefressen haben. An Land warten sie darauf , dass die Hudson Bay endlich wieder zufriert. Dann können sie endlich wieder hinaus aufs Eis und Seehunde jagen.

Belugas und Eisbären – deshalb sind die Touristen hier. Wer hierherkommt, ist weit weg von allem. In einer Welt, wo jederzeit ein Eisbär kreuzen kann.

Ein Eisbär stellt sich auf.
Ein Eisbär stellt sich auf. | Bild: Bild: BR

Eisbären sind mächtige wilde Tiere. Wer sich ihnen nähert, sollte einen Führer mit einem Gewehr dabei haben.

Der Klimawandel hat ihren Lebensraum verändert. Sie gehören heute zu den am meisten bedrohten Tierarten der Welt. Über die Bucht von Churchill führt seit jeher ihre Route zum Eis.

Maria will die Tiere schützen. Sie fing an zu recherchieren und zu fotografieren. Die Firma Omnitrax hat an die 50 Millionen Dollar Subventionen von der Regierung bekommen, um die Strecke sicherer zu machen: Wo ist das viele Geld geblieben? Die Strecke sei in beklagenswerten Zustand, sagt sie:

»Das kriegen die niemals hin. Die Strecke geht über Permafrostboden – total aufgeweichten Untergrund. Erst Frost, dann Tauwetter. Da schaukelt und wackelt alles.«

Und als sie im Juni diesen Jahres von einem Informanten hörte, dass mehrere mit Weizen beladene Waggons auf dem Weg nach Churchill entgleist seien, da war sie alarmiert. Das wollte sie nachprüfen und verhindern, dass Omnitrax den Unfall vertuschen kann: Sie fuhr los, und bekam genau das, wonach sie suchte. Fotos:

»Ich bin die Einzige, die diese Bilder hat und ich habe sie ins Netz gestellt hat. Jetzt kann Omnitrax nicht behaupten, dass es solch schlimme Unfälle hier nicht gibt.«

Und das sind ihre Bilder: Zermalmte Holzschwellen, verbogene Schienen. Offensichtlich hielten die Gleisanlagen dem Gewicht des Zuges nicht stand und brachen weg.

Maria Veröffentlichung hatte Folgen: Die Stämme der First Nations, die Provinzregierung bekämpfen nun die Pläne der Firma Omnitrax, auf dieser Strecke Rohöl zu transportieren.

Frage:

»Sie hatten da im Juni einen schlimmen Unfall.«

Merv Tweed, President, Omnitrax Canada:

»Elf entgleiste Waggons – das nennen wir nicht einen schlimmen Unfall. So etwas passiert alle Tage mal, bei vielen Eisenbahnunternehmen in der Welt. Wir räumen das auf und machen dann weiter wie bisher.«

Ryan hat einen Traum: eine ganze Oper, gespielt mit den Walen. Er hat ein sogenanntes Belugaphon gebaut. So wird im Wasser übertragen, was oben gesungen und musiziert wird. Das Verrückte: die Wale reagieren, sie antworten. Ein gemeinsames Konzert entsteht.

Ryan Klatt:

»Mein Traum ist eine Unterwasseroper mit den Belugas, ein Live-Konzert von Musikern und Belugas.«

Die Hudson Bay ist einzigartig. Ryan und Mary träumen davon, dass niemand diese Schönheit antasten darf. Ihre Aktionen hatten einen ersten kleinen Erfolg. Omnitrax hat versprochen, bis auf weiteres kein Erdöl von hier zu verschiffen.

Autor: Markus Schmidt, ARD New York

Stand: 07.10.2014 11:09 Uhr

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