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Brasilien: Nicht nur Angela Merkel

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Brasilien: Nicht nur Angela Merkel | Bild: SWR

Höchste Regierungsstellen der EU und der UNO wurden von der NSA abgehört. Frankreich ist betroffen. Auch in Brasilien und in Mexiko wurden die Telefonate der Regierungschefs von der NSA heimlich aufgezeichnet. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff war so empört, dass sie einen offiziellen Staatsbesuch in den USA absagte. Nun soll es einen Untersuchungsausschuss in Brasilia geben. Der Weltspiegel interviewt den US-Journalisten Glenn Greenwald, der die geheimen NSA-Unterlagen von Edward Snowden einsehen konnte und veröffentlicht: Greenwald, der in Brasilien lebt, ist nicht überrascht, dass offenbar auch das Mobiltelefon der deutschen Bundeskanzlerin abgehört wurde.

Angela Merkel mit Handy
Der Abhörskandal um Bundeskanzlerin Merkel ist auch in Brasilien Thema  | Bild: SWR

Es ist auch im weit entfernten Brasilien Topthema. Der Abhörskandal in Europa. Die Überwachung des Handys der deutschen Kanzlerin findet sich auch hier auf Seite Eins der Zeitungen. Die Empörung über den US-amerikanischen Geheimdienst NSA ist groß. Denn Brasilien soll ebenfalls im großen Stil Opfer des Lauschangriffs geworden sein. E-Mails, Telefonate, Social networks, Behörden, Energieunternehmen wie der halbstaatliche Ölkonzern Petrobras, viele Bürger, Politiker und die Präsidentin sollen abgehört und überwacht worden sein. Als das rauskam, reagierte das Staatsoberhaupt entschieden. „Brasiliens Position ist klar und eindeutig. Wir akzeptieren in keinster Weise so eine Art von Einmischungen, nicht nur in Brasilien, sondern auch in anderen Ländern!“ so die Präsidentin Dilma Rousseff.

Ende September ist Rousseff zorngeladen nach New York gereist. Vor der UN-Vollversammlung spricht sie Klartext. „Solch eine Machenschaft, so eine Einmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten ist ein Verstoß gegen internationales Gesetz, ein Affront gegen die Prinzipien im Umgang miteinander, besonders unter befreundeten Nationen. Ein souveräner Staat darf niemals so einen Schaden unter anderen befreundeten Nationen anrichten. Das Recht von Sicherheit von Bürgern eines Staates kann niemals garantiert werden, wenn die fundamentalen Menschenrechte von Bürgern eines anderen Landes so verletzt werden.“

In der Hauptstadt Brasilia soll nun ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss den Vorwürfen über die NSA Spionage nachgehen. Bei den Ermittlungen will die brasilianische Polizei die Chefs von IT-Firmen, darunter Google und Yahoo vernehmen. Und was das Verhältnis zu den USA angeht, da zeigt Brasilien den Amerikanern derzeit die kalte Schulter. Das eigentlich gute Verhältnis zwischen Obama und Rousseff ist ernsthaft belastet. Vor vier Tagen war die brasilianische Präsidentin zu einem Staatsbesuch ins Weiße Haus eingeladen. Den hat sie aber konsequent abgesagt.

US-Journalist Glenn Greenwald im Interview (engl.)

Interview mit Glenn Greenwald:

Was genau wollte die NSA in Brasilien finden? Wer wird überwacht, was ist das Ziel?

"Ich denke, der Kernpunkt ist, dass die USA, seitdem die Enthüllungen auf den Tisch kamen, durch Präsident Obama ständig nur beteuert haben, dass diese Überwachungen nur dazu dienen, die Amerikaner vor Terrorismus und anderen nationalen Sicherheits-Bedrohungen zu schützen. Was mir Edward Snowden bei unserem Treffen in Hong Kong aber sagte, war, dass die Spionage damit in großen Teilen gar nichts zu tun habe. Vielmehr gehe es darum, wirtschaftliche Vorteile zu erzielen, und um andere Ziele zu erreichen. Und genau das haben die Enthüllungen in Brasilien gezeigt. Es gibt Berichte, dass hier wirtschaftliche Konferenzen ausgespäht wurden, der Ölgigant Petrobras, das Energieministerium, da geht es definitiv nur um industriellen und wirtschaftlichen Vorteil. Das hat alles nichts mit `nationaler Sicherheit´ zu tun. Das hat ganz sicher nichts mit Terrorismus zu tun."

