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Afghanistan: Drogen auf dem Vormarsch

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Afghanistan: Drogen auf dem Vormarsch | Bild: SWR

Die Soldaten gehen, die Drogen kommen. Im Verlauf dieses Jahres werden die internationalen ISAF-Truppen ihren Abzug aus Afghanistan abschließen. In den Provinzen, die die Soldaten schon verlassen haben, erobert eine Blume die Felder: Schlafmohn. In Badachschan etwa, wo bis Herbst 2012 die Bundeswehr für die Sicherheit zuständig war, sind die Drogenanbaugebiete nun um 25% gewachsen. Und noch eine Zahl wird größer: die der Süchtigen. Das Opium und das daraus produzierte Heroin werden nicht nur exportiert, sondern zunehmend auch im Land konsumiert. In Afghanistan sind mittlerweile doppelt so viele Erwachsene süchtig, wie im weltweiten Vergleich. Und die Taliban verdienen mit an Anbau und Handel.

Jürgen Osterhage, ARD Neu Delhi

Der Fluss - so trüb wie der Morgen. Mitten in Kabul. Minusgrade. Ich gehe unter die Pol-e-Sokta, übersetzt „verbrannte Brücke“. Der Weg dorthin - mühsam. Überall Dreck, Kot. Matsch. Der Kabul-Fluss, verkommen zur  Müllhalde. Es stinkt bestialisch. Schließlich erreiche ich den Drogenplatz. Ich treffe auf Menschen, die sich scheinbar aufgeben haben. Trostlos. Beklemmend. Zehntausende Drogenabhängige soll es mittlerweile allein in der Hauptstadt geben. Viele verbergen sich unter Decken, sind scheu, wollen unter sich bleiben. Aber schon nach wenigen Minuten kann ich offen mit ihnen reden.

Mann konsumiert Droge
Allein in Kabul soll es zehntausende Abhängige geben | Bild: SWR

Was ist das? "Heroin", sagt mir ein Süchtiger. "Es wird mit einem Feuerzeug erhitzt und dann eingeatmet. Das Zeug macht mich ruhig. Wenn ich den Heroindampf einatme, vergesse ich alle Sorgen. Ich vergesse alles". Jeden Tag sitze er hier, erzählt er mir später. Das Geld für den Stoff besorge er sich durch Betteln oder Diebstähle. Das würden alle hier so machen. "Ich kam aus Herat im Westen Afghanistans in die Hauptstadt auf der Suche nach Arbeit. Aber es gibt keine Jobs. Ich war verzweifelt. Dann habe ich angefangen Drogen zu nehmen. Wenn ich rauche, vergeht meine Traurigkeit."

Zwei Männer konsumieren Drogen
Viele Drogenabhängige haben sich aufgegeben | Bild: SWR

Der Muezzin einer nahen Moschee ruft zum Gebet. Seine Stimme erreicht auch die Drogenabhängigen unter der Brücke. Ein kurzer Augenblick des Innehaltens. Nicht mehr. Die Zahl der Drogenabhängigen in Afghanistan wächst rasant. Mehr als eine Million Afghanen - acht Prozent der erwachsenen Bevölkerung - sollen mittlerweile abhängig sein. Doppelt so viele wie im weltweiten Durchschnitt. Die Afghanen haben wenig Hoffnung auf ein besseres Leben. Elend umgibt sie. Auch oben, auf der Brücke. Hier steht Mir Faqir, den Gewürzhändler. Der Einsatz der internationalen Truppen, sagt er, habe keinen Nutzen gebracht. Vor allem nicht für die vielen armen Menschen. "Milliarden Dollar kamen ins Land. Aber sie gingen zu den Reichen. Zur Regierung. Für uns arme Menschen hat sich nichts verbessert. Tausende Drogenabhängige liegen unter den Brücken. Eine Schande ist das." Der 48jährige wünscht sich eine bessere Infrastruktur, Fabriken, mehr Viehzucht, damit die Menschen eine Beschäftigung finden. "Wer Arbeit hat, der kämpft nicht. Warum sollten sich die Menschen dann den Taliban oder Al-Quaida anschließen, wenn sie einen Job haben? Warum sollte sie Drogen anbauen?"

Mohnpflanze
Mohnpflanze

Viele Fragen, kaum Antworten. Von der Hauptstadt - Fahrt in den Norden. In die Provinz Badakhschan. Hier war die Bundeswehr für die Sicherheit zuständig. Seit ihrem Rückzug ist der Drogenanbau um 25 Prozent gestiegen. Treffen mit Dour Mohammad. Früher hat er Getreide angebaut. Jetzt bereitet er den Boden vor für die nächste Mohnsaat. Keine andere Pflanze bringt ihm und seiner Familie so viel Geld. "Die Zukunft ist ungewiss. Die Regierung hat ihre Versprechen nicht gehalten, uns zu unterstützen. Deshalb habe ich angefangen, Mohn anzubauen. Irgendwie muss ich ja meine Familie ernähren".

Bauer auf Mohnfeld
Für die Bauern ist Mohnanbau ein einträgliches Geschäft | Bild: SWR

Und so sieht es hier im Sommer aus. Blühende Landschaften. In ganz Afghanistan. Das Geschäft boomt. Vor allem seit Bundeswehr und Nato abziehen. Zuletzt die größte Mohnernte aller Zeiten. Für Afghanistan der wichtigste Wirtschaftszweig. Mindestens 80 Prozent der weltweiten Heroinproduktion basiert auf afghanischem Opium. Bei Dur Mohammad zuhause. Er hat sechs Kinder. Und neuerdings auch ein gutes Auskommen. Mit dem Geld aus dem Drogengeschäft kann er seine Kinder auf Privatschulen schicken. Es gibt Strom. Der Sohn - jetzt stolzer Besitzer eines mobilen Telefons. "Seit ich Mohn anbaue, kann ich mir zehnmal mehr leisten als früher. Ich werde das auch in Zukunft tun, solange die Regierung nicht den Anbau von Getreide fördert".

Kämpfer der Taliban
Auch die Taliban profitieren vom Drogengeschäft | Bild: SWR

Und sie profitieren vom wachsenden Drogengeschäft. Taliban. In der Nachbarprovinz. Ein Treffen mit ihnen – schwierig. Lange Verhandlungen. Einsatz von Mittelsmännern. Es sind junge Kämpfer, kleine Gruppen. Hoch motiviert. Mit Schnellfeuergewehren und Panzerfäusten. Sie verlangen Schutzgeld von den Drogenbauern. Millionen fließen so in ihre Kriegskassen. Offensichtlich sehen sie keinen Widerspruch zwischen Drogenanbau und ihrer Ideologie. Auch wenn sie es nicht laut sagen. In unsere Kamera, die üblichen markigen Sprüche. "Allah hat uns geschaffen für den Heiligen Krieg", sagt ein Taliban-Kommandeur. "Wir werden solange kämpfen, bis alle Ausländer unser Land verlassen haben." Der Abzug von Bundeswehr und Nato: Für sie ein Erfolg. Die Taliban sind auf dem Vormarsch. Ihr Einfluss wird immer größer. Kein Tag ohne Anschläge. Der Westen hinterlässt nicht nur einen blutigen Konflikt, sondern auch einen Drogensumpf. Gegen den kaum einer vorgeht. Mit Folgen. Denn die Drogen bleiben nicht nur im Land. Sie folgen den abziehenden Soldaten in den Westen: Über Zentralasien werden sie bis nach Mitteleuropa geschmuggelt. Eine Bedrohung - weit über Afghanistan hinaus.

Stand: 15.04.2014 10:46 Uhr

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