So., 24.03.24 | 23:35 Uhr
Das Erste
Preis der Leipziger Buchmesse für Barbi Marković
Ein Blick auf das Gewinnerbuch und die Rolle von Literaturpreisen
Großer Jubel, große Überraschung: Barbi Marković gewinnt den Preis der Leipziger Buchmesse und ihre Dankesrede klingt, als wäre sie eine Figur aus ihrem Buch "Minihorror". In einer spontanen Eingebung hat sie die Zeilen in ihr Smartphone getippt, dass sie nun zückt:
"Mini bekommt den Preis der Leipziger Buchmesse, aber sie hat keine Rede geschrieben. Alle schauen erwartungsvoll. Sie hoffen doch noch auf eine sehr gute Rede, die alle Probleme der Gegenwart lösen wird. Minis Rede ist ein schreckliches Debakel und sie wird sofort aus der Literatur rausgeworfen."
"Minihorror": Harmlose Alltagsszenen laufen aus dem Ruder
Ein Strom aus Blut fließt über das Cover, das trotzdem drollig wirkt, fast wie ein Kinderbuch. Wie die Kurzgeschichten, die Barbi Marković in ihrem Buch "Minihorror" versammelt.
Mini und Micky, ein Pärchen, benannt nach Walt Disneys weltberühmten Mäusen, stolpert von einem Desaster ins nächste. Harmlose Alltagsszenen laufen aus dem Ruder. Menschenfresser und "Kitzelmonster" tauchen auf. Ein Freund zerfällt in kleine Stücke. Und beim Familienessen werden sie lebendig begraben.
Horror als die normalste Sache der Welt. Zumindest potenziell, wie die Preisträgerin findet: "Wir sind als Menschen relativ sterblich und permanent mit Möglichkeiten des Horrors konfrontiert. Und überall in der Gesellschaft, in unseren Körpern, in anderen Menschen liegt der Horror ziemlich nahe."
Literaturcomic: Mini und Micky in Wien
Mini und Micky sind Menschen aus Fleisch und Blut, einerseits. Andrerseits macht sich Marković den Spaß, sie mit ihren Comic-Abbildern verwachsen zu lassen: "In manchen Geschichten wird schon gesagt, dass sie diese blassen Nasen haben. Es schimmert ein bisschen. Es ist nicht ganz klar, wie sie aussehen. Aber zum Teil habe ich sie mir schon als Mini und Micky vorgestellt."
Schauplatz ist Wien, das Paar ist ganz glücklich in seiner Beziehung, wenn nur nicht in jedem Moment ein neuer Horror über sie hereinbräche. Einmal, beim gemeinsamen Putzen der Wohnung, schlägt die Intimität plötzlich um in Aggression.
"Man wird einen oder einen von beiden auf dem Boden tot auffinden, in einer schrecklichen Szene, mit Blut und allem, was mit Blut zusammenhängt. Und der oder die eine wird völlig perplex daneben sitzen und die Mordwaffe oder die in Rage aus den eigenen Fingern gewachsenen Krallen anstarren."
20 Jahre Preis der Leipziger Buchmesse: Mut zum Experiment oder Verzwergung?
"Minihorror" ist zweifellos ein avanciertes und spezielles Stück Literatur. Seit Jahren scheint der Preis der Buchmesse einen Bogen zu machen um die großen Namen und Verkaufserfolge. Nominiert waren dieses Jahr neben Marković' Literaturcomic und Wolf Haas zwei Debütromane und eine Graphic Novel. Kritiker befürchten die Verkleinerung, ja Verzwergung, des Preises bei allem Mut zu Experiment und Neuentdeckung.
Miriam Zeh, Literaturkritikerin Deutschlandfunk, meint dazu: "Das ist ein Trend, den man schon seit Jahren bei Literaturjurys beobachten kann. Die wollen gern Entdeckungen machen, gerade nicht das Erwartbare, nicht den klassischen Familienroman, auszeichnen. Und das ist ja auch eine wichtige Funktion von Literaturkritik, dem Markt etwas entgegenzusetzen. Aber es geht auch ein bisschen die Orientierungsfunktion verloren. Wenn niemand mehr den besten Roman des Jahres auszeichnen will, dann bleiben diese ganzen randständigen Entdeckungen zwangsläufig Geschmacksache."
500 Einsendungen mit gleichen Chancen: "Marketing ist nicht Aufgabe von Literaturkritik"
Knapp 500 Einsendungen hatte die Jury dieses Jahr zu prüfen. Sie tat es, wie Vorsitzende Insa Wilke betont, ohne Ansehen von Person und Renommee. Ob sich ein Buch gut oder weniger gut verkauft, darf dabei keine Rolle spielen. Marketing sollte nicht Aufgabe von Literaturkritik sein, wie sie findet:
"Es spielt eigentlich keine Rolle, ob ein Autor schon berühmt ist oder nicht. Sondern wir kucken erstmal nach dem Text und vergleichen die Texte miteinander. Ich glaube schon, dass so eine Preisverleihung sehr stark auch Aufmerksamkeit herstellen kann. Ich würde mir wünschen, dass im Buchhandel dann auch diese Aufmerksamkeit verstärkt wird und die anderen Bereiche auch ihre Arbeit tun. Ich habe manchmal den Eindruck, es wird erwartet, eine Jury trifft eine Entscheidung, und dann ist es ein Selbstläufer. Wir müssen natürlich alle zusammenarbeiten."
Gute Literatur ist kein Selbstläufer, aber war sie es je? Die Buchmesse selbst, hier in Leipzig, ist die beste Antwort auf diese Frage.
Autor: Rayk Wieland
Stand: 24.03.2024 20:54 Uhr
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