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How to: Protest!

Friedemann Karigs Anleitung für effektiven Widerstand

PlayWann ist politischer Widerstand besonders effektiv? Darüber hat der Autor Friedemann Karig jetzt ein Buch geschrieben.
How to: Protest! | Video verfügbar bis 07.04.2025 | Bild: hr

Dieser Mann ruft auf zum Protest. Damit aus Altem Neues werden kann, Fortschritt! Friedemann Karig. Autor und Journalist, überzeugt von der Kraft der produktiven Wut. Denn Protest, sagt er, kann die Welt verändern. Diktatoren stürzen, Fesseln sprengen. Aus Unterdrückten Handelnde machen.

Im protestfaulen Deutschland gingen plötzlich Millionen auf die Straße – gegen die, die zurück statt nach vorne wollen. Ausgelöst durch die Recherche von Correctiv. Die war der Kipppunkt, den es braucht– meint Karig– damit eine Protestwelle entstehen kann. Oft ist es ein Hindernis, eine Ungerechtigkeit, die in ruhiger See einen Tsunami auslöst.

Wie in den USA, 2020: Black Lives Matter-Demos. Nach der brutalen Tötung von George Floyd durch einen weißen Polizisten wurde die Welle größer und größer – zur weltweiten Bewegung.  

 "Lange vorher gab es natürlich die Polizeigewalt und lange vorher gab es auch Aktivismus dagegen. Aber manchmal verdichtet sich dann eben die Erzählung der Ungerechtigkeit, gegen die Protest aufstehen will in einem Moment, in einem Video und allen ist klar: Das darf so nicht mehr weitergehen. Und so muss Protest immer wieder die große Öffentlichkeit und die vielen Menschen, die sich raushalten wollen, dazu zwingen, ihre vermeintliche Neutralität aufzugeben", sagt Friedemann Karig.

Wie Protest funktioniert – und wie nicht, darüber hat Friedemann Karig jetzt ein Buch geschrieben. Und über die Mythen, die sich um ihn ranken. Wie zum Beispiel die Annahme: Protest brauche Helden und Heldinnen – die alles für die Sache opfern.

"Dabei ist es vielmehr immer wieder der Mut der Vielen, der diese charismatischen Persönlichkeiten überhaupt in ihre Position bringt. Kein Mahatma Gandhi und kein Martin Luther King, keine Greta Thunberg ohne zehntausende, ohne hunderttausende Mitstreiter:innen, die eben die Sache unterstützen", so Karig.

Und: Helden und Heldinnen können sogar hinderlich sein auf dem Weg zum Ziel. Jüngstes Beispiel: Greta Thunberg und ihre Äußerungen zum Israel-Gaza-Krieg. Antisemitismus-Vorwürfe wurden laut.

"Wenn diese Persönlichkeiten dann Fehler machen, wenn sie politisch fragwürdig agieren, wie sie in der Palästinafrage, dann schadet es natürlich auch der Bewegung", sagt Karig. "Und so hat sie, man kann sagen, einen Keil durch Fridays for Future getrieben, und das war sicherlich nicht hilfreich. Das heißt, es hat Vorteile, wenn man ikonische Figuren an der Spitze hat, an denen man sich ja anlehnen kann, die für etwas stehen, die vorausgehen. Es geht aber auch ohne."

Wie in Serbien, um die Jahrtausendwende: Da hat die studentische Bewegung "Otpor" zum Sturz des autoritären Regimes von Milošević beigetragen. Ihr friedliches Mittel: Humor. Sie riefen dazu auf, Milošević etwas zum Geburtstag zu wünschen. Zum Beispiel: Handschellen. Die könne er in Den Haag schon mal gut gebrauchen.

"Otpor" blieb beharrlich. Immer mehr Serben schlossen sich ihrem Protest an. Und weil der teilweise so albern war, drängten sie die Staatsmacht immer weiter in die Enge.

"Die Polizei war immer wieder vor der vor dem Dilemma: Soll man die Leute jetzt dafür verhaften, was lächerlich wirkt und irgendwann auch nicht mehr darzustellen ist? Oder soll man sie gewähren lassen und damit Schritt für Schritt sozusagen Sand ins Getriebe der Diktatur schütten? Und so hat man es dann eben geschafft, ohne großes Blutvergießen diesen Mann aus dem Amt zu jagen", meint Karig.

