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Notfallrettung auf hoher See

Blitz, Donner und Sturm

Eine Vierergruppe bei einer Seenotrettungsübung
Heftiger Wellengang, starker Wind und dunkle Nacht: Eine Vierergruppe übt unter Realbedingungen den Ernstfall. | Bild: NDR

Es ist stockdunkel. Heftiger Wind peitscht die Gischt, das Heulen übertönt jedes andere Geräusch. Gelegentliche Blitze gewähren kurze Blicke auf eine gespenstische Szenerie: Im Wasser treiben Menschen, werden von den Wellen hin und her geworfen, versuchen, sich unter Aufbietung aller Kräfte in eine einzelne Rettungsinsel zu retten. Quälend langsam arbeiten sie sich in Vierergruppen auf das rettende Eiland zu, hieven sich mühsam aus dem Wasser – unterstützt von denen, die es bereits geschafft haben. Dann plötzlich flammt das Deckenlicht auf, Sturm und Wellengang versiegen. Alles nur eine Übung.

So praxisnah wie möglich

Rettungsübung im dänischen Maritime Training Center in Esbjerg
Im Maritime Training Center im dänischen Esbjerg üben Männer und Frauen für den Ernstfall auf See. | Bild: NDR

Die Männer und Frauen, die entkräftet aus der Rettungsinsel klettern, sind Seeleute - Mannschaftsmitglieder auf kommerziellen Schiffen oder Arbeiter auf Offshoreanlagen. Die Rettungsübung war der Abschluss ihres ersten Übungstages im Maritime Training Center im dänischen Esbjerg. Hier legt man großen Wert auf möglichst realistische Trainingsbedingungen: "Wir können hier Sturm bis Windstärke 10 simulieren", erläutert Claus Nexø Hansen von der Betreiberfirma Falck Nutec, "außerdem Wellengang bis zu 1,50 Metern Höhe. Zusammen mit den Sound- und Lichteffekten vergisst man schnell, dass man eigentlich nur eine Übung macht."

Und das ist nur der Anfang. In den kommenden Tagen werden die Kursteilnehmer lernen und trainieren, wie man Evakuierungssysteme bedient und benutzt, wie Feuer auf Schiffen oder Offshore-Plattformen bekämpft wird, oder wie man sich aus einem ins Wasser gestürzten Hubschrauber rettet.

Die Folgen der Titanic-Katastrophe

Rettungsübung im dänischen Maritime Training Center in Esbjerg
Nach der Titanic-Katastrophe Pflicht: Rettungskurse für Menschen, die auf See arbeiten. | Bild: NDR

Solche Rettungskurse sind Pflicht. Jeder Mann und jede Frau, die auf See arbeiten wollen, müssen dieses Training wenigstens einmal absolvieren. Im Falle eines Falles sollen sie sich selbst retten und eventuellen Passagieren helfen können. Geregelt wird die Sicherheit auf See durch die so genannten SOLAS-Bestimmungen - "Safety of Life at Sea" - eine direkte Folge des Titanic-Unglücks. Im November 1913 beriefen die Vereinten Nationen eine Konferenz ein, um verbindliche Sicherheitsmaßnahmen zu beschließen, die eine ähnliche Katastrophe in Zukunft verhindern sollten. Unter anderem wurde die Zahl der Rettungsboote nicht mehr von der Tonnage des Schiffs, sondern von der Anzahl der Passagiere abhängig gemacht und Funkwachen rund um die Uhr wurden verbindlicher Standard. Die Bestimmungen werden in regelmäßigen Abständen überprüft und ergänzt. Über ihre Einhaltung wacht die Internatinale Seefahrtsorganisation IMO.

Seenotrettung für Amateure

Rettungsinsel der Firma VIKING
Auf Kreuzfahrtschiffen bevorzugt eingesetzt: in 30 Sekunden aufblasbare Rettunginseln. | Bild: NDR

"Der größte Unterschied zwischen Handels- und Passagierschiffen ist, dass Passagiere kein Training und keine Erfahrung im Umgang mit Rettungsequipment haben", sagt Henrik Christensen, leitender Mitarbeiter bei VIKING, einem der weltweit führenden Hersteller von Rettungsinseln und anderer Überlebensausrüstung. Um so wichtiger also, dass die Technik so robust und benutzerfreundlich wie möglich ist.

Die meisten Kreuzfahrtreedereien bevorzugen Rettungsinseln statt Rettungsbooten. Sie nehmen weniger kostbaren Platz weg. In eine Kapsel von nicht einmal fünf Kubikmetern passt eine Rettungsinsel, die mehr als 100 Personen Zuflucht bietet. Kohlendioxid-Container blasen sie im Ernstfall in weniger als 30 Sekunden vollständig auf. Ein weiterer Vorteil von Inseln gegenüber Booten: Sie müssen nicht zu Wasser gelassen, sondern können einfach abgeworfen werden. Es gibt auch so genannte "Freifallboote". Die können jedoch bislang nur auf Handelsschiffen und Ölplattformen eingesetzt werden.

So schnell wie möglich von Bord

Rettungsinsel der Firma VIKING
Sie bieten bis zu 100 Personen im Notfall Platz. | Bild: NDR

Die Inseln sind jedoch nur ein Bestandteil eines modernen Rettungssystems. Im Ernstfall müssen Passagiere und Besatzung so schnell wie möglich von Bord und ins rettende Floß kommen. Einer der gebräuchlichsten Wege: Rettungsschläuche. Diese "Chutes", wie sie genannt werden, sind außen aus hochreißfestem Kunststoff und innen mit Stoffschläuchen ausgekleidet. Dadurch können selbst völlig untrainierte Personen binnen Sekunden aus bis zu 20 Metern Höhe sicher vom Schiff auf die Rettungsinseln geschleust werden.

Mindestens 400 Personen müssen innerhalb von 30 Minuten mit jedem einzelnen Chute von Bord gebracht werden können; wenigstens 600 Personen müssen den Schlauch passieren, bevor sich die ersten Verschleißerscheinungen am Material zeigen dürfen. Die Hersteller wie VIKING legen aber Wert darauf, dass jeder Chute mehr als 1.200 Passagiere ohne Materialschäden in Sicherheit bringt.

Mehr machbar als gefordert

Die technischen Möglichkeiten sind den geforderten Standards ohnehin in der Regel weit voraus. Schon lange vor dem Estonia-Fährunglück 1994 war es beispielsweise möglich, Rettungsinseln so zu konstruieren, dass sie sich immer richtig herum entfalten. Doch es war kein von der IMO gefordeter Standard. Erst nachdem zahlreiche Menschen ertranken, weil die Rettungsinseln der Estonia zum Teil auf dem Kopf gelandet waren, wurde die Verwendung sich selbst ausrichtender Flöße verpflichtend. Doch Schiffseigner halten sich aus Kostengründen häufig nur an das, was sie tun müssen. Und die Mühlen der IMO mahlen langsam und oft nur dann, wenn eine erneute Katastrophe einen neuen Impuls für strengere Sicherheitsbestimmungen gibt.

Autor: Thomas Wagner (NDR)

Stand: 13.11.2015 14:03 Uhr

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So., 15.04.12 | 17:00 Uhr
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