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Spanien: Radikaler Wandel

Kochen auf Sparflamme

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Spanien: Radikaler Wandel | Bild: WDR
Ute Brucker und Freundin Lourdes
Ute Brucker und Freundin Lourdes

Knoblauch, Knoblauch und nochmal Knoblauch – ohne den kann Lourdes Sobrino einfach nicht kochen. Lourdes ist meine Freundin, heute feiert sie Geburtstag und ich freue mich,  meine Madrider Clique mal wieder zu sehen. Auf den ersten Blick ist alles wie immer. Aber als Staatsangestellte verdient Lourdes inzwischen 200 Euro weniger im Monat – deshalb gibt’s diesmal Eintopf statt Häppchen.

Lourdes:

„Sonst habe ich immer guten Schinken gekauft, dieses Jahr hätte ich mir das selbst nicht leisten können, mein Cousin war so nett und hat ihn mir geschenkt.“

Fast alle Gäste haben irgendwas beigesteuert zum Buffet. Die Spanier sind anpassungsfähig – aber mir wird schwer ums Herz, wenn ich höre, wie es ihnen inzwischen geht – die Krise ist mitten in meinem Freundeskreis angekommen.

Paz:

»Ich bin seit diesem Monat arbeitslos“ erzählt Paz „20 Jahre habe ich gearbeitet und jetzt bin ich ohne Job, ausgerechnet jetzt, wo ich es mit dem Kleinen am nötigsten hätte.«

Jorge:

»Wir können in Spanien nicht mehr darauf hoffen, dass eine Firma uns Arbeit gibt, oder gar der Staat. Das Einzige was uns bleibt, ist, uns selbständig zu machen.«

Rosa:

»Ich mache Fortbildungen, Umschulung, hoffe, dass irgendwann mal jemand auf meine Bewerbungen reagiert, aber es ruft nie jemand zurück. Immer mehr Leute suchen Arbeit.«

Kaum ein Wochenende ohne Demonstrationen
Kaum ein Wochenende ohne Demonstrationen

Meine nächste Station ist die Innenstadt – Sonntag mittags um eins ist eigentlich Aperitivzeit, statt dessen kommen mir zehntausende Demonstranten entgegen.

U.Brucker:

»Als ich vor 5 Jahren aus Madrid weggegangen bin, war das noch ein anderes Land. Der Sonntag war eigentlich zum Genießen da. Heute vergeht kaum ein Wochenende, ohne dass irgendwo im Land Menschen auf die Straße gehen, um gegen die Sparpolitik ihrer Regierung zu protestieren, oder gegen die korrupten Politiker.«

Wütend sind die Spanier über das, was sie mit schwarzen Briefumschlägen symbolisieren. Die Umschläge stehen für Schwarzgeld und Korruption.

Juan Antonio Lopez:

»Was mich am meisten ärgert, sind die korrupten Politiker. Das ist doch furchtbar. Jeden Tag kommt irgendeine neue Geschichte ans Licht. Das regt mich wirklich auf!«

Das  hier meint er: die schwarzen Kassen des Schatzmeisters der Regierungspartei PP. Jahrelang sollen Parteimitglieder aus Spendengeldern bezahlt worden sein - inoffiziell versteht sich.  Auch der Name Mariano Rajoy steht auf den Listen. Die Gelder kamen wohl von großen Baufirmen.

Rajoy selbst äußert sich dazu nur ein einziges Mal, aber eine Pressekonferenz kann man das nicht nennen. Zwei Minuten lang dürfen ihn die Journalisten sehen, dann werden sie aus dem Raum geschickt. Das Statement des Ministerpräsidenten muss die Presse von einem Monitor abfilmen. Fragen ausgeschlossen. „Sind wir hier eigentlich im Iran?“  fragt mein Freund Luis, der solche Fotos im Internet kommentiert. Luis ist Musikproduzent, aber seit die Mehrwertsteuer für CDs auf das Dreifache erhöht wurde, gehen seine Geschäfte noch schlechter als vorher.

Luis Lazaro:

Das Problem ist: diejenigen, die von uns Opfer und Sparsamkeit verlangen, sind genau die Politiker, die an sich selbst nie sparen und die persönlich nie zu Opfern bereit waren.

Im Netz kursieren Dokumente, die Politiker belasten, wie zum Beispiel diese Rechnung über einen privaten Kindergeburtstag der Gesundheitsministerin Ana Mato. Mehr als 6000 Euro für Konfetti und Spiele – dazu kamen teure Privatreisen mit ihrem Ex-Mann. Mutmaßlich finanziert von  Firmen, die in einen der größten Korruptionsskandale Spaniens verwickelt waren.

Doch Ana Mato will nicht zurücktreten.

Ana Mato, Gesundheitsministerin:

Ich muss mich dafür nicht verantworten. Ich konzentriere mich auf meine Aufgabe: die Arbeit im Ministerium und die Garantie einer öffentlichen Gesundheitsversorgung, die kostenlos ist für alle Spanier.

Ute Brucker mit Freunden
Ute Brucker mit Freunden

Das stimmt so nicht mehr ganz.  Ana Toledano bekommt manuelle Therapie von einer Physiotherapeutin. Ana hat multiple Sklerose seit 16 Jahren, die Therapie hilft gegen die Schmerzen. Bezahlen muss sie sie aber selbst, genau wie die Haushaltshilfe und einen Teil ihrer Medikamente. Sie spürt die Kürzungen bei den Leistungen der Krankenkasse. „Wenn ich mal umfalle und den Notfallpiepser drücken muss, damit mir jemand hilft, erzählt sie, muss ich das seit diesem Jahr auch selbst bezahlen.“

Ana Maria Toledano:

»Wir chronisch Kranken brauchen sozialen Schutz durch den Staat, nicht nur die Betreuung durch unsere Familie. Und ich fühle mich inzwischen schutzlos.«

Ana hat Glück weil ihr privates Umfeld funktioniert. Die Nachbarn in  der Straße gehen mit ihr Einkaufen, ihre Geschwister kümmern sich um sie. Arztbesuche und die Grundversorgung mit Medikamenten übernimmt die Kasse. Aber Ana fürchtet, dass noch mehr Leistungen gestrichen werden und dass Kranksein in Spanien noch teurer wird.

ehemalige Korrespondentin Ute Brucker in Madrid
ehemalige Korrespondentin Ute Brucker in Madrid

Diese Angst haben sie auch: Demonstranten vor einem staatlichen Gesundheitszentrum. Ärzte, Schwestern und Patienten kommen hier jeden Tag um 12 vor die Tür zum Protest, denn wenn es nach dem Willen der Regierungspartei geht, sollen mehr und mehr öffentliche Praxen und Krankenhäuser privatisiert werden.

Christina de la Camara, Ärztin:

»Da werden dann doch nur wieder einige private Unternehmen reich, die ganz eng mit einigen unserer Politiker verbandelt sind. Wir sind gegen die Privatisierung. Wir wollen, dass die Gesundheitsversorgung in öffentlichen Händen bleibt.«

Mein schönes Spanien hat sich ziemlich verändert – ärmer ist es geworden und niemand hat mehr Vertrauen in die Politik, egal wen ich frage. Aber das letzte Wort sollen jetzt nochmal meine Freunde haben. „Wir“ sagen sie, „wir haben uns nicht verändert, seit du weggegangen bist“.

Paz:

»Wir sind stark, wir bleiben anständig und wir werden uns von den Politikern nicht unterkriegen lassen. Wir werden aus dieser Krise wieder rauskommen, das müssen wir einfach!«

Bericht: Ute Brucker

Stand: 22.04.2014 13:55 Uhr

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