"Otpor" wurde dafür weltweit gefeiert. Woanders gab es weniger Sympathie für junge Protestler. Karig analysiert, woran das liegt: Straßenblockaden, Farb- und Kartoffelbreianschläge der 'Letzten Generation' zielen auf Gesellschaft und Kultur, statt dahin, wo mit Umweltzerstörung Geld verdient und Macht erhalten wird.

"Ich hoffe, dass die 'Letzte Generation' das jetzt verstanden hat, dass man den Protest näher an die Infrastruktur der Zerstörung bringen muss und dass sozusagen das Narrativ, die Erzählung, die man bilden muss, wie ungerecht eigentlich diese Klimakrise abläuft, dass das geschärft werden muss, damit sich niemand mehr raushalten kann und damit eine bequeme Neutralität in der Frage auch verunmöglicht wird", sagt Friedemann Karig.

Die Bauernproteste bekamen mehr Rückhalt, insbesondere von der Politik. Dabei blockierten sie nicht nur Straßen, sie wünschten Regierungspolitiker an den Galgen, lösten Unfälle aus. Kürzlich: mit einem Toten.

"Währenddessen Klimaschutzaktivisten von der 'Letzten Generation' hochgradig kriminalisiert werden und mit einem Antiterrorgesetz in Bayern in Präventivhaft genommen werden", sagt der Autor. "Und ich würde mir auch wünschen, wer Misthaufen auf Schnellstraßen ablädt und wirklich gefährliche Unfälle riskiert, dass diese Leute dann auch in Präventivhaft kommen."

Karig geht es in seinem Aufruf zum Protest vor allem um zivilen Ungehorsam. Um gewaltfreien Protest auf dem Boden des Rechtsstaats, der demokratische Grundregeln beachtet. Aktuell aber werden diese roten Linien immer wieder überschritten.  

"Als erstes muss ich mir überlegen, wenn ich auf einer Demo stehe und da sind Neonazis oder das sind Demokratiefeinde oder da werden Politiker:innen verächtlich gemacht, dann muss ich nach Hause gehen. Es gibt da keine Toleranz", sagt Karig. "Wenn zum Beispiel dann Politiker blockiert werden, wenn da Politiker-Puppen an Galgen hängen: Hier würde ich mir eindeutig wünschen, dass die Demokratie sich gegen diese Art von zersetzendem Protest auch stärker wehrt."

Wo Ungerechtigkeiten geschehen, gibt es Menschen, die sie hinnehmen. An diese Zuschauer, an die Indifferenten, richtet sich sein Buch. Selten zuvor sei Schweigen so gefährlich gewesen. Die großen Krisen unserer Zeit verlangen eine "produktive Frontstellung", meint Karig.

"Für mich gibt es da zwei ganz wichtige übergeordnete Missstände. Einerseits das Erstarken des Rechtsextremismus auch in Deutschland, der das Kostbarste bedroht, was wir im Politischen haben, nämlich unsere Demokratie und gegen den wir uns wehren müssen– auch auf der Straße. Und zweitens natürlich die ökologische Zerstörung, die langfristig die Bedingung für Demokratie, für Freiheit, Gleichheit, Wohlstand, Humanismus immer weiter erschweren wird. Das heißt, wenn wir dagegen nicht auf die Straße gehen, dann können wir irgendwann gar nicht mehr auf die Straße gehen. Erfolgreicher Protest schafft genau das, auch jetzt, gerade während wir hier sprechen, dass er klarmacht: Wenn eine Partei wie die AfD an die Macht kommt, dann ist es vorbei mit protestieren. Dann kann ich dieses Privileg nicht mehr ausüben. Und wenn die Klimakatastrophe eskaliert hat, dann habe ich andere Dinge zu tun, als noch weiter für Klimaschutz zu protestieren", sagt Karig.

Man könnte mit Friedemann Karigs Buch über Protest eine Scheibe einwerfen, oder es jemandem geben, der bisher lieber zuschaute als mitmachte.


Bericht: Agata Pietrzik / Marie Isabelle Vogler

"Was ihr wollt. Wie Protest wirklich wirkt."
Friedemann Karig
Ullstein Hardcover, März 2024
22,99 Euro, 192 Seiten

Stand: 07.04.2024 20:00 Uhr

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