Gespräch mit Axel Milberg

Axel Milberg ist Klaus Borowski.
Axel Milberg ist Klaus Borowski. | Bild: NDR / Thorsten Jander

Klaus Borowski

Zu den ungeliebtesten Pflichten in seinem Arbeitsleben gehört für Klaus Borowski der Urlaub. Wo andere mit Wonne ins Wohnmobil steigen, um an jedem gewünschten Ort mit einem halben Hausstand aufkreuzen zu können, sieht Borowski vor allem Beschwerlichkeit und Mangel an Komfort. Es ist fast eine Erleichterung, dass sein Chef ihn außerplanmäßig zu einem neuen Fall hinzuzieht. Die Tat ist allerdings bestürzend: ein Säugling, ein Frühchen, kaum lebens - fähig, gewaltsam zu Tode gekommen, abgelegt auf einem als Straßenstrich genutzten Parkplatz bei Kiel. Seltsam genug führt die Spur nach Wacken. Etwas Spielerisches liegt, dem dramatischen Fall zum Trotz, über Borowskis Ermittlungen. Eine weitere Station, ein Höhepunkt auf der großen Borowski-Tournee. Mit den Jahren ist seine Herangehensweise immer intui - tiver geworden. Die harte Recherche, das ganze Internet-Zeug, das kann sein Team machen. Borowski verlässt sich auf seine Menschenkenntnis. Warum nicht das Netz der Beziehungen vor Ort für sich arbeiten lassen? Er singt mit der schwangeren Hofladen-Betreibe - rin Volkslieder und schmeichelt der Dorfpolizistin. Wo die Grenze zwischen Arbeit und persönlichem Interesse verläuft? Ist doch egal, eigentlich ist Borowski schließlich im Urlaub.

Gespräch mit Axel Milberg

Borowski wird ja oft als „typisch“ norddeutsch beschrieben. Was ist denn Ihrer Meinung nach charakteristisch für die Menschen in Schleswig-Holstein?

Jeder Kieler kann das zuverlässiger beantworten, ich bin Gast, lebe am Set und im Hotel und drehe mit einem Team, das meist aus Hamburg oder Berlin kommt. Früher hieß es doch oft sehr skeptisch, wenn jemand was vorhatte: „Nicht, dass noch was nachkommt.“ „Da liegt kein Segen drauf.“ „Na, geh da nich bei.“ „Ach, ja, er nu wieder, nich.“ Und die Neigung, Sätze nicht zu Ende zu sprechen. Kenn ich von mir auch. Die anderen werden ja schon wissen, was man … Aber, jetzt kommt ein großes Aber: In den letzten Jahrzehnten sind viele junge Familien nach Kiel gezogen, politisch wach, sie haben ihre neue Heimat lieben gelernt, die meisten wollen nicht mehr weg, man sieht überhaupt mehr Leben auf den Straßen, viele ambitionierte Projekte, vegane Cafés, Velorouten, also eine modellhafte Veränderung der Stadt in ein zukunftsfähiges Miteinander des Zusammenlebens. Ich sehe da auch den skandinavischen Einfluss, Kopenhagen, Stockholm, wo soziale Wohnprojekte seit Hundert Jahren Tradition haben, Konzepte gegen ausgestorbene Innenstädte, Entschärfung sozialer Brennpunkte. Dort Vermittlung, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Aber dagegen schaffen es die Behörden oft nicht, den Verkauf und damit die Verteuerung gewachsener Wohnviertel, den Abriss des Alten zu verhindern. Übrigens Dorsch aus der Ostsee, Fehlanzeige. Scholle? Das Meer vor der Haustür ist zu warm geworden, zum Teil toxisch. Geomar und Klimaforscher können dramatische Zahlen nennen. Also, diese tüdelige Unschuld von früher ist passé. Wer am Meer lebt, hat eine direkte Sicht auf die Folgen des Klimawandels.

Sie kehren regelmäßig zu Dreharbeiten in Ihre alte Heimat Kiel zurück und feiern jetzt Ihr 20-jähriges „Tatort“ Jubiläum. Was verbindet Sie mit dem hohen Norden?

