So., 20.11.22 | 23:35 Uhr
Das Erste
Denis Scheck empfiehlt: Charles M. Schulz: Die Peanuts – Das Werk
Am 26. November wäre er hundert geworden: Charles M. Schulz, der Schöpfer der "Peanuts". Mit dem vom Syndikat gewählten Titel seines Comicstrips konnte er sich Zeit seines Lebens nicht anfreunden. Er nannte sein Werk ursprünglich "Li’l Folks", "kleine Leute", und das passt natürlich viel besser. Die Sorgen und Nöte der Peanuts sind schließlich kein billiger Ersatz, kein im kindgerechten Maßstab verkleinertes Modell der Menschenwelt, sondern das reale Welttheater kleiner und großer Leute selbst. Und das hat Konsequenzen. Nicht nur für den Seelenhaushalt kindlicher Comicleser. Wenn Charlie Brown darüber nachgrübelt, warum er sich nicht ein kleines bißchen verändern kann?“ wird ihm durch Lucy van Pelt eine bündige und unzweideutige Antwort zuteil, die aus dem Wurm des Selbstzweifels einen Drachen zu machen vermag: “You were doomed from birth“, sagt Lucy zu Charlie Brown: Du bist von Geburt an verdammt. Es sind solche Antworten mit Anklängen an die Erbsünde, Antworten der Art, wie sie auch Samuel Beckett bereithält, die Seelenstärke erfordern.
So sehr ich den seine Lebensfreude tanzenden Beagle Snoopy liebe und die Idee, daß das Innere einer kleinen Hundehütte geräumig genug für einen Billardtisch und einen echten van Gogh ist - so sehr erschrecken, quälen und verunsichern mich die spezifischen Regeln des Umgangs in der Welt der "Peanuts". Lucy und Linus, Sally und Charlie, Schroeder und Peppermint Patty, Snoopy und all die anderen sind liebenswürdig, aber eben auch gemein, niederträchtig, schadenfreudig und gehässig, beherrscht von Launen und dunklen Wünschen, uneingestandenen Ambitionen und unerfüllten Sehnsüchten. Mit anderen Worten: sie sind erwachsen.
Charlie Brown wird das kleine rothaarige Mädchen nie für sich gewinnen. Auf ihn wartet nicht nur ein Leben mit einer unerfüllten und vermutlich unerwiderten Liebe, sondern ein Leben ohne Erfolg und ohne Freunde. "Peanuts" lesen ist eine Einübung in die Kunst zu verlieren, ohne zu resignieren. Also vertrauen Sie mir, ich weiß, was ich tue, und lesen Sie – gern auch wieder – das Werk von Charles M. Schulz, das auf Deutsch im Carlsen Verlag vorliegt – dort erscheint zu seinem 100. Geburtstag auch ein Prachtband mit einem Essay von Andreas C. Knigge.
Stand: 20.11.2022 18:00 Uhr
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