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Quo vadis Deutschland

Ist unsere Demokratie in Gefahr?

PlayDer Reichstag in Berlin
Ist unsere Demokratie in Gefahr? | Video verfügbar bis 20.08.2025 | Bild: imageBROKER / newspixx vario images

Was ist los in Deutschland? Inflation, Klimakrise, Ukraine-Krieg, Rezession und immer noch die Nachwirkungen von Corona – die Gesellschaft ist geprägt von Unsicherheit. Gleichzeitig erlebt die AfD einen Höhenflug, eine Partei, die vom Bundesverfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird. Bei Wahlumfragen kam sie Anfang August bundesweit auf 21 Prozent, in den ostdeutschen Ländern auf um die 30 Prozent. Aber auch in Baden-Württemberg, in Hessen und im Saarland können sich mehr als 20 Prozent vorstellen, die AfD zu wählen. ttt hat den ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum und die Zeithistorikerin Hedwig Richter nach ihrer Einschätzung gefragt.

Alterszornig statt altersmüde

Gerhart Baum
Gerhart Baum | Bild: WDR

"Wir sind in einer Gefährdungslage, wie ich sie in dieser Form noch nicht gesehen habe", sagt Gerhart Baum. "Wir hatten immer rechte Strömungen, rechte Parteien, aber nie eine, die von Nord bis Süd beständig in einer bestimmten Stärke in nahezu allen Parlamenten vertreten ist. Das ist neu und ich warne davor, diese Gefahr zu unterschätzen, denn sie ist nicht nur sichtbar mit den Umfragezahlen der AfD. Wir beobachten seit langem eine Tendenz der Verachtung unseres Systems, also der Demokratie." Der FDP-Politiker Gerhart Baum war von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister im Kabinett Helmut Schmidt. Bis heute ist der 90-Jährige ein Kämpfer für Freiheits- und Bürgerrechte. "Nein, ich bin nicht altersmüde geworden", sagt er, ich habe einen gewissen Alterszorn gerade jetzt."

Auch wenn er die Weimarer Republik nicht mit der Gegenwart gleichsetzen will, erinnert ihn das Umfragehoch der AfD an die damalige Zeit: "Mich hat erschreckt die Erinnerung an die Wahl 1930, das war die große Hitler-Wahl. Und nach dem Kriege habe ich die Älteren gefragt: 'Wie konnte das passieren? Habt ihr denn da auch Hitler gewählt?' Da haben sie gesagt: 'Ja, wir wollten protestieren, aber wenn wir gewusst hätten, er zerschlägt die Demokratie, hätten wir das nicht getan.' Das soll unser Beispiel sein, finde ich. Man muss wissen, was passiert, wenn man aus Protest gegen die Freiheit votiert, mit einer Partei, die die Freiheit abschaffen will."

"Gestreckter Mittelfinger"

Hedwig Richter
Hedwig Richter | Bild: WDR

Hedwig Richter ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. "Was wir heute sehen, ist nicht der gestreckte Arm zum Hitlergruß, sondern was wir heute sehen, ist der gestreckte Mittelfinger. Wir haben eine ganz neue Art von Rechtspopulismus. Das ist ein Anarcho-Rechtspopulismus. Die haben keine Sehnsucht nach dem starken Führer. Die wollen sich nicht an Regeln halten, die wollen nicht, dass ihre Vorstellung von Freiheit, dass das beschränkt wird."

Während sich die AfD radikalisiert, warten die Menschen auf Antworten, wie die Krisen zu bewältigen sind. "Sie möchten wissen, wohin die Reise geht", sagt Gerhart Baum. "Sie müssen einen Zusammenhang sehen, dass wir aus unserer bequemen Normalität heraus müssen. Und da hat die Politik eine Bringschuld. Sie muss auf diese Ängste zugehen."

Und sie muss, so Hedwig Richter, endlich der großen Gefahr begegnen, die der Demokratie von außen droht: der Klimakrise. Sie rechnet nicht mit einem raschen Niedergang der AfD, die von einer Verschärfung der Klimakrise sogar profitieren würde. Um so mehr brauche es eine mutige Zukunftspolitik. Wir sollten nicht "darüber heulen, über diese Rechtsextremen, sondern wir sollten das beim Namen nennen. Aber wir sollten dann in die Zukunft schauen. Wir sollten auch auf die 80 Prozent schauen, die sagen: Wir kriegen Veränderungen hin, wir müssen Veränderungen hinkriegen. Metaphorisch sollten wir aufs Dach steigen. Optimistisch. Wir sollten dort Solarpanels anbringen und sagen, dass die Veränderungen, die Transformationen, die anstehen, die kommen müssen, dass wir die gut hinkriegen und dass wir sie auch hinkriegen können."

Die Antwort auf die AfD liegt nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft. Die Weimarer Republik ist 90 Jahre entfernt, 2,5 Grad Erderwärmumg nur noch 15 Jahre.

Autor des TV-Beitrags: Max Burk

Die komplette Sendung steht am 20. August ab 20 Uhr zum Abruf in der Mediathek bereit.

Stand: 20.08.2023 17:58 Uhr

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