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Hochleistungszucht bei Milchvieh

Wandel auf der Weide

Der Mensch hat es geschafft, die Natur zu überlisten. Aus dem Auerochsen ist über Jahrzehnte ein Turborind geworden, und die Kuh auf der grünen Wiese ist längst nicht mehr glücklich. Hohe Milchleistung ist das, was zählt. Doch die Zucht auf Höchstleistungen hat Folgen für die Tiere: Es häufen sich Krankheiten und frühe Todesfälle.

Zuchtziel: Hochleistungskuh

Euter einer Hochleistungskuh
Euter einer Hochleistungskuh | Bild: NDR

Auf einer bayrischen Weide bietet sich ein seltenes Bild: Elsa ist eine von vier Millionen deutschen Milchkühen und tatsächlich noch "glücklich". Mit 14 Jahren ist sie nicht mehr die jüngste, doch noch immer wandelt sie auf saftigen Weiden ganz gemächlich Gras in Milch um.

Der Alltag vieler Artgenossinnen sieht heute aber anders aus. Sie sind darauf gezüchtet, möglichst viel Milch in kurzer Zeit zu produzieren. Während eine Kuh 1960 noch durchschnittlich 4.000 Liter Milch im Jahr gab, schaffen Hochleistungskühe heute schon 10.000 Liter und mehr. Das ist ein beeindruckender Zuchterfolg, doch er geht auf Kosten der Tiergesundheit. Denn lange kannten die Züchter nur ein Ziel.

"Die haben über Jahrzehnte primär selektiert aufgrund der Milchleistung. Das ist ein ganz legitimes Denken. Man möchte mehr und ökonomischer produzieren. Aber dabei ist das Gesundheitsmanagement der Kühe zu kurz gekommen", sagt Professor Holger Martens, Veterinärmediziner an der Freien Universität Berlin. Die Milchleistung könne man morgens und abends am Melkstand messen, die Gesundheit der Tiere aber nur global statistisch erfassen. Und deswegen sei sie, ohne es zu wollen, vernachlässigt worden, erklärt Martens. Die Folge ist nicht mehr zu leugnen. Fachleute nennen sie "hohe Abgangsraten" und meinen damit, dass Kühe heute laut Statistik kaum noch älter als fünf Jahre werden.

Anfällige Milchspenderinnen

Kuhklaue
Behandlung einer Klaue | Bild: NDR

Martens erläutert die "Berufskrankheiten", die zu einem frühen Tod der Milchkühe führen: "Als erstes wird immer genannt - und das ist auch eine Tatsache - die abnehmende Fruchtbarkeit. Zweitens sind das Eutererkrankungen und Klauenerkrankungen. Dann kommen noch um die Geburt herum alle Erkrankungen, die mit der Gebärmutter zu tun haben, und dann gibt es leistungsbezogene, fütterungsbezogene Krankheiten wie Labmagenverlagerung. Alles führt dazu, dass 40 Prozent aller Kühe im Jahr die Betriebe verlassen." Im Durchschnitt überlebt eine Kuh in Deutschland gerade mal 2,7 Laktationen. So wird der Zeitraum genannt, in dem sie nach dem Kalben Milch gibt.

Kraftfutter, das krank macht

Tagesration an Kraftfutter
Tagesration an Kraftfutter | Bild: NDR

Nur bei optimalem Management in den Ställen können die Kühe länger gesund und damit leistungsfähig bleiben. Aus den genügsamen Wiederkäuern sind mit fortschreitender Züchtung sensible Hochleistungssportler geworden, die allein durch Grünfutter längst nicht mehr satt werden. Ohne Berge von Kraftfutter geht da nichts mehr. Für eine Tagesleistung von 40 Litern Milch muss die Kuh deshalb 11 Kilogramm Heu, aber auch 11 Kilogramm Kraftfutter fressen.

Dafür ist das Magensystem der Kuh aber nicht ausgelegt, und nicht selten leiden die Tiere unter der sogenannten Labmagenverlagerung. Dann muss der Tierarzt ran und operieren. Für Martens besteht da ein Zusammenhang. "Das ist eine typische Erkrankung, die leistungsbedingt ist. Sie korreliert mit der Kraftfutteraufnahme", ist der Berliner Professor sich sicher. Für die Kuh ist eine Labmagenverlagerung in jedem Fall eine schmerzhafte, für den Landwirt eine teuere Angelegenheit.

Dass Leistung unverzichtbar ist, das ist auch Martens klar. Doch jetzt müsse verstärkt auf Gesundheit gezüchtet werden, plädiert er seit längerem.

Umdenken bei Milchbauern

Genau damit hat Landwirt Josef Braun schon vor einigen Jahren begonnen. "Ich hab gesehen, dass Probleme mit Kälberkrankheiten, mit Fruchtbarkeitsstörungen eigentlich zugenommen haben. Das war für mich, der ich ein Stück weit auch Verantwortung für die Tiere übernehme, so nicht mehr machbar", erklärt er den Hintergrund seines Umdenkens. Unter Anleitung von Günter Postler stellte er um auf eine andere Zuchtphilosophie: "Rinderzucht auf Lebensleistung". Das bedeutet weniger Milchleistung pro Jahr, aber dafür mehr Lebensjahre mit Leistung.

"Wir arbeiten mit anderen Linien, die dauerleistungsveranlagt sind, hinter denen wir sehr viele alte Tiere haben, die 80, 100, 120.000 Kilo Lebensleistung erbracht haben", so Postler. Bei ihm stehen immer ganze Kuhfamilien im Fokus: Großmütter, Mütter, Töchter, Tanten. Sie alle sollten langlebig und problemlos gewesen sein. Im Idealfall sollten sie sich auch noch weitgehend von Grünfutter ernähren können. Postler nennt das eine "Grundfutter betonte Kuh". In der ersten Laktation sollte sie 6.000 Liter Milch geben und sich dann langsam auf 7.000 bis 8.000 Liter steigern. Sechs bis sieben Laktationen müssen dann problemlos drin sein, und "problemlos" heißt für Postler dann ohne viele Krankheiten und damit auch sehr wirtschaftlich.

Glückliche und leistungsfähige Kühe

Doch auch die Kuh-Väter müssen bei der Zucht auf Lebensleistung bestimmte Kriterien erfüllen, damit sie für Postlers eigenen Zuchtbullenkatalog überhaupt in Frage kommen. Ein langes, produktives Leben der weiblichen Vorfahren ist Vorraussetzung. Deren Lebensleistung wird nämlich auch im Katalog ausgewiesen.
Der Bulle sollte zudem schon Töchter haben, denn deren Leistung ist ebenfalls wichtig für seinen Zuchtwert. Viel Aufwand also für die Zucht auf Lebensleistung.

Dass er sich lohnt, zeigt Elsa, die glückliche Kuh von der grünen Wiese. Sie hat schon elf Kälber zur Welt gebracht und gibt rund 7.000 Liter Milch. Alles ohne Kraftfutter. Allein mit Gras und Heu. Doch auch bei ihren hoch gezüchteten Artgenossinnen tut sich inzwischen etwas. Die konventionellen Züchter erkennen zunehmend den Handlungsbedarf und haben ihre Kriterien 2008 verändert. Auch sie legen jetzt beim Zuchtwert zumindest etwas weniger Augenmerk auf die Milchleistung und ein wenig mehr auf die Gesundheit. Denn kranke Kühe geben schließlich gar keine Milch.

Autorin: Britta Eisenhuth

Stand: 12.08.2015 11:49 Uhr

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