Mich verbinden Erinnerungen, aber auch die Wiederbegegnung mit Freunden und Familie. Mir ist aufgefallen, meine Frau kann bei Wind nicht denken, sagt sie. Ich merke ihn gar nicht. Ist für mich normal. Typisch, das Wortkarge. Vieles bleibt auch bei mir unausgesprochen. Höre gerne zu, muss nicht selber reden. Ich rieche den typischen Geruch der Ostsee. Er ist sanft, etwas pflanzlich, mehr wie ein See. Aber gefühlt ist Norddeutschland auch immer Ausgangspunkt für weite Reisen, Aufbruch, ein begrenzter Aufenthalt, bevor es wieder losgeht. Vielleicht brauche ich auch Menschen, die anders sind als ich.

Hat sich Ihr Blick auf die Figur in den 20 Jahren verändert? Wie viel Einfluss haben Sie auf Ihre Rolle nehmen können?

Borowski ist in seinen Sätzen wiederzufinden. In manchen zumindest. Er fing ja an, das ist lange her, als Choleriker. Es war ein radikaler Anfang, den mir die Redakteurin Doris Heinze auflud. Den ich aber auch eine Herausforderung fand. Nur so konnte es nicht über Jahre weitergehen. Ich brauchte Zuschauer, die mir folgen wollten. Mein Einfluss ist im Gespräch mit der Redakteurin, der Produzentin und der Autorin oder dem Autor gewollt und fügt oft etwas hinzu, was poetisch oder irrational ist. Das kann dann wiederum den eingefleischten Krimifan wütend machen. Ich verlangsame, ich bin freundlich, auch und gerade zu den Verdächtigen oder Mördern. Das muss so sein. Denn unter Androhung oder „Eins auf die Fresse“ sind deren Aussagen als Geständnis oder belastende Aussage nicht gültig.

Was sind eigentlich die besten Eigenschaften von Klaus Borowski?

Wenn Erfahrung eine Eigenschaft ist … Also ich sehe in den besten Drehbüchern seinen trockenen Humor, den er hat, weil er so vieles schon kennt und richtig einordnen kann. Er wertet nicht vorschnell, er hört zu, beobachtet, stellt sich auch manchmal doof, schießt nicht so gerne, also manchem ist er nicht forsch und hitzig genug. Das mag ich aber an ihm. Gut und Böse sind nicht sein Thema. Sondern warum und wie?

Dann sind es die Geschichten, die Sie mehr als 20 Jahre am Format gehalten haben?

Die Geschichten mit zu entwickeln. Das gibt’s sonst selten. Es ist ja bekannt: Die Etats sind ja nicht entsprechend der Inflation erhöht worden in den letzten Jahren. Das heißt aber, weniger Geld pro Folge. Erfreulich ist, dass der NDR die Anzahl der Drehtage nicht reduziert hat und sich alle bemühen, dass jeder Film vor production value funkelt. Dabei gibt es durchaus Vorurteile gegen das Format: zu teuer, verwöhnt, unfaire Bevorzugung im Programm. Das Gegenteil ist der Fall: Ein hohes Arbeitstempo an jedem Drehtag, Überstunden, jeder Cent wird umgedreht, dabei will jeder Kinoqualität, die Produktionsfirmen können oft kaum Gewinne erwirtschaften, dann: Wie viele Fassungen Drehbuchautoren, manchmal über Jahre, zu erstellen haben, bis es alle gut finden.

Erstochen, erschlagen, vergiftet, aufgespießt, ertränkt, erstickt – so sind die Opfer in den 20 Jahren „Tatort“ aus Kiel zu Tode gekommen. Haben Sie manchmal Alpträume bei so viel Mordlust?

Erschossen übrigens auch. Ja, ich liege oft nachts wach und denke an die Grausamkeiten, über die ich gelesen oder von denen ich gehört habe. Es sind nicht die fiktiven Tode unserer „Tatort“-Toten, sondern echte Gewaltopfer, die ich, wenn ihr Tod besonders grausam war, vor mir sehe und leiden sehe. Auch Nawalny und Assange werden von der Welt gesehen und niemand kann sie befreien. Und die Namenlosen im Iran oder anderswo. Das verfolgt mich seit vielen Jahren. Ich darf hier an einen realen Fall erinnern: Giulio Regeni. Ein italienischer Student. Sein Foltertod in Ägypten ist von 2016 bis heute nicht aufgeklärt worden.

