SENDETERMIN So., 05.11.23 | 23:35 Uhr | Das Erste

Krieg der Bilder

Wie umgehen mit der Terror-Propaganda der Hamas im Netz?

PlaySolidaritätsdemo für Israel in den USA: Auf einem Transparent ist die entführte deutsche Geisel Shani Louk zu sehen, in einer privaten Aufnahme und in dem grausamen Bild, das unmittelbar nach dem Terrorangriff der Hamas via Social Media kursierte.
Krieg der Bilder  | Video verfügbar bis 05.11.2024 | Bild: IMAGO / ZUMA Wire

Seit vier Wochen sind diese Bilder in der Welt, millionenfach geteilt, auf allen Kanälen. Bilder eines Gemetzels, schwer zu ertragen. Triumphale Zurschaustellung der Opfer, an deren Verbreitung sich niemand beteiligen sollte oder Zeugnisse von Verbrechen, die man zeigen muss? So wie im Fall der ermordeten Shani Louk.

Opfern einen Namen geben

Der Journalist Deniz Yücel meint dazu: "Ich habe mich in diesem Fall dafür ausgesprochen, diese Videos zu verbreiten, damit die Welt sieht, was für eine Mörderbande das ist, die Hamas. Shani Louk war zu sehen auf einem Jeep, sie wird bespuckt, beschimpft, eine Menge johlt drum herum: 'Allahu Akbar', 'Gott ist groß'.

Es war eine Barbarei in diesem Bild zu sehen, eine Pogromstimmung in diesen Videos. Und ich fand es richtig, und finde es nach wie vor richtig, weil das geholfen hat, dieser jungen Frau, die das leider nicht überlebt hat, einen Namen zu geben – einen Namen, den die Welt heute kennt."

Bilder als unkontrollierbare Waffe

Kunsthistorikerin Charlotte Klonk forscht, wie Bilder als Waffe wirken.
Kunsthistorikerin Charlotte Klonk forscht, wie Bilder als Waffe wirken. | Bild: ttt

Wie Bilder zu Waffen werden, zeigt die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk in ihrem Buch "Terror" am Beispiel des IS, sie argumentiert: "Der Hamas ging es in dem Augenblick nicht darum, uns im globalen Norden in irgendeiner Weise zu Sympathie für die Taten zu bewegen. Was bei uns Schrecken und Angst und großes Mitleid ausgelöst hat, hat in anderen Kreisen Jubel und Triumphgefühle bewirkt.

Die Bilder selber steuern ihre Wirkungsweise nicht. Und bei Bildern wie diesen bedeutet das, wie in den Sozialen Medien deutlich wurde, dass sie Emotionen bewirken wollen, die in eine ganz furchtbare Richtung gehen, nämlich in sexuelle Gewaltfantasien, wie Memes zeigen. Aus diesem Grund würde ich diese Bilder nicht zeigen."

Machtdemonstration, Anklage, Dokument

Journalist Deniz Yücel im ttt-Gespräch
Journalist Deniz Yücel im ttt-Gespräch | Bild: ttt

Kriege produzieren immer schon Bilder, sie können Machtdemonstration sein. Oder Anklage. Oder Dokument.

Als sich 1945 die Tore zur Hölle der Konzentrationslager öffnen, dienen die Aufnahmen der Aufklärung über das Menschheitsverbrechen, wie Deniz Yücel betont: "Wie wäre es heute um unser Wissen über den Holocaust bestellt, wenn die Rote Armee nach der Befreiung von Auschwitz, wenn die Briten nach der Befreiung von Bergen-Belsen und die US-Amerikaner nach der Befreiung von Buchenwald, diese Aufnahmen nicht gemacht hätten, die wir alle kennen, und die uns sofort durch den Kopf gegen, wenn wir 'Shoah' hören?"

Zeugnisse der Barbarei in den Konzentrationslagern

 "Die lebenden Toten von Buchenwald" nennt die Fotografin Margaret Bourke-White eine ihrer Aufnahmen. Sie entsteht, als sie mit einer US-amerikanischen Einheit das Konzentrationslager auf dem Ettersberg bei Weimar erreicht – und die Deutschen gezwungen werden, sich den Zeugnissen des Grauens zu stellen.

"General Patton und die US-Soldaten, die Buchenwald befreit haben, die kommen dahin und sind fassungslos über das, was sie sehen. Das ist viel schlimmer als das, was sie an Grausamkeit irgendwie schon erahnt hatten. Und daraufhin entscheidet sich Patton ja, die Bevölkerung aus Weimar dorthin zu bringen. Margaret Bourke-White beschreibt, dass die Menschen dann wie versteinert da vorbeigehen, dass es keine Wirkung hatte", resümiert Klonk.

Vietnam-Krieg: Bilder drehen die Stimmung

Krieg der Bilder: Das Bild des "Napalm-Mädchens" wird zur Ikone.
Krieg der Bilder: Das Bild des "Napalm-Mädchens" wird zur Ikone. | Bild: ttt

1968. Der Vietnam-Krieg trifft immer mehr hilflose Zivilisten. Zwei Fotos sorgen mit dafür, dass sich die Stimmung in den USA gegen den Krieg dreht: Das angsterfüllte durch einen Reporter-Pulk begleitete "Napalm-Mädchen" und der Polizeichef von Saigon, der vor laufenden Kameras einen gefangenen Vietcong erschießt.