Im Moment gibt es in Deutschland große Aufregung um das offensichtlich abgehörte Handy der Kanzlerin Angela Merkel. Was wissen Sie darüber?

Glenn Greenwald
Glenn Greenwald kündigt weitere Enthüllungen an | Bild: SWR

"Ich denke, da sind interessante Aspekte. Zum einen gibt es schon länger sehr ernst zu nehmende Enthüllungen über die Ausspähungen in Deutschland. In die private Kommunikation von Millionen Deutschen hat sich die NSA eingehackt. Und was war? Die deutsche Regierung und Kanzlerin Merkel waren zunächst offenbar nicht besonders an dieser Enthüllung interessiert. Das geschah erst jetzt, nachdem klar wurde, dass auch sie betroffen ist. Erst jetzt nimmt sie die Spionage-Affäre ernst Ich denke, die Deutschen sollten sich fragen, warum das so ist. Warum ist das erst jetzt ein offizielles Thema?"

Die Information, dass ihr Handy überwacht wurde, basiert die auf die Dokumente von Edward Snowden?

"Naja, das basiert mit Sicherheit darauf! Die deutsche Regierung konnte nur wegen ihm die Informationen erlangen, dass da abgehört wurde. Und ich denke, ohne das Engagement von Edward Snowden wäre das nie rausgekommen."

Sollte die deutsche Regierung Snowden Asyl gewähren?

"Ja, genau darum geht es doch. In Brasilien gilt Snowden als ein Held. Genau die gleiche Anerkennung sollte er auch in Deutschland bekommen. Gerade Deutschland ist eines der Länder, das am meisten von den Enthüllungen Snowdens profitiert. Von Anfang an. Deutsche Medien haben darüber unablässig berichtet. Die Deutsche Regierung muss ja nicht dankbar sein, aber sie sollte das tun, wozu sie gesetzlich verpflichtet ist, nämlich Menschen, die politisch verfolgt werden zu schützen. Und trotz all dem, was Snowden für die deutsche Öffentlichkeit getan hat, lässt die deutsche Regierung zu, dass ihn amerikanische Behörden bedrohen und seine Rechte beschneiden – nur wegen seiner Enthüllungen. Die Deutschen sollte sich die Frage stellen, warum ihre Regierung so handelt. Und sie sollten ihre Regierung auffordern, die Grundrechte von Mr. Snowden endlich wirkungsvoll zu schützen."

Nun wird in Deutschland ein politischer Untersuchungsausschuss gefordert und Edward Snowden soll dazu befragt werden.

Glenn Greenwald
Glenn Greenwald mit ARD-Korrespondent Michael Stocks | Bild: SWR

"Edward Snowden zu befragen ist naheliegend. Er sollte befragt werden. Er ist erstens sehr mutig und will darüber sprechen, was er weiß über das Ausspionieren von Verbündeten und unbescholtenen Bürgern. Und außerdem hat er eine riesige Erfahrung über die Praktiken, da er ja über viele Jahre in diesem System gearbeitet hat. Aber das wird er nicht ohne weiteres tun. Außer, wenn sich die deutsche Regierung auch dafür einsetzt, seine grundlegenden Rechte zu schützen."

Nach all den Enthüllungen in der letzten Zeit, haben die USA irgendetwas an ihren Praktiken verändert?

"Präsident Obama hält daran fest zu sagen, dass diese Überwachungspraktiken nun auf dem Prüfstand seien, dass dies alles überdacht wird. Aber wie ich ja schon erklärt habe, die US Regierung erreicht durch diese Spionage einen ungeheuren Vorteil. In Bezug auf Macht, in Bezug auf wirtschaftlichen Vorteil, in Bezug auf Sicherheitswettbewerb. Also, solange es nicht einen wirklich relevanten Grund gibt, dies zu stoppen, solange werden wir nichts anderes als symbolische Gesten von Obama erwarten können, was zu den besonderen Fähigkeiten von Präsident Obama gehört. Er kann sehr blumig umschreiben, dass er besorgt ist, aber an der Substanz wird deswegen nichts verändert."

Die Enthüllungen werden sicher weiter gehen. Was ist zu erwarten?

"Es wird weitere Informationen über die NSA Spionage in Deutschland geben. Und es werden  neue Enthüllungen aus anderen Ländern kommen. Und das schon bald."

Michael Stocks, ARD Rio de Janeiro

Stand: 15.04.2014 10:51 Uhr

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