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USA: Wie Flüchtlinge einer Stadt zum Erfolg verhelfen

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USA: Wie Flüchtlinge einer Stadt zum Erfolg verhelfen | Bild: NDR

Sie saugt alles auf: Vokabeln, Sätze, Amerika. Fatuma Muhammad aus dem Sudan lernt gerade, was zu einer Barbequeparty gehört. Von Tellern und Holzbänken erzählt der Englischlehrer den Flüchtlingen. Mord vor ihren Augen und Vergewaltigung gehören nun in ihr Leben vor Utica. "Ich bin Mutter und Vater für meine Kinder. Mein Ehemann wurde 2004 im Krieg getötet. Wir haben Probleme in meinem Land dem Sudan, in Darfur. Etwa zehn Jahre habe ich in Kenia gelebt", erzählt Fatuma Muhammad.

Zehn Jahre im Flüchtlingslager

Fatuma Muhammad aus dem Sudan
Fatuma Muhammad aus dem Sudan kam allein mit den Kindern in die USA.

Zehn Jahre im Flüchtlingslager – das sagt sich so leicht. So lange dauert das Auswahlverfahren – Flüchtlingsbürokratie. So lange musste sie irgendwie mit den Kindern im Lager überleben. Vor einem Jahr durfte sie in die USA umsiedeln. Resettlement heißt das. So kommen jedes Jahr Hunderte Flüchtlinge nach Utica. Ihr neues Leben beginnt im Flüchtlingszentrum: Anträge stellen, Bettwäsche bekommen, Sprache lernen – alles unter einem Dach.

Hier ist auch Ba Rar gelandet. Er hat sich und seine Familie aus Burma gerettet. Sie gehören zu der verfolgten Minderheit der Karen. Auch sie haben zehn Jahre auf ihre Umsiedlung gewartet: "Wir haben im Lager in Thailand wie im Käfig gelebt. Wir durften nicht arbeiten und nirgendwohin gehen. Wenn ich hier in der Küche arbeiten darf oder putzen oder Teller waschen kann, egal was, dann mache ich das."

Fatuma ist bereits einen großen Schritt weiter. Sie wird arbeiten. Ihre Job-Vermittlerin Tatiana Naumenko hämmert ihr Disziplin ein: "Pünktlich sein und denk an die Uniform." Tatjana findet oft Jobs für die Flüchtlinge. Sie war selber einer. "Die Flüchtlinge sind bereit, überall zu arbeiten, jede Schicht, egal wie lang. Sie werden gern genommen. Sie machen Überstunden ohne Ende.

Die ersten Flüchtlinge kamen vor 30 Jahren

Robert Palmieri
Robert Palmieri ist Bürgermeister in Utica. | Bild: NDR

Utica – vier Autostunden von New York City entfernt – wäre fast ausgestorben. Erst schrumpfte die Schwerindustrie, dann die Einwohnerzahl. Von 100.000 auf 60.000. Das Zentrum verfiel. Vor 30 Jahren begann eine Bürgerin aus Utica, erste Flüchtlinge aus Vietnam aufzunehmen. Später kamen Bosnier. Heute ist jeder vierte Einwohner ein Flüchtling. Sie gründeten Geschäfte und belebten die Wirtschaft. Sie haben die Stadt wieder mit Leben erfüllt. Entscheidend: Sie sollen von Anfang an arbeiten. Das funktioniert oft. 69 Prozent der Einwohner sagen, die Aufnahme der Flüchtlinge sei richtig. 

Robert Palmieri ist der Bürgermeister der Stadt, er zeugt uns das Haus eines Flüchtlings aus Burma: "Dieser Herr wohnt seit acht Jahren hier. Und sehen sie, ein frisch gestrichenes Haus, viel Stolz, wir kriegen Steuern dafür und er zieht hier seine Familie groß. Der Nutzen ist viel größer als alles, was wir fordern könnten."

Natürlich gibt es auch Probleme mit den Neubürgern. Aber Bürger ist Bürger, von ihnen erwartet Palmieri Recht und Ordnung: "Manche schlachten Hühner oder Lämmer in der Wohnung. Das ist ihr Lebensstil, aber wir sind in Amerika. Da gibt es Regeln. Man kann auch nicht im Haus grillen." 

Fatuma ist nach dem Sprachkurs gleich nach Hause gefahren, um ihre fünf Kinder und die zwei Enkelkinder zu versorgen. Essen bekommt sie mit Lebensmittelgutscheinen. Ihr ältester Sohn Osman ist 17. Zögerlich erzählt er von Afrika: "Früher war meine Mutter nicht glücklich. Wir hatten manchmal nichts zu essen. Dann mussten meine Brüder hungrig einschlafen und meine Mutter suchte im Lager nach Essen. An den Sudan erinnere ich mich nicht, ich weiß nur, dass mein Vater tot ist und wenn meine Mutter darüber spricht, wird sie traurig. Deshalb wollen wir nichts davon hören." Mit 44 will Fatuma Amerikanerin werden. Von ihrem ersten Gehalt wird sie der amerikanischen Regierung einen Teil der Flugkosten zurückzahlen. 

Vom Hilfsarbeiter zum Unternehmer

Ale Libic
Ale Libic floh vor dem Bosnienkrieg. | Bild: NDR

Ale Libic ist 18 Jahre weiter als Fatuma. Er floh vor dem Bosnienkrieg. Damals kam er mit einer Tasche und 50 Dollar. Er hat als Hilfsarbeiter im Gewächshaus angefangen, ganz unten eben und heute hat er diesen Lebensmittelgroßhandel, einen Mitarbeiter und  beliefert 100 Ethnosupermärkte.  "Ich besitze ein Haus und ich hab noch drei Häuser, die ich vermiete. Das hab ich erreicht. Das verdanke ich Gott und harter Arbeit", erzählt er stolz. 

Als bekennender FC Bayern-München-Fan hat Ale sich einen roten deutschen Wagen gekauft – brandneu. Die Häuser in seiner Straße hier waren alle unbewohnt und zerfallen. Auch Ales Haus. Die Flüchtlinge haben die Innenstadt von Utica überhaupt erst wieder bewohnbar gemacht. "Wir kamen aus den Lagern, wo wir in Zelten lebten. Das hat uns die Moral und die Energie gegeben, um hier zu bauen und Häuser schöner zu machen,  auch die Straßen. Wir hatten etwas Schlimmes erlebt und wollten nun beweisen, dass wir jemand sind", sagt Libic. 70 Prozent der Häuser gehören heute Flüchtlingen, die eine Art "Zaubermittel" sind, das Utica vor dem Dahinsiechen gerettet hat.

Arbeiten, um zu vergessen

Fatuma auf dem Weg zu ihrem ersten Arbeitstag. Ihr altes Leben verfolgt sie noch. Die Bilder von der Ermordung ihres Mannes. Hier in Utica sagen sie, das arbeiten wichtig ist, um zu vergessen. Fatuma wird als Reinigungskraft im Kasino anfangen. "Ich werde da putzen. Das fällt mir nicht schwer. Sauberkeit ist im Islam ganz wichtig. Die muss der Mensch in seinem Leben achten." Fatumas Zukunft beginnt.

Autorin: Isabel Schayani, ARD-Studio New York

Stand: 18.05.2015 11:57 Uhr

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