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Expedition in die Welt der Haie

Warum François Sarano eine Hommage an den Hai geschrieben hat

PlayHaifisch und Taucher begegnen sich unter Wasser
Expedition in die Welt der Haie | Video verfügbar bis 17.09.2024 | Bild: Galateefilm / Pascal Kobeh

Die Gefahr, die unerwartet aus der Tiefe kommt. Wie aus dem Nichts Angst und Schrecken verbreitet. Kein anderes Tier verkörpert sie so wie der Hai – in den Augen vieler nichts anderes als eine brutale, menschenfressende Bestie.

Haie: 450 Millionen Jahre altes Erfolgsmodell der Evolution

Nicht so für den Meeresforscher François Sarano. Er ist fasziniert vom Hai, dem 450 Millionen Jahre alten Erfolgsmodell der Evolution. Für ihn, der seit Jahrzehnten mit Haien taucht und schwimmt, sind sie majestätische Lebewesen, denen man in ihrem Lebensraum mit Respekt, aber ohne Angst begegnen kann:

"Ich weiß, wenn es einen Unfall gibt, ist das furchterregend. Für jemanden, der einen Freund verliert, ist das herzzerreißend, schrecklich. Aber: Wenn man das mit unseren anderen Aktivitäten in der Natur vergleicht, sind die Zahlen deutlich: Jedes Jahr ereignen sich auf der ganzen Welt etwa hundert Unfälle mit Haien. Leider, schrecklich genug, führen 10 davon zum Tod."

Wahrscheinlichkeit eines Hai-Angriffs: 1 zu 11 Millionen

François Sarano ergründet die Angst vor dem Hai: Etwa 100 Millionen seiner Art tötet der Mensch, pro Jahr, stellt er klar.
François Sarano ergründet die Angst vor dem Hai: Etwa 100 Millionen seiner Art tötet der Mensch, pro Jahr, stellt er klar. | Bild: ttt

Pro Jahr werden geschätzt 120 Menschen schwer verletzt. Trotzdem liegt die Wahrscheinlichkeit eines Hai-Angriffs weltweit bei 1 zu 11 Millionen. Die Gefahr, von einem Asteroiden oder Blitz getroffen zu werden, ist deutlich höher. Für den Hai sieht das anders aus. Etwa 100 Millionen seiner Art tötet der Mensch, pro Jahr. Müssen wir Angst vor ihnen haben? Sarano sagt: "Nein". Aber der Meeresforscher weiß, wann und wie die Angst entstand:

"Die Angst vor Haien begann erst im frühen 20. Jahrhundert, als die Menschen an die Küsten gingen und der Tourismus entstand. In den USA gab es 1916 zum ersten Mal einen Unfall. Damit begann es. Die Tourismus-Branche fürchtete, durch diesen Vorfall ums Geschäft gebracht zu werden. Die Medien griffen es auf. Früher hatten wir Angst vor Bären oder vorm Wolf. Die Angst vor Haien ist konstruiert und sehr neu."

Haie: Unerlässlich für das Ökosystem Meer

"Wie man mit Haien schwimmt", lehrt uns der französische Taucher und Ozeanologe Sarano.
"Wie man mit Haien schwimmt", lehrt uns der französische Taucher und Ozeanologe Sarano. | Bild: Galateefilm / Pascal Kobeh

Seine Erkenntnis: Der Hai ist ein außergewöhnliches Geschöpf, das sich mittels Elektrorezeptoren und Geruchssinn unter Wasser orientiert und als größtes Raubtier unerlässlich für das Gleichgewicht im Ökosystem Meer ist. Und der Taucher und Meeresforscher führt weiter aus:

"Die Meerestiere akzeptieren uns, wenn wir respektvoll und ruhig sind. Dann können wir uns unter sie mischen. Man kann ein Fisch unter Fischen sein, ein Hai unter Haien. Man muss sehr, sehr ruhig sein, denn der Hai hat eine Komfortzone, und er mag nicht, wenn man sich dort hinein bewegt. Um Seite an Seite mit einem Hai zu schwimmen, muss man unglaublich aufmerksam und respektvoll sein. Und dann geschieht das Magische."