Seit sechs Jahren ermittelt Borowski gemeinsam mit Mila Sahin. Besonders im aktuellen Fall läuft es fast reibungslos zwischen ihnen. Was ist das Erfolgsgeheimnis der beiden?

Kein Geheimnis zu haben. Ehrlich den Anderen in die Ermittlungsarbeit mitzunehmen, sich nicht zu verbrauchen im hierarchischen Geplänkel, Altersunterschied oder Marotten zu thematisieren. Nein, das ist sehr häufig bei Ermittlerteams zu erleben, es stört. Der Beruf des Ermittlers in Mordfällen ist ernst, da ist es von Vorteil, selbst im seelischen Gleichgewicht zu sein.

Und was schätzen Sie an Almila Bagriaçik persönlich?

Sie ist überraschend, sagt manchmal komische Sachen, die schwer zu verstehen sind, sie nimmt sich die Zeit, die sie braucht. Sie ist immer positiv motiviert und freundlich zu allen.

Der „Tatort“ erzählt von der Sehnsucht nach dem perfekten Glück. Die einen animiert sie zum Träumen und trägt sie durch das Leben. Für andere ist sie eine Falle, die Menschen zu Verbrechern macht. Warum kann die Sehnsucht uns auch in den Abgrund reißen?

In den Abgrund reißt sie den, der ihr alles opfert, denke ich, die Familie, Gesundheit, Moral. Die Sehnsucht ist aber auch ein starker Motor – wenn ihr Taten folgen. Vielleicht nicht sofort, aber irgendwann. Sie definiert ein Fernziel. Und dann braucht es konkrete Schritte. Wäre gut, wenn die dann die richtigen sind.

Wenn Sie jetzt auf die letzten zwanzig Jahre zurückblicken, was waren Ihre eindrücklichsten Erlebnisse?

Die Horror-Panikgefühle, die mich überfielen, als ich für „Borowski und das Meer“ in das Minitauchboot einstieg, um 2 Stunden unter Wasser fest verschraubt und im Hocken/Sitzen zu verbringen. Das war eindrücklich, ja. Ich hab’s dann gemacht, aber als jetzt, Jahre später die tödliche Implosion auf dem Weg zur Titanic geschah, erinnerte ich mich an meine vielen Fragen an den Ingenieur, der „Jago“ gebaut hatte und es als Einziger fahren konnte: „Was, wenn Du ohnmächtig wirst?“ „Ich werd‘ nicht ohnmächtig.“ „Klar, aber ich weiß nicht, Fischvergiftung, Kreislauf, keine Ahnung. Kann ja mal sein. Und dann sitze ich in dieser Kapsel quasi alleine mit tausend Schaltern.“ „Hör zu, alle viertel Stunde gibt’s hier ein Signal. Dann drück ich auf diesen Knopf drauf und wenn nicht, dann wissen alle oben auf dem Forschungsschiff, ich bin bewusstlos und wir müssen hochgezogen werden und dann am Seil zurück auf Deck.“ „Und wie lange dauert das?“ „Naja, schätze 50 Minuten.“ „Ich will hier raus.“ Von draußen klopfte die Standfotografin an das gewölbte Glas. „Axel, lächle mal.“ Der Sprechkontakt zu seiner Frau war unterbrochen, dann war er wieder da, es wird schon alles gut gehen, kein Grund zu zweifeln an der Professionalität aller Beteiligten, ich atmete tief durch und meditierte meine Klaustrophobie weg. Wir waren anschließend knapp zwei Stunden unter Wasser in der Kieler Förde. Nicht tiefer als zehn, zwölf Meter. Läppisch im Vergleich zu der Größenordnung der Exkursion zur Titanic, sicher, aber unvorbereitet war ich doch plötzlich mit einer Urangst konfrontiert.

Gab es noch andere, ähnlich erlebnis- und erkenntnisreiche Drehorte?

