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Die Cyborgs kommen

Junge Frau mit einer USB-Schnittstelle hinterm Ohr.
Vision: Der USB-Anschluss am Kopf. | Bild: SWR

Klingt nach Science-Fiction, ist aber gar nicht so weit hergeholt. Die Entwicklung elektronischer Schnittstellen zu unserem Gehirn gehört mittlerweile zum Forschungskatalog vieler renommierter Universitäten und wird mit Millionen gefördert. Noch stehen medizinische Anwendungen, wie zum Beispiel die prothetische Rehabilitation nach Amputation oder die Tiefenhirnstimulation bei Parkinson-Patienten im Vordergrund. Aber immer häufiger geht es auch darum, die elektrischen Gehirnaktivitäten für nicht-medizinische Anwendungen auszulesen oder zu stimulieren.

Gedanken sichtbar machen

Elon Musks Firma Neuralink hat im Sommer 2020 eine Schnittstelle zum Gehirn mit drahtloser Datenübertragung vorgestellt, um Gehirn und Computer bequem miteinander zu verbinden. Ein runder Chip wird dazu am hinteren Schädel implantiert. Durch eine ebenfalls neu entwickelte, Roboter-gesteuerte Implantationstechnik ist es möglich, nach Eröffnung des Schädels, in kurzer Zeit sehr viele Elektroden ins Gehirn zu implantieren. So lässt sich die elektrische Aktivität bestimmter Hirnregionen auf den Computer übertragen. Elon Musk schwärmt davon, dass jeder in Zukunft ein Backup seines Gehirns erzeugen und auf andere Personen oder Roboter übertragen könne, weil alles im Kopf kodiert sei.

Ein knappes Jahr später, im April 2021 präsentiert Neuralink dann ein Video auf youtube, das einen Affen mit Hirnimplantat zeigen soll, der ein Videospiel nur mit seinen Gedanken steuert. Demnach ist es den Forschern gelungen, die elektrischen Signale, die das Tier während des Spielens mit einem Joystick aus seinem Gehirn sendet, zu empfangen und zu dechiffrieren.

Die Vision vom Gehirn-Backup

Ein Mann steckt eine SD-Card in den SD-Card-Slot an seiner Schläfe.
Die Vision vom Datenaustausch mit dem Gehirn. | Bild: iDStock / BrianAJackson

Es sieht zunächst so aus, als sei Neuralink der Vision aus Sience-Fiction-Filmen, in denen man die Gedanken aus einem Gehirn auslesen kann, einen großen Schritt näher gekommen. Aber der erste Eindruck täuscht. Denn es handelt sich in dem oben beschriebenen Experiment um ganz einfache motorische Aktivitäten im Gehirn des Affen. Die werden im Moment der Aktion elektrisch übertragen und mithilfe von künstlicher Intelligenz ausgewertet. Das bedeutet: Den vier Bewegungsrichtungen des Joysticks in der Hand des Affen, werden lediglich die entsprechenden Hirnaktivitäten zugeordnet. Abstrakte Gedanken dagegen, oder passives Wissen, das bei uns irgendwo im Gehirn schlummert, mithilfe von Elektroden aus dem Gehirn auszulesen und zu decodieren, ist unendlich viel schwerer.

Einige Neurologen halten deshalb die Vorstellungen und Forschungen von Elon Musks Neuralink für unseriös. Der Freiburger Experte für Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine, Prof. Thomas Stieglitz, zweifelt außerdem daran, dass es technisch und physikalisch möglich sei, das ganze Gehirn bis in den letzten Winkel mit vielen Tausend Elektroden zu verbinden. Aber genau das wäre ja die Bedingung für eine komplette Erfassung aller Aktivitäten im Gehirn.

Grenzen für die Verschmelzung von Mensch und Technik

Graphische Abbildung zweier Menschen, deren Gehirne durch Wellen miteinander verbunden sind.
Gehirne könnten in Zukunft vielleicht direkt miteinander verlinkt werden. | Bild: iDStock/Maxiphoto

Auch wenn das Implantieren von Sonden in tiefe Gehirnregionen nicht ohne Risiko ist, kann sie zum Beispiel für Parkinson-Patienten, die unter starken Zitterattacken leiden oder kaum noch gehen können, eine echte Therapieoption sein. Mehrere Hunderttausend Tiefenhirnstimulationen weltweit haben bewiesen, dass mit ihrer Hilfe die Lebensqualität für solche Patienten wesentlich erhöht werden kann. Ob allerdings der Wunsch nach einer Schnittstelle zwischen Gehirn und beispielsweise Unterhaltungs-Apps auf dem Handy die Risiken so einer Gehirn-OP rechtfertigen würden, ist zweifelhaft.

Außerdem stellen sich große ethische Fragen für den Fall, dass es irgendwann wirklich möglich sein könnte, Gedanken, Erfahrungen oder Erinnerungen via Schnittstelle auszulesen, oder ins Gehirn zu schreiben. Denn sind es nicht gerade die individuellen Gedanken, die jeden Menschen einzigartig machen? Was also, wenn sich diese von außen manipulieren ließen? Wie könnte man sie dann noch wirksam schützen?

Fluch oder Segen?

Frau mit neuartigem Militärhelm.
Thema im Tatort "Krieg im Kopf": Manipulation des Gehirns durch elektromagnetische Nervenstimulation. | Bild: NDR

Schnittstellen zum Gehirn oder den peripheren Nerven haben ohne Zweifel ein großes medizinisches Potenzial, auch weil sie zukünftig in manchen Bereichen Medikamente mit ihren Nebenwirkungen ersetzen können. Andererseits sind Schnittstellen zum Gehirn seit langem auch Teil militärischer Forschung. Es geht zum Beispiel darum, Soldaten im Einsatz leistungsfähiger zu machen, man könnte auch sagen, gezielt zu manipulieren, damit sie konzentrierter sind und nicht durch Müdigkeit oder Schmerz von ihren Aufgaben abgelenkt werden.

Bereits 2010 entwickelte die DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency), das ist die Forschungsbehörde des US-Verteidigungsministeriums, dafür einen Spezial-Helm. Damit können gezielt einzelne Hirnregionen durch elektromagnetische Wellen stimuliert werden. Neuere Entwicklungen sollen Soldaten zum Beispiel dazu befähigen, während ihres Einsatzes am Boden, parallel eine Drohne nur mit der Kraft der Gedanken zu steuern. Die US-Behörde hat sechs aktuelle Forschungsprojekte dazu im Internet publiziert.
Ist es ethisch vertretbar, das Gehirn von Soldaten für militärische Zwecke zu manipulieren? Dazu braucht es sicherlich noch eine breitere öffentlichen Diskussion. In Deutschland ist diese Art der Forschung untersagt.

Autor: Jörg Wolf (SWR)

Stand: 23.04.2021 13:08 Uhr

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Sa., 24.04.21 | 16:00 Uhr
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