So., 10.09.23 | 23:35 Uhr
Das Erste
Empfehlung von Denis Scheck: „Schneeflocken wie Feuer“ von Elfi Conrad
Die frühe Bundesrepublik in den 60-er Jahren: Elfi Conrads Roman wirft Fragen nach sexueller Macht und dem Missbrauch dieser Macht auf, die zwar damals spielen, aber doch mitten ins Herz unserer Gegenwart führen.
Eine fast Achtzigjährige erinnert sich anlässlich eines Klassentreffens an ihr Leben als 17-Jährige in einer Kleinstadt im Harz. An ihre Mutter, die als BDM-Führerin eine glühende Nazi-Anhängerin war. An ihren Vater, Arztsohn und glückloser Erfinder, der früh in eine Ehe gepresst wurde und nun als Spanner dem Nachbarmädchen mit dem Fernrohr nachstellt. An die dumpfe Atmosphäre der frühen 60-er in der bundesdeutschen Provinz, das unappetitliche Gebräu aus Fremdenfeindlichkeit, Obrigkeitsdenken, stockkonservativen Frauenbildern und sexueller Unterdrückung. Das Mädchen erinnert sich aber auch an das Befreiungsversprechen des Rock’n’Roll und wie sie auf den Plan verfiel, ihren jungen Musiklehrer zu verführen. "Ich war siebzehn, und ich war eine Frau." Mit diesem Paukenschlag von einem Satz lässt Elfi Conrad ihren Roman beginnen. "Er hatte keine Chance, mir zu entkommen."
Was treibt die Erzählerin zu ihrer Verführung an. Handelt sie aus Rache? An wem und wofür eigentlich? „Schneeflocken wie Feuer“ ist ein herausragender Roman über Klassen- und Geschlechtergrenzen in der jungen Bundesrepublik. Über die Rebellion gegen die Zurichtungsmechanismen von Schule und Gesellschaft. Über Verantwortung und Selbstbehauptungswillen.
Stand: 11.09.2023 09:02 Uhr
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