Bei den Dreharbeiten kam ich an viele Orte, die ich als Kieler nie zuvor gesehen hatte: Die Kanalisation, die unterirdischen Gänge, die Hallen. In Kiel und Hamburg. Das Hochhausdach in Kiel-Elmschenhagen. Das Dach eines Hochhauses in Mettenhof. Das Dach auf dem Getreidesilo an der Holtenauer Hochbrücke. So ist Film. Ganz unten, aber oft ganz oben, dem Himmel nah. Jemand will springen. Die Polizei rettet oder kommt zu spät. Der Statist, der wiederholt als Spurensicherer dabei war und von Beruf tatsächlich Spurensicherer war, erzählte mir von Menschen, die gesprungen waren und von ihren Verletzungen. Äußerlich unversehrt, aber alle Knochen sind in der Haut nach unten zusammengesaust wie in einem Behältnis. Überhaupt war immer Wertvolles von den Profis zu lernen, die als „Extras“ manchmal kopfschüttelnd, manchmal begeistert unsere schauspielerische Arbeit begleiteten. Ein Beispiel: Dieses Absperrband am Tatort wird ja gerne hochgehoben, wenn der Ermittler kommt. Wir sind doch keine Dienstboten, sagte mal einer. Er war ein „Echter“, und wir vermeiden das auch gerne, dennoch wird es immer wieder bei den ersten Proben angeboten. Wir waren auf den nordfriesischen Inseln, in Göteborg, in Genf. An der Ostsee, in der Ostsee, an der Nordsee. Auf Fähren nach Amrum, nach Schweden. Wir hatten den Auftrag, spannende Filme zu machen, die auch das Land Schleswig-Holstein zeigen. Mir war wichtig, dass Mord & Totschlag nicht zur Unterhaltung dienen und Brutalität nicht verharmlost wird. Ohne Grausames allzu drastisch zu zeigen, sollte die Tat und ihre Folgen, der Schmerz der Angehörigen dem Zuschauer weh tun. Orte werden zu Locations. Suchende zu Locationscouts, das ist Film. Die Drehorte wirbeln in der Schnittfassung durcheinander, wie die Filmerzählung es braucht. Das hat manchen Kieler verwirrt. Da kommt einer aus einer Bar in der Bergstraße und geht im nächsten Augenblick unter der Hochbrücke entlang. Starke Bilder.

Nun nehmen Sie Abschied von Ihrer Rolle als „Tatort“-Kommissar und viele Zuschauer*innen werden Sie vermissen. Werden Sie auch Borowski vermissen?

Ich werde die Zuschauer auch vermissen. Aber ich werde ja intensiv weiterarbeiten. Ich drehe den letzten „Tatort“ ab Ende Januar ’24. Dann folgen sofort andere Projekte, über die ich noch nicht sprechen kann. Die Karawane zieht weiter. Wir sind ja ein „ambulantes Gschwerl“, wie es in meiner bayerischen Heimat heißt.

Was wünschen Sie Almila Bagriaçik, die nun ohne Sie ermitteln muss?

Nichts anderes, als ich uns beiden gewünscht habe, gute Drehbücher vor allem. Also relevante und unvorhersehbare Geschichten. Klingt überschaubar. Aber: Das ist sehr schwer und oft ein Ringen über Jahre. Hier ist ein Dank zu sagen an die Produzentin Sabine Timmermann und die Redakteurin Sabine Holtgreve, die viel Kraft und große Ausdauer investieren.

Was ist für Sie persönlich eigentlich das perfekte Glück?

Das Glück muss ich teilen. Dabei fühlt es sich gut an, wenn mein Kopf frei von Verpflichtungen ist. Kein Textlernen, keine Buchhaltung, keine tickende Uhr, keine Fristen, kein Ultimatum, kein schlechtes Gewissen, sehr schwierig, bei dem Zustand der Erde übrigens, kein Sozialstress, nur das Hier und Jetzt. Die Gegenwart. Ein natürliches Leben, unangestrengt, ohne Ehrgeiz. Das ist perfekt. Meeresnähe wäre wünschenswert.

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