Kunsthistorikern Charlotte Klonk spricht mit Blick auf die Wirkung von Kriegsbildern hier von einer großen Ausnahme: "Der Vietnam-Krieg gilt als der unzensierte Krieg. Es erscheinen Täter-Opfer-Bilder. Sie zeigen Menschen, die andere Menschen erschießen. Und das "Napalm-Mädchen", das schreiend die Straße herunter rennt, in die Arme der Fotografen – dieses Bild wird dann wirklich zu der großen Vietnam-Demonstrations-Ikone."

Ukraine-Krieg: "Das muss ich zeigen"

Kriegsfotografin Johanna-Maria Fritz
Kriegsfotografin Johanna-Maria Fritz | Bild: ttt

Seit Beginn des Ukraine-Krieges dokumentiert die Berliner Fotografin Johanna-Maria Fritz, was ihr an dieser äußersten Front der Menschlichkeit begegnet. Oft ist sie mit ihrer Kamera unter den ersten, die am Ort eines Gefechts, eines möglichen Kriegsverbrechens eintreffen: "Und dann weiß man, man hat ein bisschen Zeitdruck, weil die Bestatter sammeln gerade schon die Leichen ein. Es ist aber megawichtig, dass man das auch fotografiert. Weil es eventuell vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu einem Verfahren kommt, wo ich dann natürlich die Bilder zur Verfügung stellen oder als Zeugin aussagen würde."

Im Sommer 2022, nahe Lyssytschansk, erfährt Johanna-Maria Fritz durch Augenzeugen von einem Mädchen, das durch russischen Mörserbeschuss getötet wurde: "Dann haben wir die Leiche gefunden und in dem Moment kam dann auch ihre Familie an, was total herzzerreißend und schlimm war. Ich habe versucht, das dann so zu fotografieren, dass man ihr Gesicht möglichst nicht sieht, weil es eben komplett zerrissen war. Ich habe noch nie gedacht: 'Das kann ich nicht fotografieren.' Sondern ich habe immer gedacht: 'Das muss ich fotografieren.' Genau deswegen, das muss ich fotografieren, das muss ich erzählen, das muss ich zeigen."

Die Fotos von Johanna-Maria Fritz lassen die Geschichten erahnen, sie scheinen auf hinter den Momentaufnahmen des Grauens. Sie sind Dokumente der Menschlichkeit. Das unterscheidet sie von den Propaganda-Videos der Hamas, die Waffen im Bilderkrieg sind und die von der Menschenverachtung ihrer Urheber zeugen.

"Bilder bezeugen etwas und müssen bezeugt werden!"

Deniz Yücel erklärt: "Wir sind Journalisten, wir haben eine Informationspflicht und wir haben natürlich eine Verantwortung, was die Persönlichkeitsrechte von Menschen anbetrifft, die da gezeigt werden – selbst, wenn sie tot sind. Weil die Menschenwürde über den Tod hinaus gilt. Und wir haben eine Verantwortung, uns nicht zum Propaganda-Instrument einer Terrororganisation zu machen. Und deshalb bin ich dafür, in jedem Fall neu zu entscheiden – oder: abzuwägen."

Charlotte Klonk betont: "Alle diese Bilder, wenn wir sie in den herkömmlichen Medien sehen, brauchen eigentlich Einordnung. Und genau das ist natürlich derzeit und eigentlich schon seit dem Syrien-Krieg, dem Ukraine-Krieg nicht mehr der Fall. Weil wir diese Bilder in unseren Timelines sehen, ohne diese Informationen mitgeliefert zu kriegen und sie überprüfen zu können. Das gehört nämlich auch dazu: Bilder müssen überprüft werden. Bilder bezeugen etwas und müssen bezeugt werden!"

Reporter Evgeniy Maloletka lebte wochenlang in einem Krankenhauskeller in Mariupol. Sein Foto wurde zum Dokument.
Reporter Evgeniy Maloletka lebte wochenlang in einem Krankenhauskeller in Mariupol. Sein Foto wurde zum Dokument.  | Bild: dpa

10. März 2022: An diesem Tag entsteht das Bild einer hochschwangeren Frau auf einer Bahre, kurz nach dem Foto stirbt sie mit ihrem Baby. Das russische Militär bestreitet, die Klinik in Mariupol beschossen zu haben. Hier seien Schauspieler am Werk gewesen.

Was sie nicht wussten: Es waren Fotoreporter vor Ort. Ihre Aussagen bewiesen das Gegenteil – und bezeugten so die Wahrheit über den Krieg.

Autor: Andreas Lueg / Rayk Wieland

Buch-Tipp:
Charlotte Klonk: Terror – Wenn Bilder zu Waffen werden

Stand: 05.11.2023 23:18 Uhr

1 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.

Sendetermin

So., 05.11.23 | 23:35 Uhr
Das Erste

Produktion

Mitteldeutscher Rundfunk
für
DasErste