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Der Dokfilm „Smoke Sauna Sisterhood“: Schwitzen gegen das Patriarchat

PlayIm Dokfilm "Smoke Sauna Sisterhood" trifft sich eine Frauengruppe in einer estnischen Rauchsauna, um dort vom schweißtreibenden Patriachat zu heilen.
„Smoke Sauna Sisterhood“  | Video verfügbar bis 26.11.2024 | Bild: dpa

Eine einsame Hütte im Wald. Angst, Trauer, Schmerz begegnen sich hier. Aber auch die Hoffnung: auf Erlösung/Trost. Eine Rauchsauna in Estland. Ein beinahe heiliger Ort. „Rauchsaunen waren jahrhundertelang die Orte, an denen Frauen Kinder zur Welt brachten und ihre Toten wuschen. Und an denen sie Heilung fanden. Aber man muss sich Zeit dafür nehmen, ins Schwitzen kommen. Erst nach einer Weile kommt mit dem Schweiß der tiefsitzende Schmutz aus dem Körper heraus. Und mit ihm gelangt dann auch der ganze emotionale Schmutz an die Oberfläche”, erklärt die Regisseurin Anna Hints.

Eine Schwesternschaft. Reden über Wunden, frisch geschlagene, vermeintlich vernarbte. Nackt, aber nie bloßgestellt. So beschreibt eine Frau im Film: „Ich war neulich bei einer Hochzeit und da kam folgender Witz auf: Die Frau, die den Brautstrauß fängt, erhält von allen Männern auf der Hochzeit ein Dickpic.“ Lachend erwidert eine andere; „Und anhand der Bilder kann sie auswählen?“

Die Rauchsauna als Ort der Heilung

Für die Regisseurin ist klar: „Ich habe das Gefühl, dass wir unsere Körper zurückerobern müssen. In dieser Gesellschaft werden nackte Frauenkörper immerzu sexualisiert. Deshalb haben mein Kameramann und ich uns zunächst die Zeit genommen, die Bildsprache an meinem eigenen Körper zu finden. Und als ich dachte: ‚so könnten wir es machen!‘ - habe ich es den Frauen gezeigt. Auch sie fühlten sich sicher.“

Sieben Jahre hat die estnische Regisseurin Anna Hints an diesem Film gearbeitet, noch vor „#MeToo“ damit begonnen. Die Tradition der Rauchsauna kennt sie seit ihrer Kindheit. Im Süden Estlands ist sie ein Familienbrauch, bis heute. „Das erste Mal in der Rauchsauna – da war ich noch im Bauch meiner Mutter. Doch eigentlich war es meine Oma, die mich in diese besondere Kultur eingeführt hat. Ich war elf und mein Großvater war gerade gestorben – seine Leiche lag im Bauernhaus. Wir anderen gingen in die Sauna. Dort offenbarte Oma uns, dass Großvater sie betrogen hatte. Und zwar nicht nur einmal, sondern mehrere Male. Und dann ließ sie alle damit verbundenen Gefühle los: Scham, Schmerz, Wut – und wir anderen waren ihre Zeugen. Das Ganze dauerte mehrere Stunden. Und als wir wieder zum Bauernhaus zurückgingen, hatte ich das Gefühl, dass Oma ihren Frieden mit Großvater geschlossen hatte. So konnten wir ihn am nächsten Tag in Frieden begraben“, erinnert sich Hints zurück.

Das Patriachat beginnt zu verdampfen

Männer sind in diesem Film nicht zu sehen. Männliche Gewalt aber ist sehr präsent. Vom Neugeborenen bis zu den Mythen der altvorderen Frauen: der Film bewegt sich in mehreren Zeiten. Immer gegenwärtig: der Schmerz.

Eine Frau erzählt von ihrer Abtreibung: „Irgendwo in Helsinki kam dann auf einer Toilette, also in der Kloschlüssel, ein Klumpen heraus. Ein Mann kann dir Geld geben, aber du musst es durchstehen. Und auf der Toilette oder in der Arztpraxis bist du allein. Viele Männer wissen gar nicht, dass ihre Frau abgetrieben hat.“

Für Anna Hints ist klar: „Ein Trauma kann uns wirklich lähmen. Aber meine Oma hat immer gesagt, dass man nie vergessen darf, dass gefrorenes Wasser auch wieder fließen kann. Es braucht einfach nur Wärme.“ Und nach Stunden in der Hitze beginnt das Patriarchat zu verdampfen.

„Mir ist klar geworden, wie wichtig der Mut ist, hinzuhören – auch wenn es unangenehm wird“, meint Hints. „Manchmal höre ich Leute Dinge sagen, wie: ‚Ja, lasst uns über Vergewaltigung sprechen, aber lasst uns nicht das Wort Vergewaltigung benutzen – sondern eins, das angenehmer ist!‘ Da denke ich mir: ‚Aber an einer Vergewaltigung ist nichts Angenehmes. Eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung!’ Ich glaube, wir müssen sichere Räume schaffen, in denen wir lernen können, das Unangenehme auszuhalten“, sagt die Regisseurin.

Traumata und die Verbindung aller Generationen

Auch die Frauen im Film hören einander zu, in ihrer estnischen Rauchsauna. Eine Frau traut sich von einer Erfahrung zu erzählen: „Dann habe ich aus dem Autofenster gesehen, auf die Bäume und den Wald. Und dann habe ich nur zu Gott gebetet, dass ich bitte überleben möchte. Tut mir leid, Gott, aber das hohe Gut einer Frau ist mir egal. Weil ich einfach nur überleben möchte.“

Schicht für Schicht schälen die Frauen im Film ihren Schmerz hervor – und finden Trost, in der Gemeinschaft, indem sie sich in den Erzählungen der anderen erkennen. Die Regisseurin Anna Hints beschreibt:„Spirituell ist die Rauchsauna nicht linear, sondern zyklisch. Und wenn wir uns mit unseren Traumata auseinanderzusetzen, dann sind es nie nur unsere Traumata, nie nur unsere Probleme. Man ist mit allen Generationen vor einem verbunden.“ Es geht um Geschichten, die Generationen von Frauen kennen. Aber auch: Solidarität – durch die Zeiten hindurch.


Autor: Andreas Krieger

"Smoke Sauna Sisterhood"
Anna Hints
Alexandra Film/ Kepler 22 Productions/ Ursus Parvus
2023

Stand: 26.11.2023 23:05 Uhr

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Hessischer Rundfunk
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