Auf Expedition mit Jacques-Yves Cousteau: "Wie konnte ich mich nur so irren"

Für Sarano sind Haie individuelle Wesen, er fertigt Skizzen, um sie bei den Tauchgängen wiederzuerkennen.
Für Sarano sind Haie individuelle Wesen, er fertigt Skizzen, um sie bei den Tauchgängen wiederzuerkennen. | Bild: ttt

Diese Magie vermittelt François Sarano seit Jahrzehnten über Filme, wissenschaftliche Veröffentlichungen und Bücher.

Von 1985 an war er 13 Jahre lang Expeditionsleiter des legendären Meeresforschers Jacques-Yves Cousteau, der weltweit ein Millionenpublikum mit seinen Filmen faszinierte. Cousteau ist in Frankreich heute durchaus umstritten. Auch wegen Szenen aus seinem berühmten Film "Jenseits der Stille", in dem gezeigt wird, wie die Mannschaft eine große Anzahl von Haien tötet.

François Sarano erklärt dies mit dem Zeitgeist, auch Cousteaus Perspektive habe sich später radikal geändert: "Also diese Szene aus 'Jenseits der Stille' ist entsetzlich. Die Seeleute der Calypso schlachten dort Haie ab, aber das ist eine andere Zeit. Es ist eine Zeit, in der Pottwale und andere Wale gejagt wurden und Haie so gesehen wurden. Es ist eine Zeit der Entdeckung und des Misstrauens. Es ist eine Zeit, in der man vieles noch nicht wusste", betont Sarano und führt weiter aus:

"Und nach und nach, als er die Haie wirklich entdeckte, änderte Cousteau seine Meinung komplett. Er sagte: 'Wie konnte ich mich nur so irren? Und seinen Sinneswandel wollte er zeigen, indem er diese Szene beibehielt. Man bat ihn, sie zu herauszuschneiden, als man den Film später ausstrahlte. Er aber sagte: 'Nein, das schneiden wir nicht. Das zeigt, wie sehr wir gewachsen sind, wie sehr wir verstanden haben.'"

Leidenschaftliches Plädoyer: "Wir sind Teil der Natur!"

Sarano nennt sein Buch eine Liebeserklärung.
Sarano nennt sein Buch eine Liebeserklärung. | Bild: ttt

Saranos Buch "Wie man mit Haien schwimmt" ist ein leidenschaftliches Plädoyer für den Schutz der Haie. Für ihn sind sie individuelle Lebewesen. Mittels Skizzen auf Plastiktafeln identifiziert er die einzelnen Tiere bei seinen Tauchgängen unter Wasser. Nur selten verhielt sich ein Hai aggressiv und noch nie wurde er angegriffen, wie François Sarano erzählt.

Schlüsselerlebnisse seien 2006 und 2011 die Begegnungen mit "Lady Mystery", einem über fünf Meter großen Weißen Hai, gewesen: "Wir trafen uns und ich konnte ruhig an ihrer Seite schwimmen. Sie nahm mich an. Wir waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, aber das misst man nicht in Zentimetern, sondern in gegenseitigem Vertrauen. Ein solcher Moment versöhnt dich mit allem. Du spürst den Frieden der Welt. Mit einem wilden Tier kann man nicht tricksen. Es ist das Tier, das dich akzeptiert und dir diesen Moment schenkt. Das macht es so großartig."

Der Mensch als Beherrscher der Natur, der Tiere in Gut und Böse unterteilt, das funktioniert nicht mehr, meint Sarano: "Wir haben uns von der Natur abgetrennt. Das ist katastrophal, denn wir sind lebendig. Dasselbe Wasser fließt durch unseren Körper, wie durch den Hai. Da ist der Ozean, da der Regen. Wir sind Teil der Natur!"

François Saranos außergewöhnliche Begegnungen mit Haien revidieren das Bild vom mörderischen Raubtier. Es ist der Mensch, der ihre Existenz heute bedroht.

Autoren: Jürgen Hansen, Simone Stripp

Buchtipp
François Sarano: Wie man mit Haien schwimmt
Eine Liebeserklärung
folio, 2023

Stand: 17.09.2023 23:27 Uhr

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Mitteldeutscher Rundfunk
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